Nachdem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit dem Konzept der „Light"-Apotheke auf ganzer Linie überzeugen konnte, kam ihm beim Schlürfen eines zuckerfreien Kaltgetränks die nächste großartige Idee: die „Apotheke zero“. Warum nur Apotheker und nicht auch gleich noch PTA streichen? Die lästigen Themen Personalkosten und Fachkräftemangel sind in der Apotheke der Zukunft gänzlich Schnee von gestern. Das Erfolgskonzept lautet schließlich: „Zero Menschen = zero Kosten!“
In Lauterbachs „Apotheke light“ bedient eine PTA die Kundschaft; per Videocall kann sie in kniffeligen Fällen einen Apotheker zu Rate ziehen. Soweit die ursprünglich Idee. Weil aber gleichzeitig die Zahl der Filialen pro Verbund angehoben werden soll, kommen die Approbierten mit der Fernkontrolle schon bald an ihre Grenzen: Wer kann schon im Videoraum der Hauptapotheke sechs Beratungsgespräche gleichzeitig führen? Erst wird darüber nachgedacht, die Aufsicht auszulagern. Ein Call-Center in Indien hat bereits Interesse angemeldet und ein Dutzend diplomierte Pharmazeuten eingestellt. Doch warum überhaupt noch mit Menschen arbeiten? Geht Apotheke nicht ganz einfach komplett ohne Personal?
Die Kundschaft betritt die „Apotheke zero“ ganz einfach und sicher per Zwei-Faktor-Authentifizierung: erst über einen QR-Code-Scanner via Smartphone, auf dem die digitale Identität gespeichert ist, dann durch einen biometrischen Ganzkörper-Scan. Durch dieses Verfahren werden alle wichtigen Gesundheitsdaten und Vitalfunktionen automatisch erfasst.
Roboter nehmen nun die Kundschaft in Empfang. Sie lernen in jedem Beratungsgespräch dazu, dabei erweisen sich die Lieferengpässe als Vorteil: Man kann mit einer überschaubaren Zahl an verfügbaren Präparaten anfangen. Irgendwann soll die KI dann das komplette Fachwissen einer PTA oder eines Apothekers aufweisen – je nachdem, ob der Kunde gesetzlich oder privat versichert ist. Bei der Freundlichkeit hakt es noch ein bisschen, aber das Gespräch dauert ohnehin nicht mehr lange, weil die Software so programmiert ist, dass möglichst keine Zeit für Nebensächlichkeiten verloren geht. Guten Tag, Ihr Medikament, auf Wiedersehen. Das rote A steht nicht länger für Apotheke, sondern für Ausgabestation.
Bei der Gelegenheit lassen sich nachgelagerte Bereiche gleich mit entschlacken: Wo keine Fehler mehr gemacht werden, braucht es keine Dokumentation und kein QMS mehr, keine Revision, keine Audits und auch keine Rezeptkontrolle. WC und Liege können weg: Erstens gibt es keinen Notdienst mehr, zweitens brauchen Roboter keinen Schlaf. Die Ladestation ist dort, wo einst die Rezeptur war. Nur zur Wartung alle paar Wochen betritt überhaupt noch ein Mensch die Geschäftsräume.
Man spürt förmlich, wie die Fesseln der Bürkratie gesprengt werden. Wie das System wieder Luft zum Atmen bekommt (wenn Roboter atmen könnten). Selbst die teure Ausbildung ist obsolet: Antiquierte Pharmazieinstitute können modernen Ingenieursfakultäten weichen, in PTA-Schulen wird Platz für die Ausbildung zum Feinmechatroniker gemacht.
Die „Apotheke zero“ ist also in jeder Hinsicht der „Apotheke light“ überlegen und damit ein konsequenter Schritt bei der Abschaffung des Apothekenwesens, wie wir es heute kennen. Künftig gibt es in der Apotheke nur noch die allernötigste pharmazeutische Versorgung mit zero Menschlichkeit. Für Mitgefühl und ein offenes Ohr, für ein wenig Durchatmen und Hilfe bei Problemen, die nicht direkt mit dem Arzneimittel zu tun haben, ist die Apotheke ohnehin nicht der richtige Ort. Dafür gibt es doch den Gesundheitskiosk.
Tatsächlich lautet Lauterbachs Antwort auf den Fachkräftemangel: Fachkräfteabbau. Statt das Apothekenhonorar endlich zu erhöhen, um bessere Gehälter zu ermöglichen, will er dafür sorgen, dass weniger Personal benötigt wird: „Allgemein soll die Reform genutzt werden, um bürokratische Vorgaben zu flexibilisieren und Apotheken wirtschaftlich zu entlasten“, teilte sein Ministerium auf eine Anfrage von CDU/CSU unumwunden mit.
Lauterbach ist kein Gesundheits-, sondern ein Gesundheitsabbauminister: In einer älter werdenden Gesellschaft, in der eigentlich mehr Betreuungsangebote benötigt würden, rüstet er das Gesundheitswesen ab. Ein Preisschild hat er auch gleich rangehängt: 9 Millionen Euro können die Apotheken einsparen, wenn sie ausnamslos auf Light-Filialen umsteigen. Sagenhaft! Ist doch ein schöner erster Schritt hin zu den 2,7 Milliarden Euro, die die Abda für die Anhebung des Fixums auf 12 Euro gefordert hat.
Die Kassen sehen für zusätzliche Honorarsteigerungen an die Apotheken keinen sachlichen Grund: Da einzelne Arzneimittel immer teurer würden, steige damit auch die Vergütung von Jahr zu Jahr. Außerdem gebe es weitere Erhöhungen wie bei der Dokumentationsgebühr oder etwa der Vergütung von Notdiensten.
Die Versorgung von Kindern mit Antibiotika ist nach Einschätzung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in diesem Winter grundsätzlich stabil, vereinzelt sind aber Probleme möglich.
Zum Ende des dritten Quartals wurde bei den Apothekenzahlen ein neuer historischer Tiefstand erreicht: Nachdem es Ende 2022 noch 18.068 Apotheken gegeben hatte, wurden bis Ende September bereits 335 Apotheken geschlossen, darunter 308 Haupt- und 27 Filialapotheken. Einen ähnlich niedrigen Stand gab es das letzte Mal 1979.
Mit der Kundgebung in Hannover lieferten die Apothekenteams aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen den Auftakt in den Protestmonat November. Bis zu 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zählten die Veranstalter. Von der Abda war niemand angereist.
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