Notfallkontrazeptiva

Frauenärzte: Apotheker beraten schlecht

, Uhr
Berlin -

Die „Pille danach“ ist heute genau seit einem halben Jahr rezeptfrei. Seit dem OTC-Switch wurden deutlich mehr Notfallkontrazeptiva abgegeben als zuvor. Gynäkologen sehen das kritisch: Gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ) sagte Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF): „Apotheken können die Beratung der Ärzte nicht leisten, daher wird die Pille inzwischen viel zu oft abgegeben.“

Dem Marktforschungsunternehmen Insight Health zufolge wurde die „Pille danach“ bereits im März mehr als 50.000 Mal abgegeben. Im April stiegen die Absätze auf mehr 55.000 Packungen, im Juli waren es mehr als 61.000 Packungen. Im Vergleich zum Februar entspricht das laut SZ einem Anstieg von knapp 54 Prozent.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, ist klar: „Der Arztbesuch war eine hohe Hürde für Frauen“, sagte sie der SZ. Einige Frauen seien nach dem ungeschützten Sex lieber das Risiko einer Schwangerschaft eingegangen und hätten einen späteren Abbruch in Kauf genommen.

Die Gynäkologen sehen das anders. Für Albring entsprach die Zahl der Verschreibungen bis zur Freigabe dem tatsächlichen Bedarf. Was nun darüber liegt, ist folglich zu viel. Auch für Professor Dr. Birgit Seelbach-Göbel, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), deuten die Zahlen laut SZ in keine gute Richtung. Vielmehr zeigten sie, „dass es keine fachgerechte Beratung gibt“, so Seelbach-Göbel gegenüber Spiegel Online. Die Hälfte aller Frauen brauche die Notfallverhütung nicht. „Es profitiert vor allem die Pharmaindustrie.“

Für viele Mediziner ist der SZ zufolge die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche der maßgebliche Indikator. In anderen Ländern habe die Freigabe der „Pille danach“ nicht zu einer niedrigen Abbruchquote geführt, so die Kassenärztliche Bundesvereingung (KBV). Ein positiver Effekt sei nicht eingetreten. In Großbritannien, wo Levonorgestrel seit 2001 rezeptfrei ist, sei die Zahl der Abbrüche sogar um knapp 8 Prozent gestiegen. In Frankreich habe es seit 1999 keine spürbare Senkung gegeben.

Für Deutschland liegen inzwischen Zahlen aus den Monaten April bis Juni vor: Demnach ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Vergleich zum Vorjahr um 0,1 Prozent auf 24.500 gesunken. Das wäre ein erster positiver Effekt. Ob ein Zusammenhang zwischen der „Pille danach“ und der Zahl der Abtreibungen aber tatsächlich existiert, ist laut SZ noch umstritten.

ABDA-Präsident bewertete die Freigabe der „Pille danach“ zuletzt positiv: „Es sind keinerlei, wirklich keinerlei Sicherheitsprobleme aufgetaucht.“ Das gelte auch für jüngere Frauen und Mädchen. Es habe sich bestätigt, dass es sich um „sehr sichere Arzneimittel“ handele. Die Freigabe habe, „wie vorauszusehen war“, zu einer stärkeren Nachfrage geführt. „Die Absatzzahlen dieser Produkte haben sich deutlich erhöht. Es hat eine Spitze gegeben. Jetzt ist es auf höherem Niveau stabil“, konstatierte Schmidt im August.

BVF und DGGG kritisierten zuletzt „aufwendige Zyklusberechnungen ohne gynäkologisches Hintergrundwissen“ in der Apotheke. In Fortbildungen zur „Pille danach“ für das Apothekenpersonal würden Zyklustage angegeben, an denen eine Schwangerschaft möglich sei. Die Angst vor einer unnötigen Abgabe der hormonellen Notfallkontrazeption sei groß.

Allerdings seien die Berechnungen nicht zielführend, so die Gynäkologen. Aufgrund der variablen Zykluslänge und der hohen Variabilität des Eisprungs, kann ein Schwangerschaftsrisiko durch eine alleinige Zyklusanamnese nie sicher ausgeschlossen werden. In der Apotheke sollten aufwendige Zyklusberechnungen vermieden werden, denn allein durch Zyklustagezählen sei die fruchtbare Phase der Frau nicht zu ermitteln.

Die Frauenärzte wiesen außerdem darauf hin, dass die „Pille danach“ für Frauen unter 20 Jahren, die ein Rezept haben, erstattungsfähig ist. „Besonders bei jungen Frauen sollte der Preis nicht die Entscheidung beeinflussen, ein möglicherweise weniger wirksames Präparat abzugeben“, so die Mediziner. Ulipristalacetat sei aufgrund der überlegenen Wirksamkeit der Standard in der Notfallverhütung. Im Beratungsgespräch sollte außerdem auf die Kupferspirale als das „sicherste postkoitale Verhütungsmittel“ verwiesen werden. Auch auf „Safer Sex“ und die Möglichkeit einer HPV-Immunisierung sollte hingewiesen werden.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Mehr zum Thema
Verzögerungen wegen „KOB light“?
ePA: Die Angst vor Abmahnungen
Mehr aus Ressort
Podcast NUR MAL SO ZUM WISSEN
Apotheken in der Warteschleife
294 Euro für alle – mit Ausnahmen
Berlin: Eine Stelle für den Kammerbeitrag

APOTHEKE ADHOC Debatte