Ministerium: WhatsApp-Krankenschein ungültig Lothar Klein, 19.08.2019 14:44 Uhr
Seit Jahresbeginn sorgt ein Internetportal für Wirbel: Erkältete Arbeitnehmer können dort per WhatsApp eine Krankschreibung anfordern – für 9 Euro. Gründer Can Ansay rühmt sich selbst guter Kontakte zu Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Das Geschäftsmodell hat allerdings einen Haken: Die AU-Scheine sind rechtlich gesehen ungültig. Das stellte jetzt das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gegenüber APOTHEKE ADHOC klar.
Zuletzt feierte der zum Burda-Verlag gehörende Focus Ansay und Spahn als „Power-Paar“: „Hier kommt der Krankenschein per WhatsApp“, lautete die Überschrift. „Die Internet-Seite www.AU-schein.de versendet gültige Krankenscheine an Arbeitnehmer, die es nicht zum Arzt schaffen“, hieß es im Text. Allerdings ist das nicht korrekt: Für die Anfrage, ob der Krankenschein tatsächlich rechtskräftig sei, fühlte sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht zuständig und verwies ans BMAS.
Vor dort gab es zunächst eine ausweichende Reaktion: „Sind Arbeitnehmerinnnen und Arbeitnehmer länger als drei Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt, müssen sie gemäß § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz am darauffolgenden Kalendertag, auf Verlangen des Arbeitgebers auch früher, eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorlegen. Diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das vom Gesetz vorgesehene Beweismittel für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Einer ordnungsgemäß ausgestellten, ärztlichen Bescheinigung wird von der Rechtsprechung ein hoher Beweiswert zugemessen, weil damit die Arbeitsunfähigkeit aufgrund ärztlicher Sachkunde bescheinigt wird. Voraussetzung ist daher insbesondere, dass der behandelnde Arzt als Aussteller zu erkennen ist und er die AUB unterschrieben hat. Dies ist zum Beispiel bei einfachen Mails, SMS oder WhatsApp-Nachrichten nicht der Fall“, so ein Sprecher.
Allerdings: Per WhatsApp erhalten die Kunden von AU-Schein.de das Abbild eines „normalen“ Krankenscheins mit erkennbarer Arzt-Unterschrift. Auf Nachfrage stellte das BMAS klar: „Bei einem per WhatsApp abgebildeten AU-Schein handelt es sich lediglich um ein Foto von der Unterschrift. Solche Nachrichten stellen keine ärztlichen Bescheinigungen dar.“ Die WhatsApp-Krankschreibung ist daher ungültig und muss von keinem Arbeitgeber akzeptiert werden.
Auch auf der Website ist Ansay mit Spahn zu sehen: „Unser CEO Dr. Can Ansay traf beim Gründerfrühstück Gesundheitsminister Jens Spahn, der sagte, er will: KI bei Diagnosen, Verwertung von Gesundheitsdaten und voll digitale AU-Scheine. Wir sagen: Das können wir gerne umsetzen!“ Nach eigenen Firmenangaben haben 10.000 Kunden die Krankschreibung per WhatsApp genutzt. ARD, Pro7, Bild, Spiegel und Wirtschaftswoche berichteten über das neue Angebot.
Das Konzept von Au-Schein.de ist denkbar einfach: Erkältete Patienten melden sich dort, schildern im Chat die Symptome, dann werden per Liste Risiken ausgeschlossen. Im Anschluss gibt der Patient seine Kontaktdaten wie Handynummer an, regelt die Bezahlung und erhält die Krankschreibung zunächst digital. Die AU-Bescheinigung kommt laut Firmenangaben am nächsten Tag per Post. Gespräche mit dem Arzt, etwa um weitere aufwändige Fragen zu klären, sind nicht vorgesehen.
Der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) hat das Unternehmen inzwischen abgemahnt. Die Ausstellung der Bescheinigung erfolge dort ausschließlich aufgrund von Angaben, die über einen Fragebogen gemacht werden können. Weder sähen die das Attest ausstellenden Ärzte den Patienten, noch sei ein telefonischer Kontakt zu dem Patienten erforderlich, um die Angaben zu verifizieren, sagt Geschäftsführer Ferdinand Selonke.
Diese Form der Ausstellung von AU-Bescheinigungen über WhatsApp verstößt dem Verband zufolge gegen die Bestimmungen der entsprechenden Berufsordnung sowie gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Demnach ist Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten verboten, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Der Verband beruft sich zudem auf die Hamburger Berufsordnung (HmbBO), da das Unternehmen seinen Sitz in der Hansestadt angibt: Demnach dürfe ein Arzt eine individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Zudem habe der Mediziner bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen.
Eine Arbeitsunfähigkeit stelle außerdem ein ärztliches Zeugnis dar. Dem AU-Schein komme im Rechtsverkehr eine erhebliche Bedeutung zu, weil er finanzielle Ansprüche des Patienten gegenüber dem Arbeitgeber oder der Krankenkasse begründen könne. „Die Ausstellung einer Bescheinigung, die ausschließlich auf nicht zuverlässig verifizierbaren Patientenangaben beruht, erfüllt nach Ansicht des Verbandes die Anforderungen, die an eine sorgfältige Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses zu stellen sind, nicht.“
Ansay widersprach. Für das telemedizinische Angebot sei nie geworben, sondern darüber nur in der Presse berichtet worden. „Auch ein Praxisarzt kann belogen werden bezüglich unüberprüfbarer Symptome wie zum Beispiel Kopfweh, Schwindel, Übelkeit.“ Zudem könne ein erkälteter Patient seine Symptome selbst gut einschätzen, so dass 90 Prozent der Erkältungen in Deutschland bereits ohne Arzt diagnostiziert und behandelt würden, ohne dass dadurch die Mortalitätsrate gestiegen wäre, so Ansay. „Die Erkältung ist für die Ferndiagnose am besten geeignet.“ Morgen könnte das Gericht eine Entscheidung fällen.