Eines der großen Argumente, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Hinblick auf sein Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) anführt, ist der in allen Gesundheitsberufen grassierende Fachkräftemangel. Zur Lösung will Lauterbach den Betrieb von Apotheken künftig auch „erfahrenen“ PTA erlauben – ein massiver Einschnitt in das Berufsbild der Apothekerin und des Apothekers. Und möglicherweise ein unnötiger, denn die Anzahl an Apotheker:innen wächst weltweit an – auch in Deutschland.
Laut des aktuellen Jahresberichts der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) „Health at a Glance 2023“ ist die Zahl der Apotheker:innen pro Kopf in den 38 OECD-Ländern* gestiegen. Zwischen 2011 und 2021 sind im Schnitt rund 20 Prozent hinzugekommen. Damit kamen im Schnitt 2021 85 Apotheker:innen auf je 100.000 Einwohner:innen.
Die Anzahl an Apotheker:innen schwankt zwischen den Ländern: Schlusslicht ist Kolumbien mit 19 Apotheker:innen pro 100.000 Einwohner:innen; an der Spitze steht Japan mit 199 Apotheker:innen. Am stärksten angewachsen ist die Zahl in Chile und Japan, hier sind jeweils über 30 Apotheker:innen pro 100.000 Einwohner:innen hinzugekommen. In Deutschland liegt sie bei 67 – immerhin vier Apotheker:innen mehr als 2021.
Im Jahr 2021 schwankte die Zahl der öffentlichen Apotheken pro 100.000 Einwohner:innen zwischen 9 in Dänemark und 97 in Griechenland, mit einem Durchschnitt von 28 Apotheken in den Ländern. In den meisten Ländern gab es laut Bericht im Laufe der Zeit keine großen Änderungen. Eine Ausnahme bildete Dänemark, wo sich die Dichte der öffentlichen Apotheken zwischen 2011 und 2021 fast verdoppelt hat. Deutschland liegt mit 23 Apotheken unter dem Durchschnitt – und in der Tendenz fallend. 2011 lag die Dichte noch bei 26 Apotheken pro 100.000 Einwohner:innen. Ende des letzten Jahres versorgten sogar nur noch 21 Apotheken je 100.000 Einwohner:innen.
Außerdem übernehmen die Apotheken 2021 mehr Aufgaben als zehn Jahre zuvor: Neben der Abgabe von Medikamenten werden auch vermehrt Dienstleistungen angeboten. Dazu gehören zum Beispiel Impfungen, Unterstützung bei der Einhaltung von Medikamenten und Unterstützung beim Management chronischer Krankheiten und Überprüfung der Medikation zu Hause. Als Auslöser nennt der Bericht die Corona-Pandemie.
Im Gegensatz zu nahezu allen anderen Berufsgruppen, die in Apotheken beschäftigt sind, wächst die Zahl der Apotheker:innen auch in Deutschland stetig an. In den zehn Jahren von 2011 bis 2021 hat sich die Apotheker:innen-Zahl um rund 10 Prozent erhöht. Insgesamt sind circa 5400 Apotheker:innen hinzugekommen. Auch 2022 ist die Anzahl weiter angestiegen. Um 320 Apotheker:innen mehr zählt das Statistische Bundesamt (Destatis). Insgesamt gab es 2022 damit 56.400 Apotheker:innen in Deutschland.
Laut Destatis flacht auch das Interesse am Studiengang nicht ab: Im Schnitt kamen in den letzten Jahren auf jeden Pharmazie-Studienplatz im ersten Fachsemester rund drei Bewerber:innen. Doch zur Bewältigung des Fachkräftemangels plant Lauterbach nicht etwa den Ausbau der Studienkapazitäten, sondern die Aufweichung der Befugnisse in der Apotheke. So sollen künftig auch „erfahrene PTA“ Apotheken öffnen und betreiben dürfen. Die Qualitätssicherung soll via Telepharmazie geschehen. Approbierte sollen dann über Video-Calls zur Verfügung stehen.
Ein:e Inhaber:in mit zwei Filialen könnte also nur mit wenigen teuren angestellten Apotheker:innen auskommen, die für die acht Stunden Präsenz pro Woche in die Apotheken geschickt werden. Ansonsten übernehmen günstige PTA den Betrieb. Dadurch würde sich der Arbeitsmarkt drastisch ändern: Die Anzahl an Arbeitsplätzen für Approbierte würde absinken. Selbst Inhaber:innen, die so weitermachen wollen wie bisher, müssten deutlich höhere Personalkosten in Kauf nehmen, was einen Wettbewerbsnachteil bedeuten würde. Es lohnt sich einfach eher, billigeres Personal zu beschäftigen.
Das Problem: Während die Zahl der Apotheker:innen auch in den letzten Jahren weiter angestiegen ist, geht die Zahl an PTA zurück. Sowohl 2021 als auch 2022 sank die Zahl – zum ersten Mal überhaupt. Auch die Anzahl der PKA – inklusive Apothekenhelfer:innen – sinkt seit Jahren langsam, aber beständig. Selbiges gilt für Pharmazieingenieur:innen, da der ehemalige DDR-Beruf nicht mehr ausgebildet wird. Im Endeffekt würde durch die Apotheke-Light der einzig wachsende Beruf künstlich unattraktiver gemacht.
*Australien, Belgien, Chile, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Lettland, Litauen, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn
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