Nachtdienstgedanken

Retaxeure sind auch nur Menschen

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Berlin -

„Autsch“, schreckte die Fantaschale aus ihrem nächtlichen Dämmerschlaf empor, „warum drückst du so feste zu?“ „Entschuldige“, bat ich Max, meinen alten Freund endloser Nachtdienstfantasien um Verständnis, „ich bin mal wieder so frustriert“. „Hast du wieder von der FDP geträumt?“ „Nein, ich habe einen Retax-Brief von der Barmer erhalten. Diese Kasse wird auch von Jahr zu Jahr seltsamer. Jetzt fischt sie sich Rezepte mit der Sondernummer Akutversorgung heraus und macht uns damit das Leben schwer. Sie misstraut uns, sucht nach der Stecknadel im Heuhaufen.“

Ich erzählte Max, dass neulich mittags ein Patient in meine Apotheke gekommen war mit einem Antibiotikarezept von seinem Zahnarzt. Der Mann hatte immer noch starke Schmerzen nach einer entzündlichen Wurzelbehandlung. Die rabattierten Arzneimittel waren alle nicht vorrätig und eine Bestellung nicht sinnvoll, weil ich mittwochnachmittags die Apotheke geschlossen habe. „Für mich ist das ein klarer Notfall. Dem Mann musste geholfen werden, also habe ich ihm mit einem anderen vorrätigen Antibiotikum versorgt“, erklärte ich der Fantaschale.

„Dann hast du doch alles richtig gemacht. Und was hat die Barmer dagegen?“, wunderte sich Max, „wenn ich Hilfe brauche, dann ist das doch immer ein Notfall.“ „Das sieht die Barmer aber völlig anders. Die will genau wissen, wie die Umstände waren. Ich muss jetzt zweifelsfrei beweisen, dass der Versicherte es nicht doch noch irgendwie zur nächsten Apotheke geschafft hätte, um eventuell das billigere Rabattarzneimittel zu erhalten.“ „Wie willst du dass denn beweisen?“, grübelte Max, „das ist eine Mission impossible. Soll die Barmer doch Detektive einstellen. Und dabei dachte ich, seit dem Kompromiss zwischen den Kassen und deinen Ober-Apothekern vom DAV wäre das Retax-Dilemma endlich erledigt“.

„Schön wärs, aber jetzt suchen sich die Retaxeure der Kassen neue Spielfelder. Obwohl wir fehlende Angaben auf dem Rezept nachtragen und anderen Kleinkram korrigieren dürfen, hat sich nicht viel geändert. Da sitzen bundesweit hunderte Mitarbeiter und lauern nur auf ihre Retax-Chance.“ „Dafür musst du ja auch irgendwie Verständnis haben“, grummelte die Fantaschale, „schließlich sind das auch nur Menschen und wollen nicht arbeitslos werden. Die haben sich jetzt jahrelang erfolgreich aufs Retaxieren spezialisiert. Da lassen die sich doch nicht einfach von so einem dahergelaufenen Retax-Deal das schöne Geschäft verderben. Jeder muss sehen, wo er bleibt – und einer ist immer der Dumme.“

„Auch hör doch auf. Warum müssen das immer die Apotheker sein. Wir sind doch keine Krämerseelen. Soll ich mit den Retax-Haien jetzt etwa noch feilschen? Ich hätte besser Haarspalterei studiert statt Pharmazie. Dem Patient muss geholfen werden – Barmer hin oder her. Oder soll ich jetzt jedes Mal nachmessen, ob der Patient es doch noch bis zur nächsten Apotheke schaffen kann. Muss ich fragen, ob er einen Führerschein und einen Pkw besitzt, muss ich abschätzen, ob er noch fahrtüchtig ist? Und was ist, wenn er starke Schmerzmittel eingenommen hat und mir das verschweigt. Am Ende lande ich dann noch wegen Fahrlässigkeit im Knast, wenn er auf dem Weg zur Konkurrenz verunfallt. Den Letzten beißen immer die Hunde.“

„Du hast es echt nicht leicht“, grübelte Max. „Was sagen denn deine Ober-Apotheker dazu?“ „Wie immer, nicht viel. Sie sind der Ansicht, dass die Barmer mir nicht das ganze Geld für das andere Arzneimittel wieder abknöpfen darf. Aber das stört die Barmer nicht. Die nimmt es sich einfach, bezahlt nicht. Und eine kluge Retax-AG hat der DAV eingerichtet – immerhin. Aber wie meistens streng geheim. Erfahren tut man nichts – vor allem nicht, wie ich mich gegen die Kassen wehren kann. Das hätte mich wirklich mal interessiert.“

„Du zahlst doch Beitrag bei deinem Apothekerverein. Gibt es da keine Retaxversicherung?“, fragte Max. „Das gibt es sogar beim ADAC. Wenn du ein Knöllchen bekommst, kannst du immerhin deinen Anwalt damit bezahlen.“ „Ach, das wäre schön“, dämmerte ich vor mich hin, „bei der nächsten Mitgliederversammlung werde ich mal einen Antrag stellen.“ „Träum weiter, schlaf gut.“

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