Der Apotheker in seiner Apotheke, der Arzt in seiner Arztpraxis: Die Freiberuflichkeit wird im deutschen Gesundheitswesen mit Selbstständigkeit verbunden. Doch immer mehr Mediziner scheuen das unternehmerische Risiko und bevorzugen das Angestelltendasein – der Markt ist in einem grundlegenden Wandel. Beobachter gehen davon aus, dass die demografische Entwicklung den Aufstieg der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) beschleunigen wird. Schon heute arbeitet mehr als jeder zehnte Arzt in der ambulanten Versorgung als Angestellter.
Rückt bei niedergelassenen Ärzte die Pensionierung näher, stehen sie oft vor denselben Problemen wie die Apotheker: In einigen Fachrichtungen wie der Pathologie fehlt schlichtweg der Nachwuchs, auch für Praxen auf dem Land lassen sich kaum Nachfolger finden. Wer will schon bei gedeckeltem Honorar rund um die Uhr für seine Patienten da sein?
„Viele Ärzte wollen heutzutage nicht mehr selbstständig sein“, sagt Ralf Sjuts, der die MVZ-Kette Patiodoc leitet. Er verweist auf Umfragen, nach denen mehr als die Hälfte der Teilnehmer ohne Risiko arbeiten will. Dem Berufsstand sei das „Unternehmer-Gen“ abhanden gekommen – mitunter stellten schon einfache Angelegenheit wie die Anmeldung des Stromanschlusses die Mediziner vor Probleme. „Da sind sicher viele ominöse Ängste im Spiel, aber auch ganz reale Sorgen.“
Gerade bei Landarztpraxen fehle den Medizinern jegliche Bereitschaft, sich finanziell zu binden. Kosten von 200.000 bis 300.000 Euro ließen viele Interessenten angesichts der ungewissen Zukunft zurückschrecken. „Einen Arzt zu finden, der eine Praxis auf dem Land übernimmt, ist nahezu aussichtslos. Ein Angestelltenverhältnis zu vermitteln, ist deutlich einfacher“, sagt Sjuts, dessen Unternehmen sich auf diesen Bereich spezialisiert hat.
Doch auch die Inhaber großer Praxen in 1A-Lagen tun sich mitunter schwer, Nachfolger zu finden. Gerade Einrichtungen mit teuren Apparaten überfordern regelmäßig die Zahlungsfähigkeit der Interessenten. „Ich bin kein Freund von MVZ – aber wenn die Rente kommt, werde ich mit ihnen sprechen müssen“, sagt ein Radiologe aus Sachsen. Er und seine beiden Partner könnten sich derzeit einfach keinen anderen Käufer vorstellen als die großen Klinikketten. „Niemand sonst hat das Kapital, um den Kaufpreis auf den Tisch zu legen.“
Eine Alternative sei die Aufnahme neuer Gesellschafter – doch der Übergang an eine neue Ärztegemeinschaft sei mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. „Was, wenn es zu Streit kommt oder einer der Partner vorzeitig aussteigen will“, gibt der Rheumatologe zu bedenken. „Wir müssen sehen, dass wir einen reibungslosen Übergang hinbekommen. Nur einen Teil der Anteile zu verkaufen, ist keine realistische Option.“
Ihn ärgert, dass gerade die Klinikkonzerne mittlerweile zahlreiche strukturelle Vorteile haben. Sie hätten die Möglichkeit, auf Ressourcen des Krankenhauses zurückzugreifen und auch teure Apparate steuergünstig abzuschreiben. Auch die Übernahme weiterer Facharztsitze sei für sie um Einiges leichter als für niedergelassene Ärzte. Zwar können MVZ nicht mehr einfach nur Arztsitze aufkaufen und so die Nachbesetzung der Praxis durch die KV umgehen: Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) muss der Arzt mindestens drei Jahre lang im MVZ als Angestellter arbeiten, bevor sein Arbeitgeber über die Stelle verfügen kann. „Aber wie soll ich einen Kollegen, der mit seinem Berufsleben abgeschlossen hat, drei Jahre lang bei Laune halten?“ Kliniken hätten es deutlich einfacher, solche Durststrecken durchzustehen, so der Rheumatologe.
Überhaupt sei mit dem Aufkommen der MVZ und dem Vordringen der MVZ die Bedarfsplanung, die eigentlich die Versorgung sichern soll, zu einem Geschacher um Facharztsitze verkommen. Durch die Möglichkeit, die Stellen unter verschiedenen Angestellten aufzuteilen, hätten Kliniken sowieso immer die Nase vorne.
Auch bei strategisch wichtigen Indikationen – beispielsweise der Onkologie – können etwa Kliniken oder Apotheker andere Ärzte locker ausstechen. Omnicare, Zytoservice und C & C Compound & Care beispielsweise haben sich bereits erfolgreich bei Tumor- und Fachkliniken eingekauft. Zwar hatte die schwarz-gelbe Koalition 2012 den Kreis der gründungsberechtigten Gesellschafter eingeschränkt, um die Patienten vor Spekulanten zu schützen. Kliniken blieben aber weiterhin als Betreiber zugelassen. Dazu kommt, dass nach einem aktuellen Urteil des Hessischen Landessozialgerichts auch MVZ andere MVZ betreiben können. Wer also als Investor rechtzeitig den Fuß in die Tür gesetzt hat, kann weiterhin in der ambulanten Versorgung mitmischen.
Nach Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gab es zuletzt 2156 MVZ, in denen 1341 Vertragsärzte und 14.317 angestellte Mediziner tätig waren. An 40 Prozent der Einrichtungen waren Vertragsärzte beteiligt, an weiteren 40 Prozent Krankenhäuser. 20 Prozent hatten andere Träger. Die meisten MVZ sind in Städten angesiedelt, nur 14 Prozent in ländlichen Gemeinden zu finden.
Laut Sjuts könnten MVZ ein wichtiges Instrument sein, um die Versorgung auf dem Land zu sichern. Noch stehe man ganz am Anfang, denn nach wie vor sei das Thema „ideologisch verbrämt“. Aus seiner Sicht müssen sich die Ärzte aber endlich zusammentun, sonst würden sie irgendwann von der demografischen Entwicklung überrollt.
Die Zurückhaltung dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Ärztefunktionäre sich mit dem Thema selbst eine blutige Nase geholt hatten. 2004 hatte die verfasste Ärzteschaft noch gegen die Einführung von MVZ durch die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) protestiert.
Doch einige Jahre später spielte sie selbst mit: Mit einer eigenen Firma, an der damals auch die Apobank und andere Investoren beteiligt waren, sollten binnen zehn Jahren 100 Standorte gegründet und ein zweistelliger Millionengewinn erwirtschaftet werden. Der Startphase „im unterversorgten Raum“ sollte sich „opportunistisches Wachstum“ anschließen. Selbst der „Betrieb von Apotheken“ stand zur Diskussion. Am Ende scheiterte das Konzept an den Bedürfnissen des Marktes und an den inneren Widerständen.
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