„Nicht umsetzbar“: Ärzte kritisieren Notfallreform Laura Schulz, 26.06.2024 14:45 Uhr
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat derzeit viele Gesetzesvorhaben in der Pipeline, eines davon ist die Reform der Notfallversorgung. Von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) und dem Verband der Ersatzkassen (vdek) gibt es dazu gemischtes Echo. So reagieren die Ärzt:innen beispielsweise „mit größter Skepsis“ auf den entsprechenden Referentenentwurf. Hierzu findet heute im Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Anhörung statt.
Zweifel an der Umsetzbarkeit gibt es von der KBV-Spitze durch Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner: „Über eine grundlegende Notfallreform muss diskutiert werden. Mit den Vorschlägen aus dem BMG wird sie aber nicht funktionieren. Hier bedarf es erheblicher Anpassungen“, so das Feedback zum Entwurf. Dabei sei die Intention grundsätzlich richtig, besonders die Patientensteuerung und die Finanzierung müssten in der Notfall- und Akutversorgung verbessert werden.
„Allerdings wird der vorliegende Entwurf kaum dazu beitragen, eine Entlastung der Notaufnahmen zu erreichen“, so das Urteil der KBV. „Im Gegenteil: Der Entwurf, der jetzt auf dem Tisch liegt, steht für ein Übermaß an zusätzlicher Bürokratie, eine unzureichende und zu vage gehaltene Refinanzierung sowie unrealistische Fristen. Viele neue Aufgaben, die im BMG ersonnen wurden, sind gar nicht umsetzbar. Dazu gehört beispielsweise die Einrichtung eines flächendeckenden Fahrdienstes rund um die Uhr parallel zur Regelversorgung. Wer soll das – angesichts begrenzter personeller Ressourcen – überhaupt stemmen?“
Kein Personal für Parallelstruktur
Ähnlich klingt die Kritik auch beim SpiFa. Lauterbach mache hier „die Rechnung ohne den Wirt“; der Entwurf zeichne sich durch Unterfinanzierung und Inkonsequenz aus. Auch der SpiFa sehe eine Reform der Notfallversorgung als dringlich an, das geplante Vorhaben verfehle das Ziel jedoch, sei inkonsequent und in Teilen entgegen wissenschaftlicher Expertise. Es sei zu befürchten, „dass je nach Bettenauslastung weiter Patienten über die Notaufnahmen in die Krankenhausbetten wandern, die dort aus medizinischen Gründen nichts zu suchen haben“, so der SpiFa.
Es bräuchte keine rund um die Uhr besetzten KV-Notdienstpraxen in den Integrierten Notfallzentren (INZ), sondern vor allem zu den regulären Praxisöffnungszeiten eine gute Verzahnung mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Im Hinblick auf immer größer werdenden Personalmangel sei es „weder realistisch noch zielführend, den Personalbedarf für INZ aus diesem Personenkreis zu decken“.
Zudem fehlten dem Entwurf Inhalte zur Finanzierung des Ganzen: „Es ist vollkommen inakzeptabel, dass Angebote und vertragsärztlichen Strukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen ohne Gegenfinanzierung seitens der Krankenkassen ausgeweitet und ergänzt werden sollen“, so SpiFa- Vorstandsvorsitzender Dr. Dirk Heinrich. Praxen seien bereits heute drastisch unterfinanziert. „Auch tragen sie [die niedergelassenen Ärzt:innen] die Defizite des vorgehaltenen ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Es darf ihnen kein weiteres Sonderopfer abverlangt werden! Die Politik muss jetzt dafür sorgen, dass das Geld endlich dem medizinischen Bedarf folgt und muss für eine auskömmliche Finanzierung sorgen“ so Heinrich weiter.
Kassen: Leitstellen drastisch abbauen
Nachbesserungsbedarf sieht auch der vdek und fordert, die geplante Reform der Notfallversorgung mit einer Reform des Rettungsdienstes zu verknüpfen. „Um die Notfallversorgung grundlegend zu verbessern und die Strukturen effizienter zu gestalten, brauchen wir eine Reform aus einem Guss, die auch Rettungsdienststrukturen auf den Prüfstand stellt“, erklärt Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek. Mit den neuen INZ mit gemeinsamen ambulant-stationären Tresen in ausgewählten Kliniken „werde ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Versorgung getan“.
Damit vermiedene Krankenhausaufenthalte und eine zentrale Anlaufstelle für die Patient:innen seien zu begrüßen, genauso wie die Verantwortung durch die gemeinsame Selbstverwaltung. „Allerdings ist aus Sicht des vdek nicht nachvollziehbar, warum die Gesundheitsleitstelle nur auf Antrag des Trägers einer Leitstelle bei der KV errichtet werden soll. Diese Regelung sollte per Gesetz verbindlich eingeführt werden. Der vdek schlägt zudem vor, die Gesundheitsleitstellen auszubauen. Sie sollten neben dem Rettungsdienst- oder Notfalleinsatz auch die pflegerische Notfallversorgung oder die psychosoziale Notversorgung übernehmen.“
„Um die Notfallversorgung grundlegend effizienter und qualitativ hochwertiger zu gestalten, sollten auch die Strukturen im Rettungsdienst optimiert werden“, so Elsner. Die Ausgaben im Rettungsdienst hätten sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt. Die vielen kleinen Leitstellen in Deutschland sollten daher zur besseren Wirtschaftlichkeit zu größeren Einheiten zusammengelegt werden. „Die Regierungskommission empfiehlt eine Richtzahl von einer Million Einwohner je Leitstelle, das wären 84 Leitstellen bundesweit. Heute haben wir 229 Leitstellen“, so der vdek.