„Mehr Abstimmungsprozesse zwischen Apotheke und Arzt“ Patrick Hollstein, 20.05.2022 11:48 Uhr
Der geplante Austausch von Biopharmazeutika in Apotheken treibt die Hersteller auf die Barrikaden. In einem gemeinsamen Statement sprechen sich die Verbände der pharmazeutischen Industrie gegen die automatische Substitution aus.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), die AG Pro Biosimilars und der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) fordern den Gesetzgeber zum Handeln auf: Es sei nicht hinnehmbar, die sichere Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Blick auf keinesfalls gesicherte Einsparungsaussichten auszuhebeln und gleichzeitig den Pharmastandort Deutschland zu gefährden. „Die Therapieentscheidung, hochkomplexe Moleküle wie Biopharmazeutika einzusetzen, gehört in die Hände von Ärztinnen und Ärzten und darf nicht im Nachhinein aufgeweicht werden.“
Der Wettbewerb mit Biosimilars funktioniere auch ohne automatischen Austausch: „Ärztinnen und Ärzte sind bereits jetzt schon gesetzlich dazu angehalten, die Einsparungspotentiale bei der Verordnung von Biopharmazeutika zu mobilisieren, indem sie von vorneherein rabattbegünstigte Biopharmazeutika verordnen und bei ihrer Verordnung entsprechende Biosimilarquoten gemäß der jeweiligen Arzneimittelvereinbarungen erfüllen.“ Das Segment wachse sehr stark; die Präparate gelangten schnell in die Versorgung. Der Anteil an rabattvertragsgeregelten Verordnungen liege bereits bei 90 Prozent. „Das alles führt bereits zu signifikanten Einsparungen im Gesundheitssystem.“
Ein automatischer Austausch in der Apotheke mobilisiere daher langfristig kaum weitere Wirtschaftlichkeitsreserven. „Vielmehr führt dies in den Apotheken zu einem Mehraufwand durch mehr Abstimmungsprozesse zwischen Apotheke und Arzt. Zudem birgt ein Präparatewechsel die Gefahr von Medikationsfehlern, er gefährdet den Therapieerfolg und wirkt sich letztlich negativ auf die Kosten im Gesundheitssystem aus. Perspektivisch führt der automatische Austausch zu Folgekosten, nicht zu Einsparungen.“
Biopharmazeutika seien hochkomplexe Arzneimittel und kämen häufig bei schweren chronischen Erkrankungen zum Einsatz. „Aus diesem Grund ist für den Therapieerfolg eine engmaschige ärztliche Begleitung erforderlich, auch um Nocebo-Effekte zu vermeiden.“
56 Prozent der in Europa benötigten Biosimilars würden auch in Europa produziert. „Daher ist es fahrlässig, diese durch kurzfristig angelegte Sparmaßnahmen nachhaltig zu schwächen. Sparmaßnahmen und Mehrfachregulierungen haben bereits im Generika-Segment dazu geführt, dass sich Produktionsstätten und Know-how nach Asien verlagerten und in gewissen Regionen konzentriert haben. In der Folge sehen wir eine erhebliche Marktverengung auf allen Produktionsstufen. Es ist abzusehen, dass eine automatische Substitution von Biopharmazeutika in Apotheken die gleichen Prozesse auslösen wird. Wir sollten die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Dies würde zudem das erklärte Ziel der Regierung sowie der EU konterkarieren, Deutschland und Europa zum international führenden Biotechnologie-Standort zu machen.“
Der AOK-Bundesverband hielt prompt dagegen; die Neuregelung berge ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial: Laut einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) wären allein im Jahr 2019 Einsparungen in Höhe von 758 Millionen Euro für die GKV möglich gewesen, wenn in der Therapie immer das preiswerteste vergleichbare Biosimilar zum Einsatz gekommen wäre. „Zudem ist in vielen Fällen gar keine Umstellung der Therapie notwendig: 55 Prozent der Behandelten sind laut der WIdO-Analyse neu eingestellt worden und hätten von Anfang an ein Biosimilar erhalten“, so die Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann.