APOTHEKE LIVE zur Apothekenreform

Müller (BMG): Keine Mehrheit für pauschale Honorarerhöhung

, Uhr aktualisiert am 26.06.2024 11:55 Uhr
Thomas Müller (BMG), Dr. Sebastian Schwintek (Treuhand Hannover), Holger Seyfarth (HAV) und Nadine Tröbitscher (von links).Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin -

Was bringt die Apothekenreform (ApoRG), wie sind die einzelnen Vorhaben zu bewerten? Geht es tatsächlich um Erleichterungen, wie vom Ministerium behauptet, oder ist Endzeitstimmung angebracht? Was erwartet die Politik von den Apotheken, was können die Apotheken von der Politik erwarten? Wie können die Beteiligten endlich in einen konstruktiven Dialog über die Frage kommen, wie die Arzneimittelversorgung der Bürgerinnen und Bürger künftig aussehen soll? Darum ging es heute beim APOTHEKE LIVE.

Die Apothekenreform des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nimmt Gestalt an – die Apotheken erhalten nicht mehr Geld, sondern sollen durch Lockerungen bei den apothekenrechtlichen Vorgaben in die Lage versetzt werden, ihre Einkommenssituation durch Einsparungen selbst zu verbessern. Die Branche läuft Sturm: Die Pläne bedeuteten über kurz oder lang das Aus für die Apotheke, wie wir sie heute kennen.

Was bringt die Apothekenreform, wie sind die einzelnen Vorhaben zu bewerten? Geht es tatsächlich um Erleichterungen, wie vom Ministerium behauptet, oder ist Endzeitstimmung angebracht? Was erwartet die Politik von den Apotheken, was können die Apotheken von der Politik erwarten? Wie können die Beteiligten endlich in einen konstruktiven Dialog über die Frage kommen, wie die Arzneimittelversorgung der Bürgerinnen und Bürger künftig aussehen soll?

Darüber sprachen:

  • Thomas Müller, Abteilungsleiter Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie im Bundesgesundheitsministerium
  • Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbands
  • Dr. Sebastian Schwintek, Generalbevollmächtigter Treuhand Hannover
  • Professor Dr. David Matusiewicz, FOM Hochschule

10:05 Uhr: Der Live-Talk startet.

Nadine Tröbitscher, Chefredakteurin APOTHEKE ADHOC, verweist auf die abwesende Abda-Präsidentin, dennoch müsse heute auch über die Rolle der Abda gesprochen werden.

Holger Seyfarth: „Es besteht Handlungsbedarf und der Gesetzgeber hat diesen auch erkannt. Wir brauchen eine Reform, am besten eine, die auch mehrere Jahre trägt.“

Dr. Sebastian Schwintek: „Was wir sicher nicht brauchen, ist eine Deformation der Apotheken.“

Thomas Müller: „Wir müssen die Apotheke stärken und fit machen.“ Außerdem gehe es um eine Stärkung der Apotheken im strukturschwachen Raum.

Professor Dr. David Matusiewicz: „Wir brauchen immer Reformen, die Frage ist nur, ob es eine echte Reform ist oder ein Reförmchen.“

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu wenige Apotheken haben“, so Matusiewicz. Es komme jedoch auch auf die jeweilige Struktur an. Er selbst habe vor Kurzem rund sieben Kilometer zur nächsten Apotheke fahren müssen, um sein krankes Kind versorgen zu können.

Er geht mit den Reformplänen mit – zumindest teilweise. Denn die hybride Versorgung sei die Zukunft. Der Apotheker müsse in einigen Fällen in jedem Fall vor Ort sein, in anderen Fällen sei jedoch auch eine telepharmazeutische Zuschaltung möglich. PTA könnten als „Hilfssherriffs“ fungieren, hier sei künftig womöglich auch eine Akademisierung denkbar. Die Rolle der „Apotheke als Tankstelle der Gesundheit“ müsse neu gedacht werden.

Seyfarth: Stimmt zu, doch es dürfe nicht die pharmazeutische Kompetenz vor Ort geschmälert werden. „Wir haben ja ein gutes System – noch.“

Müller: Aktuell werde die Kompetenz der Apotheken nicht voll ausgeschöpft, dies wolle man ändern. „Die pDL fliegen nicht.“ Daher gehe es darum, die Kompetenzen auszuweiten. „Wir wollen, dass die Apotheker:innen mehr Zeit für die anspruchsvollen Aufgaben haben.“

Seyfarth: Die Apotheker:innen sind mit Lieferengpässen, der Einführung des E-Rezepts und vielem mehr beschäftigt.

