Baden-Württemberg

Notfallpraxen: Streit um geplante Schließungen

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Stuttgart -

Die Ärztinnen und Ärzte der Krankenhäuser fürchten durch die geplante Schließung weiterer Notfallpraxen im Land eine noch stärkere Belastung der Notaufnahmen in Baden-Württemberg. In einem Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Gesundheitsminister Manne Lucha (beide Grüne) warnen die Landesvorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund vor den Folgen der geplanten Schließungen auf die Kliniken.

„Werden die Schließungspläne der Kassenärztlichen Vereinigung tatsächlich so umgesetzt, dann ist zu erwarten, dass das Patientenaufkommen in den Notaufnahmen der Kliniken erneut deutlich zunehmen wird“, heißt es in dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt.

Als Grund führen die Gewerkschaftschefs an, dass zahlreiche Notfallpraxen direkt in Krankenhäusern untergebracht seien. Das werde dazu führen, dass die Patientinnen und Patienten weiterhin den bekannten Weg ins Krankenhaus gehen würden, selbst wenn es dort dann keine Notfallpraxis mehr gebe. „Diese Patientinnen und Patienten haben die Erwartungshaltung, dann in den Notaufnahmen behandelt zu werden“, heißt es in dem Brief.

Rettungsdienst fürchtet deutlich mehr Einsätze

Besorgt über die Pläne der Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) ist auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Man erwarte ein weiter steigendes Einsatzaufkommen im Rettungsdienst, sagte der Landesgeschäftsführer des DRK Baden, Leonard von Hammerstein. „Die geplante Schließung von Notfallpraxen führt dazu, dass Menschen bei uns landen, denen in der ambulanten Versorgung viel besser geholfen wäre.“ Man habe in den Orten, in denen die KVBW bereits Notfallpraxen geschlossen habe, einen deutlichen Anstieg an Rettungsdiensteinsätzen registriert.

Einschränkungen bei Kliniken oder niedergelassenen Ärzten müsse grundsätzlich immer der Rettungsdienst auffangen, erklärte der Landesgeschäftsführer. „Das ist für uns schwer auszuhalten. Es gibt einfach sehr viele Einsätze, bei denen der Patient sagt: Ich habe mir nicht mehr anders zu helfen gewusst.“ Sei der Rettungsdienst mit diesen Menschen beschäftigt, dann fehlten zugleich die Ressourcen für Menschen, die in echten Notsituationen seien, sagte von Hammerstein.

Gewerkschaft schlägt Notfallversorgungs-Gipfel vor

Aus Sicht der Ärztegewerkschaft Marburger Bund braucht es nun ein gemeinsames Gespräch aller Akteure darüber, wie die Notfallversorgung langfristig ausgestaltet werden soll. „Wir schlagen daher vor, zeitnah einen Notfallversorgungs-Gipfel mit allen an der Notfallversorgung beteiligten Akteuren zu veranstalten.“ Das fände auch Leonard von Hammerstein vom DRK Baden sehr sinnvoll.

17 Standorte vor Schließung

Die KVBW will nach Informationen der dpa die Zahl der Notfallpraxen im Südwesten weiter verringern. Demnach geht es um mindestens 17 weitere Standorte. Acht Praxen hatte die KVBW bereits im Laufe des Jahres dauerhaft geschlossen. Wie die dpa erfuhr, soll künftig die Regelung gelten, dass mindestens 95 Prozent der Menschen im Südwesten innerhalb von 30 Fahrminuten eine Notfallpraxis erreichen können. Alle anderen sollen maximal 45 Minuten fahren müssen.

Lucha hält Pläne für rechtens

Lucha hatte die Aufforderungen zum Einschreiten zurückgewiesen. „Die Rechtsaufsicht kann nicht einfach so etwas stoppen“, sagte er einer Mitteilung zufolge. Mit den Forderungen danach würden wider besseren Wissens in der Bevölkerung Erwartungen geschürt, „die jeglicher rechtlichen Grundlage entbehren“. So gebe es etwa keine konkreten Hilfsfristen und auch keine Vorgaben zur Erreichbarkeit von Bereitschaftspraxen.

Aus Sicht von Lucha sind die Pläne der KVBW zudem rechtlich nicht zu beanstanden. Formal gesehen, sei es deren gutes Recht, die Bereitschaftsdienste neu zu strukturieren. „Die Auswahl- und Entscheidungskriterien des Standortkonzepts verstoßen bei dem, was dem Sozialministerium bisher bekannt ist, aus rechtsaufsichtlicher Sicht nicht gegen Recht und Gesetz“, sagte der Minister.

Er habe die KVBW bereits vor Monaten dazu aufgefordert, dass dort, wo ein Angebot wegfallen werde, gute Alternativen entstehen müssten, so Lucha. Konkret müssten an den verbleibenden Standorten zusätzliche Kapazitäten aufgebaut, das telemedizinische Angebot massiv ausgebaut und ausreichende Kapazitäten für den Fahrdienst geschaffen werden.

Mehr digitale Angebote: „Daran werden wir uns gewöhnen müssen“

Der Minister betonte aber auch, dass im Land derzeit rund 1000 Arztsitze unbesetzt seien und in den nächsten zehn Jahren die geburtenstärksten Jahrgänge der Ärzteschaft in den Ruhestand gingen. „Das heißt, weniger Ärzte müssen künftig dafür sorgen, dass die medizinische Versorgung im Land gesichert bleibt“, sagte Lucha. Schon jetzt könne man deswegen sagen: „Für die Zukunft der medizinischen Versorgung gilt der Grundsatz: digital vor ambulant vor stationär. Daran werden wir uns alle gewöhnen müssen“, so Lucha.

In einem Brief hatten 18 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zuvor Lucha aufgefordert, gegen die Schließungspläne vorzugehen. Auch der CDU-Minister für den ländlichen Raum, Peter Hauk, hatte Lucha aufgefordert, tätig zu werden.

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