Die Frauenärzte sehen die Freigabe des Notfallkontrazeptivums EllaOne (Ulipristal) durch die EU-Kommission kritisch und die Beratung in den Apotheken nicht gewährleistet. Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF), die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) betonen, die Beratung beim Frauenarzt sei die „bewährte, nachhaltige und damit optimale Lösung“.
Die gynäkologischen Fachverbände kritisieren: „Eine medizinisch kompetente, sorgfältige und vertrauliche Beratung in der Apotheke zu den Fragen, ob die Einnahme der 'Pille danach' überhaupt notwendig ist, welches Präparat möglicherweise geeignet oder ungeeignet ist, welche Nebenwirkungen zu erwarten sind und vor allem, wie im weiteren Zyklus verhütet werden muss, damit es nicht nach der Verschiebung des Eisprungs später noch zu einer ungewünschten Schwangerschaft kommt, ist problematisch und in den meisten Fällen unmöglich.“ Hinzu komme die Beratung hinsichtlich sexuell übertragbarer Erkrankungen und im Einzelfall weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen.
Ob Apotheker EllaOne derzeit ohne Rezept abgeben dürfen, ist nach wie vor nicht geklärt. Während die EU-Kommission ihre Entscheidung am Freitag im Arzneimittelregister veröffentlicht hat und das Präparat damit EU-weit rezeptfrei geworden ist, ist der Wirkstoff Ulipristal laut Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) noch verschreibungspflichtig.
Der Hersteller HRA Pharma geht zwar davon aus, dass EU-Recht gilt, hält sich aber noch zurück. Allerdings wird die Zeit knapp: Wenn die Änderung im Februar in die Software soll, muss der Hersteller sie bis Mittwoch an die Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten (IfA) melden.
Die Frauenärzte sorgen sich nicht nur um die Beratung, sondern auch um die Erstattungsfähigkeit. Die „Pille danach“ werde bislang für Mädchen und Frauen bis zum 20. Lebensjahr wie die „normale“ Antibabypille von der Krankenkasse bezahlt. „Wenn junge Frauen künftig für die 'Pille danach' in der Apotheke bezahlen müssten, würde das die Situation deutlich verschlechtern“, heißt es weiter. Es sei dann zu fürchten, dass Teenager trotz eines ungeschützten Geschlechtsverkehrs von dem Kauf Abstand nähmen und schwanger würden.
Durch die Beratung in den Apotheken fürchten die Frauenärzte zusätzliche Mehrkosten für die Patientinnen: Schon jetzt scheine klar, dass Mädchen und Frauen – wie in der Schweiz – neben den Kosten für das Medikament künftig auch für die Beratung in der Apotheke zahlen müssten. Die ärztliche Beratung sei hingegen bislang Bestandteil des Leistungskatalogs der Krankenkassen gewesen.
Die Frauenärzte sind überzeugt, dass die Rezeptpflicht und die frauenärztliche Beratung dazu beigetragen hätten, dass Deutschland in Europa und weltweit mit seiner niedrigen Rate an Schwangerschaftsabbrüchen einen Spitzenplatz einnehme. In allen anderen Ländern sei die Schwangerschaftsabbruchrate vor allem bei Teenagern um ein Vielfaches höher.
Die Verbände warnen: Nicht nur die Politik, die Medien und die Apotheker müssten die Folgen für die steigende Zahl unerwünschter Schwangerschaften tragen, sondern auch die Mädchen und Frauen – und im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs auch die Frauenärzte. „Und leider findet schon heute nicht jede Betroffene einen Frauenarzt, der einen Abbruch vornimmt.“
Trotz aller Kritik bekräftigen die Verbände: Falls Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) dazu auffordere, gemeinsam mit den Apothekern eine Beratungslösung zu erarbeiten, werde man sich den Gesprächen „trotz der weiter bestehenden Bedenken nicht verweigern“. Erste Gespräche sollten noch in dieser Woche stattfinden, bestätigt eine ABDA-Sprecherin.
Bei HRA Pharma rechnet man damit, dass nach dem OTC-Switch rund 50.000 bis 100.000 Tabletten zusätzlich verkauft werden. 2013 wurden laut Marktforschungsunternehmen IMS Health 488.100 Packungen Notfallkontrazeptiva abgegeben – mehr als doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. 2004 waren es demnach 236.100 Packungen.
Die Menge verteile sich fast paritätisch auf Levonorgestrel (248.400 Packungen) und Ulipristal (239.700 Packungen). Seit seiner Einführung 2009 sei bei Ulipristal ein deutliches Wachstum zu verzeichnen, während der Absatz von Levonorgestrel-Präparaten abnehme. Das könnte laut IMS Health darauf zurückzuführen sein, dass die DGGEF und der BVF den Wirkstoff im Februar 2013 zur neuen Standardmethode für die Notfallkontrazeption erklärt hätten.
Darüber hinaus hat IMS Health in 99 gynökologischen Praxen die Abgabe der „Pille danach“ untersucht. Während demnach 2004 lediglich 39 Prozent der Praxen das Notfallkontrazeptivum verordneten, waren es 2006 bereits mehr als 90 Prozent und 2013 sogar 99 Prozent. 0,6 Prozent der Frauen, die Kontrazeptiva verwenden, nutzten im Jahr 2004 die „Pille danach“; im vergangenen Jahr waren es 3,9 Prozent. Während es vor zehn Jahren elf Patientinnen pro Praxis gab, stieg deren Zahl 2013 auf 30.
Darüber hinaus zeigte sich, dass rund die Hälfte der Patientinnen, die sich ein Notfallkontrazeptivum verordnen ließen, im selben Jahr auch Rezepte für andere Kontrazeptiva erhalten hatte. Die „Pille danach“ sei zusätzlich zu anderen Verhütungsmitteln verschrieben worden, so das Fazit von IMS Health. Dass von Patientin von 2004 bis 2013 durchschnittlich 1,1 Verordnungen pro Jahr erhalten habe, zeige zudem, dass es sich nicht um eine kontinuierliche Nutzung handele.
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