Müller betont, dass es nicht darum gehe, dass PTA die Apotheke leiten, sondern lediglich öffnen und betreiben dürfen.

Seyfarth: „Fakt ist, dass kein Apotheker vor Ort ist, darauf kommt es an.“ Außerdem fehle es in der Bevölkerung an Verständnis, wenn plötzlich kein Apotheker mehr vor Ort ist. Die Frage, ob es dazu eine Kampagne gebe, um die Bürger:innen mitzunehmen, lässt Müller offen.

Müller: Die Rolle der PTA müsse gestärkt werden, denn sie übernehmen bereits 80 Prozent der Arzneimittelversorgung. „Wir dürfen die PTA nicht unterschätzen.“ Die Frage sei, ob das „Soziale“ an dem Beruf unbedingt ein Studium erfordere.

Matusiewicz betont im Hinblick auf die Vergütung, dass es vor allem im Hinblick auf die Versorgung mit Hochpreisern eine auskömmliche Vergütung brauche, um das Risiko für die Apotheken abzufedern.

Seyfarth: „Wer soll die Patient:innen versorgen, wenn sich die Versorgung nicht mehr lohnt?“

Müller: Man sehe, dass es für die Apotheken enger werde. Dies müsse im Blick behalten werden. Nun werde erst einmal eine Datengrundlage benötigt, um die Honorierung dann in zwei Jahren noch einmal zu überprüfen.

Matusiewicz: Die künftige Vergütung muss die Grundausgaben decken und eine Planungssicherheit ermöglichen.

Seyfarth: „Jetzt noch einmal zwei Jahre weiterzumachen, halte ich für schwierig.“ Man müsse zwar evidenzbasiert arbeiten, doch angesichts der aktuellen Herausforderungen seien die Pläne mit Vorsicht zu betrachten. Er glaube, dass in einem Jahr weitere Apotheken geschlossen haben werden. Das System müsse zunächst einmal stabilisiert werden. Die Apotheken wollen weitere Services anbieten und die Versorgung sichern.

Müller: „Ein Minister kann die Lieferengpässe nicht per Fingerschnipps ausschalten.“ Die Vorhaben würden so lange Zeit in Anspruch nehmen, weil zahlreiche Abstimmungen notwenig seien. Es gehe nicht um eine pauschale Anhebung, sondern um eine gezielte Stärkung. In der gestrigen Verbändeanhörung seien einige Vorschläge vorgebracht worden, unter anderem von der Adexa. Man müsse sich überlegen, woher die finanziellen Mittel kommen können.

Seyfarth: Die aktuelle Situation sei bereits so, dass Patient:innen mitunter von mehreren Apotheken abgewiesen werden, um überhaupt mit Hochpreisern versorgt zu werden. Die geplante Honorarabsenkung werde dies noch verschärfen. „Ich garantiere und prophezeie: Wenn wir uns in einem Jahr hier treffen, haben wir weniger Apotheken mit weniger Leistungen.“

Müller: „Wir müssen gemeinsam über Kostensenkungen sprechen.“ Man könne natürlich weder Apotheker:innen noch PTA „herzaubern“, dennoch müssten Kosten gespart werden. Eine pauschale Ablehnung, wie sie beispielsweise in der Abda-Stellungnahme deutlich werde, sei jedoch nicht zielführend. In Zukunft müsse der Apothekeninhaber entscheiden, wie gespart werden kann. Dies sei beispielsweise über verkürzte Öffnungszeiten möglich.

Seyfarth: Diese Flexibilisierung sei zwar gut gedacht, doch in der Praxis nur schwierig umzusetzen. So könnten zwar die Öffnungszeiten an die Kundenströme angepasst werden, doch was passiere in dieser Zeit mit dem Personal? Doch generell gebe es Möglichkeiten, um hier Lösungen zu finden. „Es gibt Vorschläge von einer kleinen ausgewählten Expertengruppe.“

Dr. Schwintek verweist auf die aktuellen Zahlen und Berechnungen der Treuhand, wonach die Betriebsergebnisse bei einem Drittel der Apotheken bei rund 17.000 Euro im Jahr liege. „Wir haben Apotheken, die im Minus landen und praktisch jeden Tag Geld in ihre Apotheke mitbringen.“ Durch die Reform würden diese Apotheken die geplanten zwei Jahre nicht überleben. Selbst das nächste Drittel der Apotheken, das bei den Betriebsergebnissen im mittleren Bereich liege, sei gefährdet. „Die Apotheken, die es schaffen, leisten für die Kolleg:innen Sterbehilfe.“

Für eine pauschale Honoraranhebung gibt es aktuell keine Mehrheiten.

