Neue Hilfstaxe – Was nun? Dr. Franz Stadler, 30.01.2018 12:21 Uhr
Seit Donnerstag vergangener Woche ist der Schiedsspruch zur Hilfstaxe bekannt. Erwartungsgemäß wurden die Rabatte zu Gunsten der Krankenkassen deutlich erhöht. Aber es gab auch einige Ergebnisse, die weniger erwartbar waren und die erneut ein weitverbreitetes Problem offenbarten: Es verhandeln und entscheiden die falschen Leute, meint Apotheker Dr. Franz Stadler in einem Gastkommentar.
Die neue Hilfstaxe schreibt die alten Probleme, wie die Verwurfsproblematik oder den zu niedrigen Arbeitspreis, fort und schafft neue. So oder so ähnlich könnte man die Ergebnisse zusammenfassen. Aus der positiven Mischkalkulation vergangener Tage wurde eine negative und in der Tat steht die ambulante Zytostatikaversorgung vor einem gewaltigen Umbruch. Aber der Reihe nach: Was ist neu?
Die Rabatte wurden drastisch erhöht und für neue Wirkstoffuntergruppen, zum Teil sogar für einzelne Wirkstoffe festgesetzt. Dabei wurde die alte Systematik von Rabatten auf einen virtuellen Lauertaxenpreis fortgeschrieben und dass, obwohl es inzwischen kaum mehr erklärt werden kann, warum es diese Berechnungsgrundlage überhaupt noch gibt. Der in der Lauertaxe genannte Preisbasis, der 100-Prozent-Preis, den niemand mehr zahlt und auf den bis zu 83,7 Prozent Rabatt gegeben werden soll, existiert nur noch als Berechnungsgrundlage für einen überzogenen Herstellerrabatt. Man hätte auch die Systematik ändern und wieder mit Aufschlägen arbeiten können…
Für patentgeschützte Originalia wurde ein allgemeiner Rabatt von 1,6 Prozent eingeführt. Damit hat es der GKV-Spitzenverband geschafft, auf einem Gebiet Rabatte zu erzielen, wo er sonst bei den pharmazeutischen Unternehmern nur auf Granit beißt, und auf diese Weise den schwarzen Peter den herstellenden Apotheken zuzuschieben. Gerade sehr teure Zubereitungen können deshalb nicht mehr kostendeckend hergestellt werden. Selbst gewährte Skonti, die nur bei unverzüglicher Zahlung (also Vorfinanzierung) erzielt werden können, reichen als Gegenfinanzierung oft nicht aus und dürften aus kaufmännischer Sicht sowieso nicht von den Krankenkassen vereinnahmt werden.
Es wurde festgelegt, dass Ausschreibungen nach §130 Abs. 8a SGB V vorgehen und die Hilfstaxe trotzdem gilt. Der Satz „Gibt keiner der Rabattvertragspartner (Anbieter) den Wirkstoff zum Abrechnungspreis nach Ziffer 2 an die Apotheke ab, bildet sich der Abrechnungspreis ohne Berücksichtigung eines Abschlags“ wird noch zu vielen sozialgerichtlichen Auseinandersetzungen führen und verschafft den spezialisierten Anwälten auf Jahre hinaus Arbeit.
Erstmals gilt eine solche Vereinbarung rückwirkend und zwar rückwirkend für einen Zeitraum von praktisch drei Monaten. Nicht nur, dass sich keiner der Betroffenen rückwirkend weigern kann, unwirtschaftliche Rezepturen herzustellen oder sich sonst anders zu orientieren, nicht nur dass damit der letzte Rest von Vertrauen unter den Vertragspartnern zerstört wurde, der nachträgliche Rabattabzug wird auch so manchen in akute Liquiditätsprobleme bringen. Wegen der Länge des Zeitraums dürfte es sich um nicht unerhebliche Summen handeln, die von den Kassen einbehalten werden.
Neben den bereits angedeuteten Problemen stellt sich die prinzipielle Frage, wie kann es weitergehen? Da auch der Autor die Lösung nicht kennt, wird er einfach einige weitere ungelöste Fragen stellen, deren Beantwortung die Schiedsstelle und die jeweiligen Verhandlungsteilnehmer schlicht vergessen haben:
Wie werden die Originalhersteller reagieren? Werden sie den herstellenden Apotheken die geforderten Rabatte ersetzen oder wird internationalen Konzernen das wirtschaftliche Überleben herstellender Apotheken in Deutschland egal sein?
Kann ein Kontrahierungszwang fortbestehen, wenn einzelne Zubereitungen nur unter hohen Verlusten hergestellt werden können und zudem eine Mischkalkulation nicht mehr möglich ist? Muss ein hiervon betroffener Patient jedes Mal ins Krankenhaus eingewiesen werden, um seine Infusion zu bekommen?
Werden manche Krankenkassen auch weiterhin an ihrer zweifelhaften Retaxationspraxis festhalten, obwohl man einem sprichwörtlich nackten Mann nicht mehr in die Taschen greifen kann?
Was geschieht mit den Wirkstoffausschreibungen? Werden die Krankenkassen wegen ihres großen Erfolges bei der Hilfstaxe auf dieses Instrument verzichten oder werden sie das System weiter verkomplizieren und so das wohnortnahe Versorgungssystem endgültig zum Einsturz bringen? Wer wird die gegebenenfalls deutlich erhöhten Vorfinanzierungskosten der Apotheken bezahlen, die durch direkt von den Herstellern an die Krankenkassen fließende Rabatte entstehen (Einkauf und Abrechnung zu Lauertaxpreisen)? Werden die herstellenden Apotheken auf diesen Kosten und auf dem erhöhten Lagerrisiko sitzenbleiben? Werden die Kammern und andere Standesorganisationen endlich von ihren prozentualen Beiträgen abweichen?
Wie sollen die ständig steigenden Qualitätsanforderungen bezahlt werden?
Sollen wir bereits jetzt Teile unserer Mitarbeiter entlassen oder gleich unsere Reinräume ganz schließen?
Möge jeder Beteiligte eine passende Antwort finden!
Und zum Schluss noch einige Fragen in Richtung unserer Standesvertretung, an VZA und DAV: Warum werden die Verhandlungen immer so schlecht vorbereitet? War wirklich nicht zu erkennen, dass belegbare Daten gebraucht werden und hätte man diese nicht frühzeitig erheben können? Warum verhandeln diese Dinge Menschen, die in der Mehrzahl nichts mit der Sache zu tun haben, die nicht zuletzt deshalb schlecht verhandeln, deren Ausreden immer die Gleichen sind und denen ein schlechtes Ergebnis letztlich egal ist? Warum müssen am Ende Juristen über ein hochkomplexes System entscheiden?
Um Antwort wird gebeten.