Umsatzsteuerstreit

Michels: Verjährungsverzicht „könnte sinnvoll sein“

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Berlin -

Mitten in die Vorweihnachtszeit bekommen immer mehr Apotheker nervöse Briefe von den Krankenkassen. Der Sachverhalt ist komplex, die Fristen sind kurz: Die Apotheken sollen wegen möglicherweise überzahlter Umsatzsteuer der Kassen auf die Einrede der Verjährung verzichten. Jetzt empfiehlt der Landesapothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) den Gang zum Steuerberater oder Rechtsanwalt. Unter Umständen könnte eine Verzichtserklärung zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten und Prozesskosten sinnvoll sein.   

Die AOK Niedersachsen habe in den letzten Tagen ein Schreiben an einige Apotheken versandt, mit welchem diese aufgefordert würden, bezüglich möglicher Umsatzsteuerrückforderungen auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Andere Krankenkassen hätten entsprechende Schreiben angekündigt. „Wir wurden von diesen Schreiben genauso überrascht wie Sie“, so der AVWL. Der zu Grunde liegende Sachverhalt sei äußerst komplex. „Es ist unserer Auffassung nach zwingend erforderlich, dass Sie mit Ihrem Steuerberater, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, Ihre individuelle Situation erörtern“, rät der Verband.

Dann gibt der AVWL in seinem Rundschreiben „unverbindlich folgende Handlungsempfehlungen und Hinweise“ an die Hand, vorsorglich mit dem Verweis, dass jeder seine Entscheidung „eigenverantwortlich“ treffen müsse. Die Rechtslage sei gegenwärtig alles andere als klar, schreibt der AVWL: „Etwaig bestehende Ansprüche der Krankenkassen gegen die Apotheken aus dem Jahr 2015 verjähren mit Ablauf des 31.12. 2019.“

Eine Hemmung der Verjährung ohne Mitwirkung der Apotheken könnten die Krankenkassen nur durch eine Klage bis Jahresende erreichen. Um einen Rechtsstreit mit der Krankenkasse und das damit einhergehende Kostenrisiko zu vermeiden, könnte es sich laut AVWL „als sinnvoll erweisen, eine Verjährungsverzichtserklärung abzugeben“.

Die folgenden Punkte sollen die Apotheker unbedingt beim Verzicht auf Einrede der Verjährung beachten, rät der AVWL:

  1. Unter keinen Umständen sollten Sie den Verzicht der Verjährung für zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung bereits verjährte Forderungen erklären (beispielsweise Rückforderungen der Kassen aus dem Jahr 2014).
  2. Der erklärte Verjährungsverzicht sollte sich ausschließlich auf solche Forderungen der Krankenkassen beziehen, die auf Grund noch abänderbarer Umsatzsteuererklärungen bestehen. Jegliche Forderungen aus bereits bestandskräftigen und nicht mehr abänderbaren Umsatzsteuererklärungen sollten ausdrücklich ausgeschlossen werden. CAVE: Diese Einschränkung berücksichtigt der Entwurf einer Erklärung der AOK Niedersachsen nicht und muss unbedingt ergänzt werden.
  3. Auf die Einrede der Verjährung sollte lediglich zeitlich begrenzt, beispielsweise bis zum 31.12. 2020, verzichtet werden.
  4. Eine Rücksprache mit Ihrem Steuerberater und eine Bewertung Ihrer individuellen Situation sind unabdingbar. Nur Ihr Steuerberater kann Ihnen mitteilen, inwieweit Ihre Umsatzsteuererklärungen noch abänderbar sind.
  5. Eine Erklärung, dass sich die Apotheke gegenüber der Krankenkasse dazu verpflichtet, Einspruch gegen die Umsatzsteuererklärung einzulegen, sollte nicht abgegeben werden.
  6. Die Einrede der Verjährung sollte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht hinsichtlich der in Rede stehenden Forderung erteilt werden.

Hintergrund der Kassenschreiben ist unter anderem der Steuerstreit einer ausländischen Versandapotheke um die umsatzsteuerliche Behandlung von Herstellerabschlägen. Das Finanzgericht Münster hatte im März 2018 entschieden, dass dem Zwangsrabatt keine umsatzsteuerrechtliche Bedeutung zukommt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber die die Kassen fürchten, dass sie auch an andere Apotheken zu viel Umsatzsteuer gezahlt haben und etwaige Rückforderungsansprüche verjähren könnten. Deshalb sollen die Apotheken auf die Einrede der Verjährung verzichten, bis die Sache letztinstanzlich entschieden und geklärt ist, ob der Fall auf inländische Apotheken übertragbar ist.

Mitte November und damit anscheinend zuerst von dieser Angst befallen war die IKK gesund plus mit Sitz in Magdeburg. Die benachbarte AOK Sachsen-Anhalt hat sich entsprechend schnell angesteckt und wenig später ähnlich lautende Briefe verschickt. Damit war das AOK-System infiziert, die Einzelkassen in Hessen und Niedersachen und Rheinland/Hamburg haben schon Briefe verschickt. Und täglich dürften weitere Schreiben in den Apotheken eintrudeln. Die Ersatzkassen haben sich dagegen offenbar bislang ruhig verhalten.

Selbst unter Steuerberatern der Branche wird das Thema keinesfalls einheitlich gesehen. Manche raten dazu, die Erklärung abzugeben. Das Argument: Die Krankenkassen würden ansonsten – wie angekündigt – Klage einreichen, um die Verjährung zu unterbrechen. Entscheidet der Bundesfinanzhof (BFH) dann später, dass die Umsatzsteuer zurückgefordert werden muss, blieben die Apotheker auf den Gerichtskosten in ihrem Sozialrechtsstreit gegen die Kasse sitzen. Auf der anderen Seite sehen Steuerberater das Risiko, dass die Forderungen in der Apotheke hängen bleiben: Die Kassen würden die Zahlung einer nicht geschuldeten Leistung einfordern können, die Apotheke könne sich das Geld ihrerseits aber nur vom Fiskus zurückholen, wenn die Umsatzsteuererklärung für das entsprechende Jahr noch offen ist.

Die Treuhand Hannover hat eine ausführliche Stellungnahme zu dem Komplex geliefert und erklärt, dass Apotheken mit der Verzichtserklärung zunächst keine weitere Verpflichtung eingehen. Allerdings rät der Branchenprimus, „die Erklärung auf die änderbaren Steuerfestsetzungen 2015 zu beschränken“. In Zweifelsfällen sollte ein Rechtsanwalt konsultiert werden. Eine Wirkung entfaltet die Erklärung ohnehin nur, wenn die Krankenkassen einen Anspruch aus der Änderung der Steuerfestsetzung geltend machen könnten.

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