Ärztelobby

Die Ärzte-AG und die MVZ-Kette Patrick Hollstein, 07.05.2014 09:22 Uhr

Berlin - 

Apotheken, betrieben von der ABDA? Wenn die Zahl der Betriebsstätten weiter so rasant sinkt wie in den vergangenen Jahren, werden sich Kammern und Verbände irgendwann Gedanken machen müssen, wie sich die flächendeckende Versorgung sicherstellen lässt. Denn ansonsten könnten Versandapotheken in die Bresche springen, dessen ist sich auch ABDA-Präsident Friedemann Schmidt bewusst. Die Ärzte sind diesbezüglich einen Schritt weiter – doch das Projekt Patiodoc zeigt, dass es erhebliche Risiken gibt, wenn sich standespolitische und wirtschaftliche Interessen vermischen. Selbst den Betrieb von Apotheken hatten die Mediziner ins Auge gefasst. Die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Apobank) zieht sich jetzt aus dem Projekt zurück.

Patiodoc wurde 2010 gegründet, damals noch unter dem Namen Patiomed. Die Firma sollte unter einer gemeinsamen Dachmarke medizinische Versorgungszentren (MVZ) etablieren – in Abstimmung mit den Ärzten vor Ort und nicht in Konkurrenz zu diesen, wie immer beteuert wurde. Vor allem in unterversorgten Gebieten sollte Patiodoc aktiv werden, ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem geriatrischen Bereich.

Derzeit gehören dem Unternehmen fünf Häuser, in denen die Ärzte entweder selbstständig oder angestellt tätig sind, sowie mehrere Physio- und Ergotherapiepraxen. Die Patiodoc-Einrichtungen sind allerdings nicht auf dem platten Land zu finden, sondern in Berlin, Duisburg, Heusweiler, Koblenz und Dieblich.

Zusätzlich leitet Patiodoc im Auftrag der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) fünf sogenannte Sicherstellungspraxen, die tatsächlich in entlegenen Regionen die Versorgung aufrecht erhalten: eine in Niedersachsen – hier soll im Juni eine weitere eröffnen – und vier in Brandenburg. Auch beim „KV RegioMed Patientenbus“ war Patiodoc mit an Bord.

Das Unternehmen mit heute 110 Mitarbeitern wollte sich nie als renditeorientierter MVZ-Betreiber verstanden wissen, sondern für Ärzte eine Alternative zur Selbstständigkeit sein. Dadurch sollte die demografische Entwicklung innerhalb des Berufsstandes – weniger Ärzte, mehr Ärztinnen – abgefedert werden. Über Anstellungs- oder Zeitverträge sollten Mediziner in unterversorgte Gebiete gelockt werden – ganz ohne finanzielles Risiko.

Schließlich sollten niedergelassene Ärzte und MVZ-Betreiber bei Patiodoc Dienstleistungen buchen können, um sich auf die Versorgung zu konzentrieren: Das Angebot reicht von der Markt- und Standortanalyse bis hin zum Hausmeister- und Reinigungsdienst.

Soweit die Theorie. In der Praxis sorgte das Projekt von Beginn an für viele Diskussionen. Viele Mediziner zweifelten an der versorgungspolitischen Ausrichtung des Unternehmens, das binnen zehn Jahren 100 Ärztezentren – eigene Standorte, Minderheitsbeteiligungen und Franchisepartner – betreiben und sehr wohl eine ordentliche Rendite erzielen wollte: Der Ärztenachrichtendienst (änd) berichtete 2010 über ein geheimes Strategiepapier, in dem für 2020 ein Vorsteuergewinn von 33 Millionen Euro angepeilt wurde.

Der Start „im unterversorgten Raum“ sollte demnach vor allem ein positives Image bringen, zu Akzeptanz bei Kassen und Ländern führen und den Widerstand innerhalb der Ärzteschaft gering halten. Für den Zeitraum nach der Markteinführung war „opportunistisches Wachstum (Markt der Möglichkeiten) mit definiertem Kundenprofil (Unterversorgung, Familie, Senioren, Unternehmen etc.)“ geplant.

Schließlich sollten die Patiodoc-MVZ zum „Nukleus für ein integriertes Versorgungsmodell“ werden: „Interesse der Krankenkassen, der Länder und der Patienten an einer Problemlösung ist vorhanden (Möglichkeit von Vertragsabschlüssen mit einzelnen Krankenkassen)“, zitierte der änd aus dem Strategiepapier, das die Patiodoc-Initiatoren gemeinsam mit der zu Holtzbrinck gehörenden Unternehmensberatung Prognos erarbeitet hatten.

Dem Ideenreichtum waren damals anscheinend keine Grenzen gesetzt: „Versorgungslogistik“, lautete ein Überbegriff für Doc-on-Tour- sowie Praxis-Sharing-Konzepte und mobile Gesundheitszentren in kleinen bis mittelgroßen Städten in unterversorgten Räumen. Außerdem standen das „Angebot von Laborleistungen“ und der „Betrieb von Apotheken“ zur Diskussion.

Für zusätzliche Skepsis sorgte von Beginn an die Tatsache, dass Patiodoc zwar auf eine Initiative der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zurückging, die Standesvertretung aber formal bis heute nicht involviert ist. Stattdessen hatten rund 40 KV- und KBV-Vorstände jeweils 2000 Euro aus ihrem Privatvermögen in eine Stiftung investiert, die über eine wirtschaftende Tochter an Patiodoc beteiligt ist. Versprochen wurde den Standesvertretern angeblich eine Rückzahlung in Form einer Dividende nach Erreichen der Gewinnschwelle.

Weitere Gründungsgesellschafter waren der Deutsche Ärzteverlag, der wiederum KBV und Bundesärztekammer gehört, sowie die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Apobank). Mit dabei sind neben den Ärzten aber auch „Partner“ wie der Verband der Privatärztlichen Verrechnungsstellen sowie die Klinikkette Asklepios und der Laborkonzern Sonic Healthcare. Auch der Verband deutsche Nierenzentren sowie zwei gemeinnützige Betreiber von Dialysezentren, KfH und PHV, sind dabei.

Wirtschaftlich war Patiodoc bislang nicht erfolgreich; auf mehr als 5 Millionen Euro summierten sich die Verluste bis Ende 2012. Nach dem Abgang des langjährigen KBV-Chefs Dr. Andreas Köhler dauerte es daher nur wenige Wochen, dass wichtige Projektpartner das Handtuch warfen.

Für den Ärzte-Verlag sprang der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) ein. An der Spitze stehender neue KBV-Chef Dr. Andreas Gassen sowie der Bundesvorsitzende des NAV-Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich. Geschäftsführer ist seit einem Jahr der ehemalige FDP-Gesundheitspolitiker und MVZ-Betreiber Lars Lindemann.

Jetzt steigt die Apobank „planmäßig“ aus; man werde aber bevorzugter Geschäftspartner bleiben, heißt es in Düsseldorf. Ein Nachfolger für die Genossenschaftsbank wird noch gesucht: „Es ist der Einstieg ein bis zwei neuer Investoren geplant, wir sind da mitten im laufenden Prozess“, sagt Patiodoc-Chef Ralf Sjuts.

An der Strategie des Unternehmens ändere sich nichts: Der Grundgedanke „Von Ärzten für Ärzte“ bleibe bestehen, so Sjuts. Die Kritiker bleiben aber skeptisch, dass die Standesvertreter mit Patiodoc den eigenen Berufsstand Kapitalinteressen ausliefern – auch wenn es derzeit wenig gibt, was zu versilbern wäre.