In jedem niedersächsischen Krankenhaus sollen demnächst Stationsapotheker über die Arzneimitteltherapien wachen – auch wegen der Vorwürfe gegen den Krankenpfleger Niels H. Die Landesregierung hat dazu einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Dass die Krankenhäuser dagegen protestiert haben, kann Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer, nicht verstehen: „Eine wirtschaftlich effektive und gleichzeitig sichere Arzneimitteltherapie kann nur erreicht werden, wenn Apotheker über die Arzneimittellogistik hinaus mit den Ärzten und Pflegekräften im Team zusammenarbeiten.“
„Ärzte und Apotheker sind zwei Heilberufe mit jeweils unterschiedlichen Stärken, die es zum Patientenwohl einzusetzen gilt“, so Linz. Es sei und bleibe Aufgabe des Arztes, Patienten zu untersuchen, Krankheiten zu diagnostizieren und Maßnahmen zur Behandlung festzulegen. Linz: „Der Apotheker gewährleistet dann als Arzneimittelfachmann, dass die angeordneten Medikamente bei dem jeweiligen Patienten auch ihre beabsichtigte Wirkung bestmöglich entfalten können.“
Die Apothekerkammer verweist mit einer Studie der EU-Kommission: Demnach beläuft sich die volkswirtschaftliche Belastung bei Krankenhausaufenthalten durch arzneimittelbezogene Probleme auf circa 4,94 Milliarden Euro – alleine in Deutschland. Die Kosten für Medikationsfehler würden für 2016 von 294 Euro auf bis zu 5689 Euro pro Patientenfall geschätzt.
Die Kammer befürworte daher nachdrücklich den Einsatz von Apothekern in der unmittelbaren Patientenversorgung – als qualitätssicherndes Element zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Die Kommission „Krankenhausapotheken und Arzneimittelwesen“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) habe bereits 1992 einen vermehrten Einsatz von Krankenhausapothekern und eine umfassende Beratung der Ärzte durch die Apotheker gefordert, um die Arzneimitteltherapie zu optimieren.
Viele Patienten, die in ein Krankenhaus eingeliefert würden, müssten wegen Vorerkrankungen bereits regelmäßig Arzneimittel einnehmen. Hinzu kämen die Medikamente, die im Krankenhaus wegen der akuten Erkrankung verschrieben werden. Damit sich die verschiedenen Arzneimittel in ihrer Wirkung nicht gegenseitig beeinträchtigten oder schlimmstenfalls aufheben, sei eine genaue Abstimmung mit dem Patienten unerlässlich.
„Jeder Patient ist individuell“, erläuterte Linz. Bei einem jungen Mann mit Beinbruch wirkten die Tabletten ganz anders als bei einer 80-jährigen Patientin mit Diabetes. Grundsätzlich müssten Dosierungen und Anwendungsformen bei jedem Patienten individuell bestimmt werden. Auch der richtige Zeitpunkt für die Einnahme des Medikaments sei für seine Wirkung entscheidend.
„Wird zum Beispiel ein Antibiotikum nicht in den richtigen Einnahmeintervallen eingenommen, drohen Resistenzbildungen und Reinfektionen. Die Behandlungsdauer erhöht sich und geht mit vermeidbaren Komplikationen einher. Bei einer engen Mitwirkung durch den Stationsapotheker können solche Defizite in der Versorgungsqualität spürbar reduziert werden“, so die Kammer in einer Mitteilung. Durch eine bewusste Arzneimitteltherapie leiste der Stationsapotheker sowohl beim Arzneimittelverbrauch als auch beim besonderen Behandlungsbedarf einen positiven Beitrag.
In Krankenhäusern, wo bereits Apotheker auf den Stationen aktiv seien, sei die Akzeptanz durch das medizinische und pflegerische Personal sehr hoch. Die ohnehin erhöhte Arbeitsverdichtung von Ärzten und Pflegekräften führe dazu, dass die Beratungskompetenz des Apothekers in Anspruch genommen werde. Dies betreffe insbesondere multimedikamentöse Behandlungen. Um Wechselwirkungen zu minimieren, müssten intensive Gespräche im Dreier-Team geführt werden: behandelnder Arzt, Pflegepersonal und Apotheker.
„Nirgendwo in Europa gibt es so wenig Apotheker in Krankenhäusern wie in Deutschland“, erklärte Dr. Matthias Bohn vom Landesverband des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA). Von circa 60.000 Apothekern in Deutschland seien nur 2300 in den Krankenhäusern angestellt. Während in Großbritannien im Durchschnitt 4,4 Apotheker pro 100 Betten beschäftigt seien, gebe es in Deutschland weniger als 0,4.
In Ländern wie den Niederlanden, den USA und Großbritannien legten Apotheker zusammen mit den Ärzten die Arzneimitteltherapie fest und seien sogar bei den Visiten anwesend. In den Krankenhäusern der USA gebe es 17,5 Apotheker pro 100 Betten. Die US-Apotheker errechneten jede Dosierung und stellen die Medikamente anhand von Listen mit Wechselwirkungen und den Vorgaben der Ärzte zusammen. „Dies trifft in Deutschland nur in Einzelfällen zu. In den meisten Kliniken kommt der Apotheker nur zweimal im Jahr im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Begehungen auf Station“, so Bohn.
Der geplante Gesetzentwurf sieht vor, dass zukünftige Stationsapotheker im Wesentlichen zu Fragen der Arzneimitteltherapie bei Aufnahme und Entlassung, der Anwendung und des Verbrauchs von Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten sowie der Einhaltung der arzneimittelrechtlichen Bestimmungen beraten. Stationsapotheker sollen die Weiterbildung zum „Fachapotheker für Klinische Pharmazie absolviert haben“.
Mit der Novellierung des Landeskrankenhausgesetzes zieht Niedersachsen Konsequenzen aus der Mordserie des Krankenpflegers Niels H. Er hatte an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst Patienten mitunter das nicht indizierte Medikament Gilurytmal mit dem Wirkstoff Ajmalin gespritzt und so lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern provoziert, um sie dann „heldenhaft“ zu reanimieren. Viele überlebten jedoch nicht.
Das Landgericht Oldenburg hatte den ehemaligen Krankenpfleger im Februar 2015 in fünf Fällen unter anderem wegen Mordes verurteilt. Vor Gericht hatte der heute 40-Jährige 90 Taten gestanden. Derzeit überprüfen die Ermittler sogar über 200 Verdachtsfälle in Delmenhorst und Oldenburg.
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