„Apotheken verkaufen sich unter Wert“

Medizinethiker: Apothekensterben ist Sozialabbau Laura Schulz, 11.09.2024 10:54 Uhr

Medizinethiker: Apothekensterben ist Sozialabbau
Wer Apotheken kaputt spart, betreibt Sozialabbau zu Lasten der Bevölkerung, so Professor Dr. Giovanni Maio.
Berlin - 

Mit der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Apothekenreform werden Apotheken zu reinen Abgabestellen degradiert, so die Befürchtung zahlreicher Kolleg:innen. Müssen sich Apotheken vom Heilberufsbild verabschieden und sich eher dem Prinzip des Handels zuwenden? Dazu äußerte sich bei der VISION.A Zukunftskonferenz auch Professor Dr. Giovanni Maio. Er unterstrich die Bedeutung der Apotheke für die Bevölkerung und warf der Politik vor, davor die Augen zu verschließen und stattdessen einen ruinösen Sozialabbau zu betreiben.

Maio ist Mediziner und Universitätsprofessor für Medizinethik; bei der VISION.A Zukunftskonferenz powered by APOTHEKE ADHOC, ARZ Haan AG, APOTHEKENTOUR und PTA IN LOVE warf er einen beeindruckenden Blick auf den Apothekerberuf. „Ich möchte eine Lanze für den Apothekerberuf brechen“, so Maio. Denn ohne Apotheken werde es für Patient:innen schwierig, überhaupt jemanden zu finden, der sie beraten und ihnen helfen kann.

So gebe es bekanntlich schon jetzt einen Mangel an Hausärzt:innen mit deutlich spürbaren Versorgungslücken. Umso wichtiger seien Apotheken. „Wenn es schon keine Ärzt:innen gibt, die Zeit haben, ist der Weg zur Apotheke die Rettung.“ Apotheken seien eine „enorme soziale Errungenschaft“, weil sie ein niedrigschwelliges Angebot böten, dass für alle zugänglich sei.

Sozialabbau durch schwindende Apotheken

Die sinkende Apothekenzahl stimme ihn traurig. „An Apotheken zu sparen, bedeutet einen Sozialabbau. Dies muss gerade jetzt, in Zeiten des allgemeinen Rückbaus, gestoppt werden!“ Verlierer sei am Ende der Patient. Das Problem werde aber von der Politik kleingeredet, denn diese habe ein markantes Eigeninteresse: so wenig wie möglich für die Apotheken auszugeben. Maio sprach von einer Ertragskrise als Folge bewussten politischen Unterlassens.

Es gehe nicht um eine Romantisierung des Apothekerberufs – sondern darum anzuerkennen, dass er bei einer weiteren Behinderung des Heilberufs gar keiner mehr wäre. Wichtig sei es, die Bedeutung der Apotheken neu zu denken. Zusätzlich zur sicheren Versorgung mit Arzneimitteln würden Apotheken noch einen weiteren entscheidenden Beitrag leisten: Mit Patient:innen sprechen und ihnen einen verantwortungsvollen Umgang mit Medikamenten beizubringen. „Apotheken verändern Gesundheitsbewusstsein und Gesundheitskompetenz.“

Weil die Leistung der Apotheken unbezahlbar wertvoll ist, dürften sich Apotheken nicht unter Wert verkaufen. Sie sollten selbstbewusster auftreten, insbesondere jetzt, da an ihnen gespart werden solle. Die Bevölkerung wisse unterdessen um die Leistungen der Apotheken, ihnen sei jedoch nicht klar, dass die Apotheken für diese kaum honoriert würden. „Wir müssen ein stärkeres Bewusstsein für die Beratungsleistung der Apotheken in den Fokus rücken, um Argumente für die Rettung der Apotheken zu haben.“ Es brauche eine bessere Honorierung und stärkere Wertschätzung der Leistung der Apotheke.

 

Wäre die Apotheke nur ein Betrieb, der rein nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien funktioniere, also eine reine Verkaufstheke, was wäre dann mit den Patient:innen? Schließlich betreten diese ja bewusst keine Drogerie, sondern eine Apotheke, in der sie sich Beratung und Hilfe für ihre Beschwerden erhoffen, ein offenes Ohr.

„Apotheken haben Vertrauenskapital“

„Apotheken haben neben dem reinen Kapital noch ein enorm wichtiges Zusatzkapital, und zwar das Vertrauenskapital.“ Denn sie würden hinter Kundin oder Kunde auch immer die Patient:innen sehen. „Der Apothekerberuf ist per se kein Gewerbeberuf, sondern auch Heilberuf. Denn die Apotheke ist frei im Denken und in der Beratung.“

Es gebe ein Spannungsfeld zwischen Handel und Heilberuf. Die Apotheke auf den Verkaufsaspekt zu reduzieren, würde den eigentlichen Sinn der Apotheke verkennen. Apotheker:innen definierten sich nicht darüber, so viel wie möglich zu verkaufen. „Sie definieren sich dadurch, etwas Sinnvolles für andere zu tun und dabei nicht insolvent zu gehen.“ Die Identität der Apotheker:innen verknüpfe sich im Verkaufen mit dem heilberuflichen Aspekt des Helfens.