Thomas Müller

Müller: Im BMG habe man sich die Kosten- anstelle der Einnahmenseite angeschaut. „Wir kennen die Zahlen und wissen, dass einige Apotheken bedroht sind. Es gibt aber auch umsatzstarke Apotheken.“ Genau deshalb gehe es nicht darum, eine pauschale Erhöhung zu beschließen. Das Ziel sei es, die Frage der Honoraranpassung weniger tagespolitisch zu gestalten, deshalb seien valide Daten notwendig.

Seyfarth: „Wir wissen, dass politische Mehrheiten nicht immer richtig sind. Wir sehen alle, dass Handlungsbedarf besteht.“ Es sei nur ein kleiner Schritt für Gesundheitsminister Lauterbach, um entsprechende Entscheidungen, die sich mitunter nicht als richtig erwiesen haben, zu korrigieren. Man stehe gerne bereit, um über Lösungen zu diskutieren. „Unser Angebot steht.“

Dr. Schwintek: Die Politik verweigere den Apotheken, die auch an der Daseinsvorsorge beteiligt sind, eine fällige Honoraranpassung.

Müller: Die Abda sei sowohl vor den Eckpunkten als auch vor dem Entwurf im BMG zugegen gewesen, auch auf höchster Ebene mit dem Minister. Es habe zwar Vorschläge gegeben, diese hätten sich allerdings hauptsächlich auf eine pauschale Honoraranpassung bezogen. „Zur Strukturreform generell gab es nur wenige Ideen.“ Eine pauschale Dämonisierung der Reformpläne sei jedoch nicht zielführend.

Woher die Idee für die „Apotheke ohne Approbierte" genau kam, ließ Müller offen.

Müller verstehe die Kritik, dass die Pläne zunächst über die Medien verbreitet wurden, doch diese Stilistik sei in anderen Politikbereichen ebenfalls üblich.

Seyfarth: „Die Politik muss entscheiden: Will sie mehr Kompetenz, mehr Versorgung etc. oder nicht.“ Hier sei man gerne gesprächsbereit und dieses Angebot sollte auch genutzt werden.

Müller: Wenn auf Vorschläge/Pläne nur Polemik als Antwort komme, wie in der Abda-Stellungnahme, sei es schwierig, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Die Situation der Apotheken ist unbefriedigend.

Thomas Müller

Müller: Die positive Begeisterung für den Heilberuf sei aktuell eher gering ausgeprägt, dies gelte es zu ändern. Die Attraktivität müsse gesteigert werden und dafür müssten die Inhalte des Berufsbildes weiter ausgestaltet werden.

Dr. Schwintek: Eine der Stellschrauben sei nun einmal die Bezahlung. Denn auch Kompetenzerweiterungen müssen erst einmal bezahlt werden. Wenn man beispielsweise an eine PKA denke, die mit ihrem Gehalt eine Wohnung in Berlin suchen müsse, sei dies kaum zu stemmen.

Müller: Es seien keine Apotheken-Ketten geplant, auch Shop-in-Shop-Apotheken seien nicht Teil des Entwurfs, sondern lediglich leichte Anpassungen in puncto Zweigapotheken. Das Ziel der Refom sei es, die Qualität der Apotheken beizubehalten. Man habe auch die PTA gefragt, die sich klar für mehr Kompetenzen und eine Änderung der Ausbildung ausgesprochen hätten. Hier sei beispielsweise ein Modul „Telepharmazie“ möglich.

Seyfarth: „Es ist ein Angebot, nach dem niemand gefragt hat.“ Wenn PTA die geplanten Zusatzaufgaben übernehmen, würden sie dies sicherlich nicht umsonst machen. Somit sei das Einsparpotenzial der „Apotheke ohne Approbierte“ auch eher gering.

Müller: „Wir versuchen, die Attraktivität zu verbessern.“ Den Mangel könne man natürlich nicht ausschalten. Doch Ziel sei es, Inhaber:innen mehr Freiheiten einzuräumen und zugleich die Kompetenzen zu stärken.

