Metoprolol-Succinat von Betapharm war 2011 das Paradebeispiel für einen misslungenen Start eines Rabattvertrags. Obwohl Betapharm nicht lieferfähig war, wurden bei der Kasse allein im Juni rund 30.000 Verordnungen über Metoprolol Succinat Beta abgerechnet – viele Apotheker hatten aus Angst vor Retaxationen den Rabattpartner aufs Rezept gedruckt, aber einen anderen Hersteller abgegeben. Die AOK Baden-Württemberg schaltete nicht nur die Staatsanwälte ein, sondern wollte gegen Apotheken hohe Vertragsstrafen verhängen. Die Kasse scheiterte aber am Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) und vor dem Sozialgericht Mannheim.
In dem Fall ging es um eine Apothekerin, die insgesamt 44 Verordnungen nicht korrekt bedruckt hatte. Sie argumentierte, die alte Computersoftware habe die Rezepte mit der falschen PZN bedruckt, bevor die Verfügbarkeit überprüft werden konnte. Anschließend sei es versäumt worden, die PZN manuell zu ändern.
Zu einem ähnlichen Schluss war offenbar auch die Staatsanwaltschaft Mannheim gekommen, die im August 2012 das Ermittlungsverfahren einstellte. Es sei nicht nachzuweisen, dass der Beschuldigten die Falschabrechnungen überhaupt im Ansatz bewusst gewesen seien, hieß es im Bericht der Staatsanwaltschaft.
Dennoch sollte die Apothekerin wegen des vermeintlichen Verstoßes gegen den Arzneimittelversorgungsvertrag eine Strafe von 9200 Euro zahlen. Die AOK reduzierte den Betrag später auf 6560 Euro, weil kein Vorsatz vorliege und bisher keine Vertragsstrafe oder Verwarnung notwendig gewesen sei.
Selbst den niedrigeren Wert bewertete das Gericht aber als unverhältnismäßig. Die Tatsache, dass die ordnungsgemäße Durchführung der Abrechnung einen wichtigen Gemeinwohlbelang darstelle, rechtfertige eine Strafe in dieser Höhe nicht. Die Argumente der AOK konnten die Richter nicht nachvollziehen: Die Gesundheit der Versicherten sei durch die fehlerhafte Dokumentation nicht gefährdet worden, da die Abrechnung ohnehin anonymisiert erfolge. Weder Krankenkassen noch Apotheker seien in der Lage, rückwirkend zu rekonstruieren, welcher Versicherte welches Arzneimittel erhalten habe.
Der Hinweis der Kassen auf ein wettbewerbswidriges Verhalten ist aus Sicht der Richter „rein theoretischer Natur“: Man könne nicht erkennen, inwiefern sich die Apotheke durch die Falschabrechnung einen Vorteil verschafft haben könnte. Auch das Argument, Betapharm sei Gefahr gelaufen, zu viel Rabatt zu zahlen, hielten die Richter für nicht stichhaltig. Für den Hersteller dürfte es unschwer möglich sein zu belegen, dass das Medikament damals noch gar nicht zur Verfügung gestanden habe.
Für die Apothekerin sprach aus Sicht des Gerichtes, dass sie inzwischen in eine neue Software investiert und somit dafür Sorge getragen habe, dass sich ein solcher Fehler nicht wiederhole. Zudem könne allenfalls von einem einfachen fahrlässigen Verschulden ausgegangen werden und der – ohnehin wohl nur sehr geringfügige – wirtschaftliche Schaden könne von der Kasse nicht genau beziffert werden. Daher sei eine Verwarnung wohl ausreichend gewesen.
Die Richter erklärten weiter, dass der Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung zu unbestimmt sei, um eine Vertragsstrafe zu rechtfertigen. Den vertraglichen Bestimmungen sei nicht zu entnehmen, bei welcher Verfehlung eine Vertragsstrafe fällig und wie diese bemessen werde.
Und schließlich könne eine Vertragsstrafe nur „im Benehmen“ mit dem LAV ausgesprochen werden. Dieser habe das Vorhaben der Kasse jedoch nur „in recht apodiktischer Form“ mitgeteilt bekommen und erklärt, eine Vertragsstrafe für unverhältnismäßig zu halten. Daraufhin habe die AOK keinen weiteren Versuch unternommen, sich mit dem Verband abzustimmen und eine gütliche Einigung zu erlangen.
Der LAV hatte die Vertragsstrafen nicht nur als unverhältnismäßig, sondern auch als „willkürlich“ kritisiert. Es sei auffällig, dass nur gegen zehn Apotheker Strafen verhängt wurden, die mehr als 37 Rezepte falsch bedruckt hatten – diese aber Strafen von mindestens 7800 Euro zahlen sollten. Außerdem brachte der Verband vor, dass die AOK die Problematik selbst erzeugt habe, indem sie einen Vertrag mit einem Hersteller abgeschlossen hatte, der nicht lieferfähig gewesen sei.
Die sechste Runde der AOK-Rabattverträge war im Juni 2011 gestartet. Doch der neue Rabattpartner für Metoprolol-Succinat, die Firma Betapharm, konnte das Präparat bis in den September hinein nicht liefern. Einige Apotheker hatten zuvor trotzdem Rezepte mit dem Rabattprodukt bedruckt und ein anderes abgegeben. Die AOK hatte daraufhin strafrechtliche Konsequenzen und hohe Bußgelder angedroht.
Die Landesverbände der AOK hatten sich auf einen einheitlichen Strafkatalog verständigt: Wer nur eine oder zwei Packungen falsch abgegeben hat, sollte mit einer Verwarnung davonkommen. Danach sollte es teuer werden: Das dritte falsch bedruckte Rezept sollte 500 Euro kosten, jedes weitere 100 Euro zusätzlich, bis 1200 Euro für zehn Rezepte.
Danach war ein Sprung in die zweite Strafstaffel vorgesehen: Elf Fehler sollten mit 2400 Euro sanktioniert werden, danach sollte es in Schritten von 200 Euro weitergehen. Tatsächlich aktiv geworden war aber nur die AOK Baden-Württemberg.
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