Auch wenn die Standesvertretung die Apothekerschaft nicht an der Seite der protestierenden Landwirt:innen sieht, hält das einzelne Apotheker trotzdem nicht davon ab, ihre Meinung zur Ampel-Regierung allgemein und zu den Reformenplänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbachs (SPD) im Besonderen kundzutun. Apotheker Markus Brinker beteiligt sich an den Protesten.
„Auch wir Apotheken möchten uns gerne friedlich Gehör bei der Politik verschaffen“, so Brinker, der sich vor seiner Marien-Apotheke in Wenden im Sauerland mit Traktor und Aufsteller am aktuellen Protest der Landwirt:innen und anderer Branchen beteiligt. „Stoppt die Ampel, wir haben die Nase voll“, ist auf seinem Plakat zu lesen. Er hat seinen eigenen restaurierten Traktor, einen alten Eicher Mammut Baujahr 1964, vor seine Apotheke gestellt.
Nicht nur er, sondern auch viele Kolleg:innen seien mit der Politik der Regierung nicht zufrieden. „Als ich erfahren habe, dass die Landwirte gegen die Pläne der Ampelregierung am 8. Januar massiv protestieren wollen, habe ich mich entschieden, mit dieser Aktion mitzumachen und ein Zeichen zu setzen. Wir Apotheken leiden massiv unter der Gesundheitspolitik der Ampel. Wenn diese Politik so weitergeführt wird, wird das Apothekensterben unweigerlich beschleunigt“, so der Apotheker.
Es würde nicht nur wirtschaftlich immer schwieriger eine Apotheke zu führen, so Brinker, es gebe auch zahlreiche weitere Probleme und Hürden. Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie, die ständigen Gängelungen der Krankenkassen und vieles mehr würden der Branche das Überleben schwer machen – kein Wunder, dass der Nachwuchs diesen Beruf und erst recht die Selbstständigkeit scheue. Eigentlich empfinde er seinen Beruf als erfüllend, verstehe aber, warum junge Pharmazeut:innen kaum noch zu begeistern seien.
Appelle und Forderungen der Abda verhallten bei Lauterbach, „der immer noch glaubt, Apotheker fahren mit ihrem Porsche mittags zur Arbeit und hätten ein üppiges Auskommen“. Für die Zukunft der Apotheken sehe es laut Brinker düster aus, aber Resignation komme für ihn nicht infrage. „Die Aktion ist ein gutes Instrument, mit den Patienten in den Dialog zu treten und auf die Sorgen und Nöte der Apotheken hinzuweisen.“ Die Straße vor der Apotheke ist stark befahren, auch mit den Kund:innen kommt er wegen des Protests ins Gespräch. Hier gibt es Zuspruch und Verständnis.
„Ich bin ich auch ein kleiner Hobbylandwirt mit acht Hühnern, vier Hunden und einem zahmen Eichhörnchen und allein schon deshalb mit den Landwirten solidarisch. Zudem habe ich heute Geburtstag und mein Wunsch ist es, dass zumindest die geplanten einschneidenden Maßnahmen gegen die Landwirte zurückgenommen werden. Vielleicht passiert bei uns Apotheken irgendwann ja auch eine Abkehr von der desaströsen Gesundheitspolitik. Ich bleibe jedenfalls dran und werde nicht müde, meinen Protest gegen die Ampelpolitik zu zeigen.“
Die Proteste der Landwirte gegen Subventionskürzungen haben am Montag bundesweit zu großen Verkehrsbehinderungen geführt. Am Brandenburger Tor in Berlin nahmen rund 550 Demonstranten mit ähnlich vielen Fahrzeugen am Protest teil, darunter zahlreiche Traktoren. In Erfurt zählte die Polizei etwa 1600 Fahrzeuge. An vielen Orten gab es Traktorkolonnen sowie zeitweilige Blockaden von Autobahnauffahrten. Im VW-Werk Emden wurde die Produktion gestoppt. Es sei für die Beschäftigten nicht möglich gewesen, zur Arbeit zu kommen, sagte eine VW-Sprecherin. Die Bauern erhielten in einigen Städten Unterstützung, etwa von Lastwagenfahrern und Handwerkern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte vor einer Kaperung der Bauernproteste durch extreme Kräfte.
„Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt“, sagte der Grünen-Politiker in einem auf sozialen Medien verbreiteten Video. Darin forderte er auch eine Debatte über einen Wandel der Landwirtschaft.
In vielen Orten Deutschlands müssen sich Autofahrer, Schüler und Busfahrgäste aufgrund der Proteste auf starke Behinderungen einstellen. Mehrere Kultusministerien der Länder kündigten an, dass Schüler entschuldigt werden, sollten sie es wegen der Aktionen nicht zum Unterricht schaffen.
Der Bauernverband hat zu einer Aktionswoche aufgerufen, um gegen die Streichung von Subventionen für die Branche zu demonstrieren. Dabei geht es vor allem um die Steuervergünstigung von Agrardiesel. Dass die Bundesregierung einen Teil ihrer Sparpläne zurückgenommen hat, reicht dem Verband nicht aus. Nach einer eskalierten Protestaktion gegen Wirtschaftsminister Habeck an der Nordsee rief der Bauernverband am Wochenende seine Anhänger aber auch zur Mäßigung auf und forderte, Aktionen vor Wohnungen von Politikern und persönliche Anfeindungen zu unterlassen.
Der Aufruf zum Protest fiel bei den Landwirten und einigen unterstützenden Gruppen auf fruchtbaren Boden:
Der Bauernverband forderte am Montag erneut, die geplanten Kürzungen zurückzunehmen. „Die nehmen der Landwirtschaft die Zukunftsfähigkeit. Vor allem gefährden wir am Ende die gesicherte Versorgung mit heimischen, hochwertigen Lebensmitteln“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied im RBB-Inforadio.
Ein Wegfall der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel bedeutet laut Bundesregierung im Schnitt Mehrkosten von etwa 3000 Euro im Jahr pro Betrieb. Die generelle Ertragslage der Landwirtschaft hatte sich nach Branchenangaben nach einer längeren Durststrecke zuletzt weiter verbessert. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stieg der durchschnittliche Gewinn der Betriebe auf das Rekordniveau von 115.400 Euro – ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon sind aber unter anderem noch Investitionen zu bezahlen.
Angesichts sinkender Preise etwa bei Getreide und Milch hatte der Bauernverband sich bereits vor Bekanntwerden der Ampel-Pläne pessimistisch zu den weiteren Geschäftsaussichten geäußert. Für viel Frust unter Landwirten sorgen schon seit Jahren zusätzliche Auflagen für die Produktion und eine ungewisse Finanzierung für einen Umbau der Tierhaltung. Um für mehr Wertschätzung zu demonstrieren, hatte es auch Ende 2019 bundesweit Bauernproteste mit Traktoren gegeben.
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte, die Kürzungen zurückzunehmen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer warf der Ampel-Koalition mangelnde Bereitschaft zum Dialog vor. Bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser stießen die geplanten Blockaden auf Kritik: „Wer andere Menschen, die eilig zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt müssen, im Alltag blockiert, der sorgt in allererster Linie für Wut und Unverständnis“, sagte die SPD-Politikerin der Rheinischen Post. Legitimer Protest ende da, wo andere in ihren Rechten verletzt würden. Ab Mittwoch kommt es für viele Pendler ganz dick: Dann will die Lokführergewerkschaft GDL unter anderem bei der Deutschen Bahn streiken. Der Ausstand soll von Mittwoch, 2 Uhr, bis Freitag, 18 Uhr, dauern.
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