Ehemaliger BfArM-Abteilungsleiter

„Mild wirksam heißt übersetzt: Wirksamkeit gleich null“

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Berlin -

Der ehemalige Leiter des Fachgebiets Klinische Prüfung am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Dr. Christian Steffens, wirft seiner ehemaligen Behörde Versagen bei der Prüfung von Arzneimitteln vor. Insbesondere die Wirksamkeit alternativmedizinischer Präparate sei durch die politischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer das BfArM arbeiten muss, nicht sichergestellt, erklärte Steffens in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Schuld daran sei weniger das BfArM selbst, als vielmehr die Politik – speziell die Ehefrau eines ehemaligen Bundespräsidenten.

Das Steffens-Interview beginnt mit einer klaren Ansage. „Können sich die Patienten darauf verlassen, dass alle hierzulande erhältlichen Arzneimittel auch wirksam sind?“, fragt das Nachrichtenmagazin den promovierten Pharmakologen. „Leider nein“, so seine Antwort. Zur Begründung erklärt er das Verfahren der Nachzulassungen. Denn erst mit dem 1976 beschlossenen und 1978 in Kraft getretenen Arzneimittelgesetz (AMG) wurde der Wirksamkeitsnachweis aus klinischen Studien für die Hersteller verpflichtend. Alle da bereits zugelassenen Arzneimittel wurden bis Ende des Jahres 2005 auf Grundlage des Nachzulassungsverfahren neu autorisiert. „Das war ein sehr mühsamer und langwieriger Prozess, der erst nach mehr als 30 Jahren abgeschlossen war“, so Steffens.

Während einige Präparate mangels Wirksamkeitsnachweisen dennoch nicht zugelassen wurden und andere Hersteller Studien nachreichen mussten, seien wieder andere dazu gezwungen gewesen, ihre Zusammensetzung zu ändern. So habe Medice bei seinem homöopathischen Erkältungsmittel Meditonsin den Quecksilbercyanidgehalt um den Faktor 10.000 verringern müssen. Der Vorgang der Nachzulassungen habe aber insbesondere durch die Einführung der Monografien auch dazu geführt, dass viele Firmen keine eigenen Wirksamkeitsbelege vorlegen oder eigene klinische Prüfungen durchführen mussten. Es habe auch Mittel gegeben, „bei denen die Bewertungskriterien überhaupt nicht streng waren“, so Steffen.

Damit meint er insbesondere alternativmedizinische Präparate wie anthroposophische und homöopathische Arzneimittel. Die dafür eingerichteten Kommissionen hätten diese Medikamente in der Nachzulassung „nach ihren eigenen Regeln bewertet, ohne dass diese Kriterien nachvollziehbar waren. So war das im Arzneimittelgesetz vorgesehen.“

Dass das so ist, liege sowohl an „überzeugten Homöopathen und Anthroposophen“, die in allen politischen Parteien vertreten seien, als auch an der Lobbyarbeit der Hersteller – sowie an Veronica Carstens. Nachdem deren Ehemann Karl 1979 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, habe Carstens quasi von höchster Stelle aus Lobbyarbeit betrieben, nicht zuletzt mittels der 1982 gegründeten Carstens-Stiftung für Naturheilkunde und Komplementärmedizin. „Seitdem sind erhebliche Mittel nicht nur durch die Stiftung, sondern auch durch die Bundesregierung in die alternative Medizin geflossen“, so Steffen.

Die Mitarbeiter des BfArM bleibt dabei in Steffens Darstellung wenig Spielraum. „Jeder Beamte muss sich an die Gesetze halten“, so der 74-Jährige. „Es war ja politisch gewollt und im Bundestag beschlossen, dass in einigen Bereichen keine wissenschaftlichen Maßstäbe angewandt werden sollen.“ Für die Naturwissenschaftler, Ärzte und Pharmakologen unter ihnen sei das frustrierend gewesen. Viele hätten dennoch versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas zu unternehmen. „Aber es gibt eben auch Kollegen, die davon überzeugt sind, dass die Sonderregeln für Homöopathie und pflanzliche Arzneimittel richtig sind.“

Linderung des Problems werde es deshalb nur geben, wenn die Verbraucher kritischer werden. „Mein Tipp lautet: Wenn Sie bei einem Arzneimittel lesen, es sei ‚mild wirksam‘, dann heißt das übersetzt: Wirksamkeit ist gleich null. ‚Traditionelle Anwendung‘ bedeutet, dass trotz jahrzehntelanger Anwendung keine ausreichenden Belege für die Wirksamkeit gefunden wurden.“ Gleichzeitig müssten aber auch Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz konsequenter verfolgt werden. Steffens Vorschlag: Man müsse Schwerpunktstaatsanwaltschaften bilden, die sich gezielt Arzneimittelwerbung ansehen und Gesetzesverstöße verfolgen.

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