Hersteller dürfen Ärzte nicht täuschen APOTHEKE ADHOC, 15.07.2016 11:01 Uhr
Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln dürfen ihre Produkte nur mit zugelassenen Gesundheitsaussagen bewerben, den sogenannten Health Claims. Dies gilt auch in der Kommunikation mit Fachkreisen, hat jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.
Ende 2013 hatte der bayerische Hersteller Innova Vital Ärzte angeschrieben und auf sein Produkt „Innova Mulsin Vitamin D3“ aufmerksam gemacht. 87 Prozent der Kinder in Deutschland hätten zu wenig Vitamin D im Blut. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass Vitamin D maßgeblich zur Prävention mehrerer Krankheiten beitrage. Anschließend wurden die vermeintliche Produktvorteile aufgezählt.
Der Verband Sozialer Wettbewerb klagte beim Landgericht München I (LG) auf Unterlassung der verschiedenen Behauptungen zur Wirkung von Vitamin D. Der Hersteller vertrat den Standpunkt, dass die Health-Claims-Verordnung sich nicht auf Werbung innerhalb der Fachkreise erstrecke. Das LG legte den Fall in Luxemburg vor.
Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass auch medizinische Fachkreise – trotz ihrer umfangreichen wissenschaftlichen Kenntnisse – durch falsche, irreführende oder unwahre Angaben in die Irre geleitet werden können. Dann bestehe die Gefahr, dass sie falsche Informationen „völlig gutgläubig an die Endverbraucher weitergeben, mit denen sie in Verbindung stehen“, so der EuGH. „Diese Gefahr verdient umso größere Beachtung, als die Fachkreise aufgrund des Vertrauensverhältnisses, das im Allgemeinen zwischen ihnen und ihren Patienten besteht, einen erheblichen Einfluss auf diese ausüben können.“
Dass in diesen Erwägungsgründen zur Richtlinie ein Hinweis auf die „Fachkreise“ fehlt, ist laut EuGH unerheblich. „Denn in einem solchen Fall zielt die Kommunikation zwischen den Lebensmittelunternehmern und den medizinischen Fachkreisen hauptsächlich auf den Endverbraucher ab, damit er das Lebensmittel, das Gegenstand der Kommunikation ist, auf Empfehlung dieser Fachkreise erwirbt.“ Schließlich würden Ärzte stillschweigend dazu aufgefordert, das betroffene Lebensmittel dem Endverbraucher zu empfehlen.
Der EuGH sieht das Risiko, dass Hersteller die Vorgaben zu den Health Claims umgehen könnten, wenn sie das Empfehlungsverhalten der Fachkreise durch nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben beeinflussen, die nicht auf wissenschaftliche Nachweise gestützt sind. Dies sei mit Ziel des hohen Verbraucherschutzniveaus nicht in Einklang zu bringen.
Lediglich objektive Informationen medizinischer Fachkreise wie Ernährungsrichtlinien oder ‑empfehlungen staatlicher Gesundheitsbehörden oder nicht kommerzielle Informationen in der Presse und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen seien von den Vorgaben ausgenommen. Alle kommerzielle Mitteilungen, die die Förderung des Absatzes zum Ziel haben, müssen sich den Regeln unterwerfen – unabhängig davon, an wen sie sich richten.
Seit 2006 gilt die EU-Verordnung zu Health Claims, mehr als 200 gesundheitsbezogene Aussagen wurden von der Lebensmittelbehörde EFSA bereits zugelassen. Angaben zu pflanzlichen Inhaltsstoffen wurden bislang jedoch ausgespart. Rund 2000 Claims werden daher derzeit von den Herstellern verwendet, ohne dass deren Stichhaltigkeit bewiesen wäre. Laut Experten wäre der größte Teil der Behauptungen wohl nicht zu halten.
Die EU-Kommission hatte den Prozess im September 2010 überraschend gestoppt und unlängst sogar grundsätzlich infrage gestellt. Offenbar geht es darum, die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln zu schützen. Die deutschen Phytohersteller laufen Sturm, da sie sich existenzgefährdend im Wettbewerb benachteiligt sehen. Die Pharmaverbände BAH und BPI fordern die EU-Kommission auf, den klaren gesetzlichen Auftrag des EU-Parlaments endlich umzusetzen und einen weiteren Missbrauch irreführender Werbeaussagen zu verhindern.
In Deutschland können Wettbewerbsvereine und Wettbewerber gegen irreführende Aussagen vorgehen und für entsprechende Produkte sogar eine Zulassung als Traditionsarzneimittel fordern. In Ländern wie Italien oder Großbritannien werden pflanzliche Präparate aber seit jeher als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Bionorica, Dr. Willmar Schwabe sowie der Zulassungsdienstleister Diapharm hatten die EU-Kommission sogar schon wegen Untätigkeit verklagt, vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) aber eine Schlappe kassiert.