Medizinforschungsgesetz auf „Wunsch von Lilly“? Lilith Teusch, 15.10.2024 13:22 Uhr
Im Juli hat der Bundestag das Medizinforschungsgesetz (MFG) verabschiedet. Damit sollen die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland verbessert werden. Ziel ist es, die Arzneimittelproduktion in die Bundesrepublik zurückzuholen und den Standort für Pharmaunternehmen attraktiver zu machen. Doch es besteht der Verdacht, dass Eli Lilly Einfluss auf das Gesetz genommen hat – gegen die Milliardeninvestition in Rheinland-Pfalz.
Bereits im Vorjahr kündigte der Pharmariese an, 2,3 Milliarden Euro in den Bau einer neuen Fabrik im rheinland-pfälzischen Alzey zu investieren. Beim symbolischen ersten Spatenstich im Frühjahr waren unter anderem auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) anwesend. Beide begrüßten die Investition des US-Giganten. Bei der Präsentation der Pläne im vergangenen Jahr war neben Lauterbach auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dabei.
Druck aus dem Kanzleramt?
Recherchen von WDR, NDR, der Süddeutschen Zeitung und Ider Journalismuskooperative „Investigate Europe“ legen nun nahe, dass diese Investition an die Zusage einer Gesetzesänderung geknüpft gewesen sein könnte; konkret an das Zugeständnis, für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen vertrauliche Erstattungsbeträge vereinbaren zu können. Das Rechercheteam habe die Akten zum MFG im Dezember 2023 nach dem Informationsfreiheitsgesetz angefordert, aber erst im September dieses Jahres vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) erhalten, schreibt Investigate Europe.
Nach der Recherche soll der Leiter der Arzneimittelabteilung im BMG, Thomas Müller, nach einem Treffen mit Eli Lilly im August 2023 mitgeteilt haben, dass der US-Konzern eine Investition in einstelliger Milliardenhöhe plane, diese aber an die Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge geknüpft sei. Bereits Monate vor diesem Treffen soll das Kanzleramt mehrfach mit dem US-Konzern über das Thema gesprochen haben. Gerüchten zufolge sollen sogar mehrere Pharma-Chefs mit Privatjets eingeflogen worden sein, um mit Scholz persönlich über den Deal zu sprechen.
In einem Dokument aus dem BMG vom 13. September des Vorjahres wird deutlich, dass der Pharmariese als Befürworter der Regelung auftritt und die Investition in Alzey an die Einführung vertraulicher Rabatte knüpft. „Eli Lilly knüpft seine Investitionsentscheidung an die Zusage der Bundesregierung vertrauliche Rabatte bei innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen“, heißt es in dem geleakten Dokument.
An anderer Stelle steht: „In einem gemeinsamen Gespräch nach Veröffentlichung der Eckpunkte zum MFG kann dem CEO von Eli Lilly Dave Ricks mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen.“
Laut Investigate Europe bestreitet der Pharmakonzern, die Investitionsentscheidung in Rheinland-Pfalz von einer Zusage der Bundesregierung abhängig gemacht zu haben.
Wagenknecht fordert Rücktritt
Nach Bekanntwerden der Recherchen häufen sich die Rücktrittsforderungen in den sozialen Medien. Auch Sahra Wagenknecht postet auf ihrem Facebook-Account eine Rücktrittsforderung: „Recherchen zufolge hat das Gesundheitsministerium im Interesse eines US-Pharmakonzerns Gesetze durchgewinkt, welche der Allgemeinheit schaden, indem sie die Preisbildung noch intransparenter und Medikamente entsprechend teurer machen. Damit ist das Maß übervoll und ein Rücktritt von Herr Lauterbach überfällig.“ Und während sich die Ampel um die Profite von US-Pharmakonzernen sorge, mangle es hierzulande an 500 Medikamenten, von Antibiotika über Insuline bis hin zu Schmerzmitteln und einfacher Kochsalzlösung, heißt es weiter.
Und ihr Beitrag kommt an: Nach aktuellem Stand gibt es unter Wagenknechts Facebook-Post knapp 10.000 „Gefällt mir“-Angaben.
Linke warnte vor „Lex Lilly“
Kathrin Vogler, Bundestagsabgeordnete der Gruppe Die Linke im Bundestag, sieht hier ebenfalls wiederholt Fehler im System: „Wir haben von Anfang an vor der Lex Lilly gewarnt. Der Versuch der Pharmalobby, sich über vertrauliche Rabatte in Deutschland zu bereichern, gefährdet die Preisstabilität von Arzneimitteln nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa. Die Bundesregierung, allen voran Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach, müssen sich fragen lassen, wessen Interessen sie hier wirklich vertreten.“
Sollten es solche Absprachen gegeben haben, sei dies „inakzeptabel“; nun müsse alles „auf den Tisch“ – „nicht nur die Unterlagen aus dem Gesundheitsministerium, sondern vor allem die aus dem Kanzleramt“. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, welche Absprachen hinter verschlossenen Türen getroffen wurden. Sollte sich der Verdacht bestätigen, seien sofortige Konsequenzen zu ziehen. „Die Linke wird sich auch weiterhin gegen die Lex Lilly und ähnliche Vorhaben stellen, die die Interessen der Pharmakonzerne über die der Menschen in Deutschland und Europa stellen. Arzneimittelpreise müssen transparent bleiben – für die Krankenkassen, die Ärzt:innen und vor allem für die Patient:innen.“