Merkel: Spitze gegen Spahn dpa, 11.04.2018 17:32 Uhr
Zumindest das Führungsduo der neuen großen Koalition gibt sich betont harmonisch. „Der Wille zur Einigung ist da“, zieht Kanzlerin Angela Merkel nach den knapp 24 Stunden von Meseberg ihr Fazit. „Das war eine gute Klausurtagung“, meint auch Olaf Scholz zum Treffen von Merkels vierter Regierungsmannschaft im idyllischen Barockschloss nördlich von Berlin. Doch die Probleme lassen sich nicht weglächeln. CSU und SPD setzen auf Eigenprofilierung. Und die Kanzlerin steckt mitten drin.
2014 hatten hier einige Kabinettsmitglieder von Union und SPD auf der Suche nach dem „Geist von Meseberg“ Himbeergeist gefunden. „Über Himbeergeist hab' ich mich nicht informiert“, sagt Merkel nun anno 2018 auf die Frage, ob dieser auch wieder zu später Stunde kredenzt wurde. Sie könne nur von Rotwein berichten. „Aber der Geist war insgesamt gut. Sehr kooperativ.“
Große Entscheidungen sind nicht gefallen in Meseberg - es geht vor allem ums Atmosphärische. Von 15 Ministern sind immerhin 13 neu auf ihren Posten. Doch so sehr sich Kanzlerin und Vizekanzler bemühen, Aufbruchstimmung zu verbreiten - so richtig kommt das nicht rüber. Der Aufbruch steht vor allem im Koalitionsvertrag.
Merkel und Scholz haben keine neuen Themen oder wegweisende Beschlüsse zu bieten. Die schon in der vergangenen großen Koalition zugesicherte Vollbeschäftigung bis 2025 verkaufen sie jetzt wieder. Bei den drohenden Diesel-Fahrverboten bleibt Merkel vage. In 66 Städten gebe es derzeit Grenzwertüberschreitungen, mit weiteren Maßnahmen soll diese Zahl auf rund zehn reduziert werden, staatliche Hilfe für teure technische Nachrüstungen sieht sie eher skeptisch.
Und während US-Präsident Donald Trump via Twitter Russland mit schönen, neuen und smarten Raketen in Syrien droht, bleibt die deutsche Rolle in dem eskalierenden Konflikt bisher unklar. Merkel will sich nicht festlegen lassen, ob sie sich hinter einen Angriff der USA oder Frankreichs stellen würde.
Eine Prioritätenliste für die anstehende Arbeit? Bis auf den ohnehin bald fälligen Bundeshaushalt für das laufende Jahr ohne neue Schulden („Schwarze Null“) - Fehlanzeige. Merkel und Scholz weisen Fragen nach konkreten Ergebnissen fast empört zurück und speisen die Anwesenden mehr oder weniger mit Allgemeinplätzen ab.
„Das Ziel der Klausur war nicht, eine detaillierte Vorhabenplanung zu diskutieren. Sondern das Ziel war, sich von außen her mal sagen zu lassen, was die Erwartungen an uns sind“, betont Merkel mit Blick auf Gäste wie Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, DGB-Chef Reiner Hoffmann, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Und Scholz sekundiert, die ganze Vorhabenliste stehe ja im 177-seitigen Koalitionsvertrag.
Die Stimmung in Meseberg ist zum Teil auch am Gesicht von Horst Seehofer abzulesen. Der CSU-Chef schaut dieser Tage zeitweise recht missgelaunt drein. Er ist nicht mehr Kabinettschef in Bayern, sondern „nur noch“ Innenminister im Kabinett Merkel. Das dürfte ihm spätestens in Erinnerung gekommen sein, als nicht er, sondern Kanzlerin und Vizekanzler die Presse über die Ergebnisse unterrichten. Eine neue, ungewohnte Situation für den CSU-Chef.
Wie es wirklich weitergehen dürfte in der wohl letzten großen Koalition unter Merkel hatte zuvor CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in den Zeitungen der Funke Mediengruppe mehr als deutlich gemacht. „Ich rate dazu, nicht den Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und Debatten zu vermeiden.“ Wer Maulkörbe verteilen wolle, ernte den Protest der Bürger, der sich am Wahltag entlade, sagte er Richtung SPD. Die hatte von Merkel ein Machtwort verlangt angesichts von Debatten über den Islam oder Flüchtlingsnachzug. „An der Wahlurne gibt es keine Maulkörbe“, sagt Dobrindt. Punkt.
Damit macht der CSU-Politiker einmal mehr deutlich, worum es der CSU mindestens bis zum Herbst in aller erster Linie geht: Die Landtagswahl in Bayern möglichst mit absoluter Mehrheit zu gewinnen. Dem werden die CSU-Politiker auch im Bund so ziemlich alles unterordnen. Und die Kanzlerin muss das wohl schlucken. Dobrindt hatte schon während der Regierungsbildung ähnlich wie der jetzige Gesundheitsminister Jens Spahn kaum einen Hehl daraus gemacht, dass sie an die Nach-Merkel-Ära denken.
Dazu gerät Merkel durch den konservativen Parteiflügel mit ihrem Frontmann Spahn unter Druck. Dessen Positionen insbesondere in der Flüchtlingspolitik dürften angesichts der notwendigen Abgrenzung gegen die AfD jetzt mehr Nachhall in der CDU finden als zuvor. Dazu kommt eine SPD, die eigentlich die Nase voll hatte von Koalitionen mit Merkel. Die SPD ist im Zwiespalt zwischen Regieren und Erneuern. Es kommt also auch auf Andrea Nahles an, ob sie nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden die Partei tatsächlich befrieden kann. Ansonsten könnte auch die Sozialdemokratie ein steter Quell von Querschüssen sein.
Merkel versucht, das Hickhack und unharmonische Außenbild ihrer Truppe zu relativieren, indem sie sagt, es werde ja gerade erwartet, dass die Parteien ihre Positionen transparent darlegen. Es gebe hier nun mal unterschiedliche Persönlichkeiten, die „auch noch Mitglied in unterschiedlichen Parteien sind“.
Merkel könnte nach Ansicht von Kritikern einen hohen Preis dafür zahlen müssen, dass sie unter schweren Mühen in ihre vierte Amtszeit gegangen ist. Doch die Kanzlerin war schon öfters in schwierigen Lagen.
Vor der Abreise kommt ihr noch eine kleine Spitze gegen Seehofer und Spahn über die Lippen, die mit provokanten Thesen und Interviews Schlagzeilen gemacht haben. Alle Regierungsmitglieder seien „sehr willig und freudig, die Aufgaben anzunehmen und umzusetzen“, sagt sie da. „Jeder hat genug Arbeit, da bleibt nicht viel Zeit für anderes“, schiebt sie noch hinterher. „Jeder hat so sein Päckchen zu tragen.“