Hilfs- und Heilmittel

Neues Hilfsmittelverzeichnis: „Die Kassen haben das verstanden“

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Berlin -

Anhaltende Kritik an der unzureichenden Versorgung von Inkontinenzpatienten hat Politik wie Krankenkassen zur Überarbeitung der Hilfs- und Heilmitttelversorgung veranlasst. im April 2017 trat das neue Heil- und Hilfsmittelgesetz (HHVG) in Kraft getreten. Jetzt hat der GKV-Spitzenverband die Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnisses nach zweijähriger Arbeit abgeschlossen. „Das überarbeitete Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnis bietet allen Versicherten eine höhere Produktqualität und gestärkte Versichertenrechte“, so Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes.

Ob sich damit auch die Inkontinenzversorgung nachhaltig verbessert hat, bleibt vorerst abzuwarten. „Die Entwicklung in diesem Bereich war inakzeptabel“, übte Kiefer Selbstkritik am Vorgehen der Krankenkassen: „Die Kassen haben das verstanden.“ Sie stünden „klar in der Verantwortung“ für die Versorgung der Patienten, „sie haben eine Schutzfunktion“. „Ich denke, da hat sich einiges verändert“, sagte Kiefer. Der Bedarf für die Inkontinenzversorgung müsse individuell festgelegt werden und die Produkte müssten die vorgegebenen technischen Parameter erfüllen. Laut Dr. Walter Seliger, Fachreferent beim GKV-Spitzenverband für Hilfsmittel, verfügen jetzt alle im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Windeln über ein höheres Aufsaugvolumen, der Grundversorgungsbedarf sei neu definiert worden und die Produkte müssten zusätzliche Tests durchlaufen.

Trotzdem scheint Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) immer noch nicht mir der Inkontinenzversorgung zufrieden zu sein. Kürzlich kündigte er an, die im April 2017 erst eingeführten Ausschreibungen wieder abzuschaffen und durch Vertragslösungen zwischen Kassen und Herstellern zu ersetzen. Das soll im TSVG geregelt werden. Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass Windeln, Gehhilfen und generell alle notwendigen Hilfsmittel gut und verlässlich seien, begründetet Spahn seinen Vorstoß. Der bisherige Preiskampf um das billigste Angebot gehe „zu oft zulasten der Patienten“.

Laut GKV-Spitzenverband erhielten im Jahr 2017 die GKV-Versicherten Hilfs- und Pflegehilfsmittel in Höhe von acht Milliarden Euro. Dazu gehören unter anderem Bandagen, Hörgeräte, Inkontinenzprodukte, Rollstühle, Kompressionsstrümpfe, Prothesen, Insulinpumpen, Blindenführhunde und Applikationshilfen zur Verabreichung von Arzneimitteln. Jetzt hat der GKV-Spitzenverband die Überarbeitung und Fortschreibung des 32.500 Produkte umfassenden Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses abgeschlossen. Der aktuelle Stand entspreche den versorgungsrelevanten medizinischen und technischen Erkenntnissen und Entwicklungen.

Damit profitieren GKV-Versicherte von einem verbesserten Hilfsmittelangebot. Sie erhielten unter anderem Hilfs- und Pflegehilfsmittel in höherer Produktqualität, hätten Zugang zu innovativen Produkten und Anspruch auf eine umfassende Beratung durch die Leistungserbringer über bedarfsgerechte und mehrkostenfreie Versorgungsmöglichkeiten. „Ab sofort müssen alle Leistungserbringer GKV-Versicherte zuerst über zuzahlungsfreie, krankenkassenfinanzierte Hilfs- und Pflegehilfsmittel aufklären, bevor höherpreisige Alternativen angeboten werden dürfen“, Kiefer. Allerdings räumte Kiefer ein, dass in der Realität Patienten häufig Zuzahlungen leisteten. Zahlen darüber gibt es nicht. Ende 2019 muss der GKV-Spitzenverband allerdings einen „Mehrkostenbericht“ vorlegen.

Die Überarbeitung des Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnis hat laut Kiefer zu zahlreichen Verbesserungen geführt: Mit dem motorbetriebenen und computergesteuerten Exo-Skelett können Querschnittsgelähmte aufstehen, sich hinsetzen, stehen und gehen. Mechatronische Fußpassteile und Kniegelenke verhelfen Versicherten sicherer zu gehen, senken das Sturzrisiko und erhöhen die Bewegungsmöglichkeiten. Mit myoelektrisch gesteuerten Armprothesen, die mithilfe von elektrischer Energie angetrieben werden und die noch vorhanden Muskelspannungen des Armstumpfes verstärken, können Nutzer besser greifen und Gegenstände halten.

Das Eigengewicht von Rollatoren darf künftig zehn Kilogramm nicht mehr überschreiten. Zu mehr Sicherheit tragen darüber hinaus Ankipphilfen, anatomische Handgriffe sowie allseitige Reflektoren bei. Die Neuregelung bei der Versorgung mit Elektromobilen schreibt vor, dass der individuelle Nutzungsumfang des Versicherten zuvor ermittelt wird. So könne etwa berücksichtigt werden, ob das Elektromobil auch im öffentlichen Nahverkehr genutzt werden soll.

Weiterhin wurden mit den Dienstleistungsanforderungen Rahmenbedingungen geschaffen, um individuelle Versorgungsbelange der Patienten stärker zu berücksichtigen: Die Dienstleistungsanforderungen richten sich an den Leistungserbringer und umfassen den gesamten von ihm zu verantwortenden Versorgungsprozess. Sie regeln die Beratung und Auswahl des Hilfsmittels, die Abgabe des Hilfsmittels, die Einweisung in den Gebrauch und den Service.

Im Sinne des HHVG dienen die neu formulierten Dienstleistungsanforderungen insbesondere dazu, die Information und Beratung der Versicherten über ihre Leistungsansprüche und Versorgungsmöglichkeiten zu verbessern. So wird im Einzelfall die erforderliche Versorgung im Sinne des Sachleistungsprinzips gestärkt und GKV-Versicherte sollen vor ungerechtfertigten Mehrkosten und überteuerten Hilfsmitteln geschützt werden. In der Überarbeitung und Fortschreibung des Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses für GKV-Versicherte waren zahlreiche Akteure beteiligt: Hersteller- und Leistungserbringerorganisationen, Patientenvertretungen, MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) und MDS (Medizinischer Dienst des GKV-Spitzenverbandes), medizinische Fachgesellschaften, Sachverständige sowie natürlich die Krankenkassen und ihre Verbände.

Im Zeitraum von Juli 2015 bis Dezember 2018 wurden die 41 Produktgruppen des Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses überarbeitet, fortgeschrieben und aktualisiert. Das Hilfsmittelverzeichnis umfasst 32.500 Produkte in 2600 Produktarten. „Die Hilfsmittelversorgung für GKV-Versicherte ist auf einem hohen Niveau – auch im internationalen Vergleich. Wir wissen natürlich, dass es weiterhin viel zu tun gibt. Deshalb sind wir kontinuierlich mit allen Akteuren im Gespräch. Neben den turnusmäßigen Fortschreibungen, die alle fünf Jahre erfolgen, werden wir wie bisher anlassbedingt Produktgruppen fortschreiben – insbesondere mit Blick auf digitale Versorgungsangebote“, so Kiefer.

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