Seyfarth appelliert an Müller, dass die Apotheken wollen und auch können, aber dass dies auch entsprechend honoriert werden müsse.

Dr. Schwintek: Der Verweis auf die vergangenen Pandemiejahre sei wenig zielführend. So hätten viele Apotheken dies genutzt, um längst überfällige Investitionen zu tätigen. Doch dies sollte bei den aktuellen Überlegungen nicht im Fokus stehen.

Müller: Die Finanzierung der Hochpreiser sei gesichert über die geplanten 2 Prozent.

Seyfarth: „Wir erleben mindestens zwei- bis dreimal die Woche Patient:innen, die überhaupt nicht aus der Nähe kommen, um in unserer Apotheke mit Hochpreisern versorgt zu werden.“

Müller: Man sei moderat an die Anpassung der Vergütung herangegangen.

Seyfarth bedankt sich für das konstruktive Miteinander im Talk und bittet darum, die Chance zu nutzen, die vorgebrachten konstruktiven Vorschläge umzusetzen.

Dr. Schwintek: Es brauche eine substanzielle wirtschaftliche Stärkung, auch für die Mitarbeitenden. Denn es solle eine Weiterentwicklung in den Apotheken geben, doch diese müsse auch finanziert werden. „Es braucht weiter Apotheken, die diesen Namen auch verdienen, sprich mit Apothekern vor Ort.“

Müller: „Wir müssen die Ebenen Politik und fachspezifische Diskussionen trennen und brauchen statt Dämonisierung eine gemeinsame Kommunikation. Außerdem wünsche ich mir eine Stärkung der Vor-Ort-Apotheken.“

11:40 Uhr: Ende des Live-Talks

Die Speaker

Thomas Müller, BMGFoto: Andreas Domma

Thomas Müller, BMG

Thomas Müller ist Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, Abteilung 1 „Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie“, zu der auch das Referat Apotheken gehört. Er ist von Hause aus Arzt und Apotheker, war Leiter der Krankenhausapotheken unter anderem am Universitätsklinikum Rostock. 2007 übernahm er die Leitung der Abteilung Arzneimittel beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Im April 2018 holte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ihn ins BMG.

Holger Seyfarth, HAVFoto: APOTHEKE ADHOC

Holger Seyfarth, Hessischer Apothekerverband

Holger Seyfarth ist selbstständiger Apotheker und betreibt vier Apotheken in Frankfurt am Main. Nach Tätigkeit in öffentlichen Apotheken, wo er unter anderem für die Klinikversorgung und Sterilherstellung verantwortlich war, arbeitete er für Roche, zunächst im Marketing und Vertrieb für Rx-Arzneimittel mit den Schwerpunkten Antibiotika und Anästhetika, später für die Division Vitamine und Feinchemikalien. Nachdem er 2000 eine eigene Firma für Food Supplements gegründet hatte, übernahm er 2004 seine erste Apotheke in Frankfurt, gefolgt von drei Filialen (2006, 2016 und 2021). Seit 2017 ist er Vorsitzender des HAV.

Dr. Sebastian Schwintek, Treuhand HannoverFoto: Mark Mattingly

Dr. Sebastian Schwintek, Treuhand Hannover

Dr. Sebastian Schwintek ist promovierter Rechtsanwalt. Von 2007 bis 2017 war er Mitglied der Geschäftsführung im Apothekerverband Westfalen-Lippe, davon sieben Jahre als Geschäftsführer. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin war er von 2018 bis 2022 Hauptabteilungsleiter für Vertragsärztliche Versorgung. Seit Januar 2023 ist er Mitglied der Geschäftsleitung bei der Treuhand Hannover.

Professor Dr. David Matusiewicz, FOM HochschuleFoto: FOM Hochschule

Professor Dr. David Matusiewicz, FOM Hochschule

Professor Dr. David Matusiewicz ist Gesundheitsökonom. Nach dem Studium an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftungslehrstuhl für Medizinmanagement; ein Schwerpunkt war der Bereich der Arzneimittelsteuerung. Von 2009 bis 2017 arbeitete er als Controller für die Novitas BKK. Seit August 2014 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Essen. Hier ist er Dekan für den Fachbereich „Gesundheit & Soziales“. Er ist außerdem geschäftsführender Gesellschafter der DXM Group, Founder, Herausgeber, Autor sowie Speaker und Moderator im Gesundheitswesen.

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