Koalitionsgefängnis und „blöde“ Apotheker Julia Pradel, 26.09.2014 12:05 Uhr
Die Linken konnten in Sachen OTC-Switch für die Pille danach einen kleinen Erfolg verbuchen: Die Frage der Rezeptfreiheit wurde gestern im Bundestag diskutiert. In der Debatte ging es auch um die Kompetenz der Apotheker, die vermeintliche Pharma-Befangenheit der Union und um die Online-Rezepte von DrEd. Nach einer dreiviertel Stunde endete der dritte Antrag der Oppositionspartei wie die vorherigen: im Ausschuss.
Mit diesem Ergebnis hatte die Partei zwar gerechnet, spannend war für sie aber die Frage, wie sich die SPD in der Debatte positioniert. Die Sozialdemokraten hatten sich in der Vergangenheit wiederholt für die Rezeptfreiheit von Notfallkontrazeptiva mit Levonorgestrel ausgesprochen, sind nun aber dem Koalitionspartner verpflichtet. Und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) lehnt eine Freigabe vehement ab.
Linke und Grüne haben in der Vergangenheit insgesamt drei Anträge gestellt, um die Pille danach schnell aus der Rezeptpflicht zu entlassen. Diese Anträge liegen derzeit im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Am Mittwoch hatten Union und SPD erneut eine Abstimmung darüber verweigert: Die SPD hatte weiteren Beratungsbedarf angemeldet – aus Sicht der Opposition ein Spiel auf Zeit. Deshalb hatte die Linke im Plenum einen vierten Antrag eingebracht, der aber ebenfalls in den Ausschuss verwiesen wurde.
In der Debatte verteidigte Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, ihr Vorgehen: „Ich bin dafür, dass wir die Beratungszeit, die wir genommen haben, vollumfänglich ausschöpfen nach dem Grundsatz: beraten und überzeugen.“ Man wolle überzeugen, dass es um das Selbstbestimmungsrecht der Frau und Konfliktsituationen, etwa am Wochenende, gehe. Man versuche auch, davon zu überzeugen, „dass Apotheker Personen sind, die Beratungssituationen vollumfänglich und professionell gestalten“.
Es sei wichtig, auch die europäische Ebene zu betrachten. Über den Wirkstoff Ulipristal werde im November entschieden. Dies sei eine Möglichkeit, die Rezeptfreiheit zu erreichen. Sie forderte dazu auf, das Thema sachlich-fachgerecht, aber nicht überdimensioniert anzugehen. Es gehe nicht um Empfängnisverhütung oder Schwangerschaftsabbruch, sondern um die Rezeptfreiheit der Pille danach. „Ich finde, wir sollten dieses Thema mit der hinreichenden, souveränen Gelassenheit angehen.“
Mechthild Rawert, die für die SPD im Gesundheitsausschuss sitzt, fand deutlichere Worte für die Rezeptfreiheit: „Es kann nicht sein, dass das, was in 79 Staaten – in den meisten europäischen Staaten – längst medizinischer und pharmakologischer Alltag ist, uns hier in Deutschland verwehrt wird.“ Aufklärung sei im Vorfeld wichtig, beim Notfall aber – „beim geplatzten Gummi“ – zügige Hilfe.
Man werde weiter über das Thema debattieren, deshalb habe man auch weiteren Beratungsbedarf angemeldet, so Rawert. Dabei müssten auch die Kosten diskutiert werden: „Unsere Haltung ist die, dass wir die Frauen nicht auch noch zusätzlich mit Mehrkosten belasten wollen.“ Man wisse, dass die Pille danach mit Levonorgestrel nicht gesundheitsgefährdend, sondern nebenwirkungsarm sei. „Es geht hier weniger um die Pille als Medikament, es geht um unterschiedliche Werteentscheidungen hinsichtlich der Selbstbestimmung und Bevormundung von Frauen und es geht vor allen Dingen auch um den freien Zugang zu Rechten.“ Da überzeuge man noch, sagte sie abschließend in Richtung Union.
Die Union verteidigte ihr Nein zur Rezeptfreiheit: Emmi Zeulner (CSU), ebenfalls Mitglied im Gesundheitsausschuss, betonte, sie fühle sich in Deutschland selbstbestimmt. Für sie seien die Verbesserungen durch einen OTC-Switch „nicht so klar erkennbar“. Sie stehe zu Gröhe, der an der bewährten Linie festhalte. Sie kritisiert, dass bei einer Freigabe Hersteller für das Präparat werben dürften. Dagegen hätten sich Ärzte und Apotheker ausgesprochen.
Sie forderte, Frauen eine Beratung in einem geschützten Raum unter vier Augen zu ermöglichen. „Eine solche Beratung kann nachts am Apothekenfenster oder durch ein kurzes Onlinevideo meiner Ansicht nach nicht gewährleistet werden und entspricht nicht den Bedürfnissen der Betroffenen.“ Nur im direkten Arzt-Patienten-Kontakt bestehe für die Frauen die Möglichkeit, im Notfall individuell und fachkundig beraten zu werden. Aus diesem Grund wolle die Koalition auch Online-Konsultationen à la DrEd verbieten.
Der Arzt müsse die zentrale Beratungsperson bleiben, denn nur er könne im Zweifelsfall eine gynäkologische Untersuchung und die Nachsorge vornehmen. Schließlich betonte sie: „Ich sehe mit dem Gang zum Arzt noch immer keine Einschränkung meiner Selbstbestimmung.“
Auch Karin Maag (CDU) warnte davor, die Debatte ideologisch zu überladen. Sie unterstrich den hohen Beratungsbedarf und kritisierte es als „wenig souverän, solche Dinge dann im Schweinsgalopp durch das Parlament zu peitschen“. Sie gab zu bedenken, dass in der Apotheke nicht untersucht werden könne, ob der Eisprung kurz bevorstehe und die Pille danach nicht mehr wirke; dies sollte per Ultraschall festgestellt werden. Außerdem würde mit dem OTC-Switch das Werbeverbot fallen: „Ich möchte nicht erleben, dass im Kino, Fernsehen oder am Bahnhof für die Pille danach geworben wird.“
Die Grüne-Gesundheitsexpertin Kordula Schulz-Asche kritisierte, die Haltung der Union sei fachlich nicht haltbar und die SPD sei gefangen in der Koalitionsdisziplin. Es sei ein Trauerspiel zu sehen, wie die Union bei diesem Thema gegen die Mehrheit des Bundestages, des Bundesrates und gegen die Vernunft agiere. Der Union warf sie vor, sich vor den Karren eines Pharmaherstellers spannen zu lassen.
Die Linke-Abgeordnete Cornelia Möhring wies darauf hin, dass nach Meinung des SPD-Gesundheitsexperten Professor Dr. Karl Lauterbach der Freigabe nichts Vernünftiges entgegenstehe. „Also scheint wohl der Beratungsbedarf eher an Ihrem Koalitionsgefängnis zu liegen.“ Der Wirkstoff sei unbedenklich, es gehe um Notfallverhütung und Frauen könnten sehr wohl selbst eine Entscheidung treffen. Und: „Apothekerinnen und Apotheker haben in ihrem Studium den Schwerpunkt Pharmazie und können beraten.“ Sie halte es für nicht hinnehmbar, dass Frauen und Apotheker in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken „für blöd“ erklärt worden seien, da demnach nur Ärzte besondere Kenntnisse über die geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen hätten.