Medikationsmanagement

Verspielte Trümpfe

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Berlin -

Dass es Widerstand geben würde, war abzusehen. Doch offenbar fühlte man sich bei der ABDA in Sachen Medikationsmanagement auf der sicheren Seite: Schließlich hatte man sich die KBV an die Seite geholt, also quasi die verfasste Kassenärzteschaft in Deutschland. Wer konnte schon gegen mehr Arzneimittelsicherheit sein? Was sollte schon schiefgehen? Die Ärzte. Alles.

Im April 2011 stellten die Spitzenvertreter von ABDA und KBV in Berlin ihr Gemeinschaftskonzept für die Arzneimittelversorgung vor: Die Heilberufler wollten einen Medikationskatalog erstellen, den die Ärzte bei der Verordnung beachten sollten. Außerdem sollte ein gemeinsames Arzneimittelmanagement für multimorbide Patienten auf die Beine gestellt werden. Politik und Kassen wurden Einsparungen in Milliardenhöhe versprochen.

Entwickelt hatte das Konzept die Unternehmensberatung Roland Berger, die man auch schon hatte vorfühlen lassen, wie der Vorstoß bei der Politik ankommen würde. Entsprechend schnell ging das Gesetzgebungsverfahren dann über die Bühne: Per Änderungsantrag zum Versorgungsstrukturgesetz (VStG) wurden noch im selben Herbst Modellvorhaben zur Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung ermöglicht.

Widerstände gab es von Anfang an von den Kassen, die das Miteinander der Heilberufler als gefährliche neue Macht sahen, und von den Herstellern, die vor allem eine Positivliste fürchteten. Die Politik war dagegen überzeugt: Wie oft hat man als Entscheider im Gesundheitswesen schon die Gelegenheit, bei Patienten und Lobbygruppen gleichermaßen zu punkten.

Schon früh zeichnete sich jedoch ab, dass die Apotheker bei dem Gemeinschaftsprojekt zwar die treibende Kraft, am Ende aber nur der Juniorpartner waren. So mussten die Pharmazeuten Union und FDP erst daran erinnern, dass es mit dem Kuhhandel Wirkstoffliste gegen Regress nicht getan war: Das für die Apotheker wichtige Medikationsmanagement schaffte es erst im zweiten Anlauf ins Gesetznachdem die KBV zu Protokoll gegeben hatte, dass auch sie das Paket nicht aufschnüren wollte.

Das Gesetz lag noch im Bundesrat, da kam der Schock: Kurz vor Weihnachten 2011 warf KBV-Vorstand Carl-Heinz Müller das Handtuch – die Apotheker verloren ihren wichtigsten, vielleicht einzigen Fürsprecher bei den Ärzten. Müllers Kollege bei der KBV, Dr. Andreas Köhler, hatte den Apothekern schon vor dem Schulterschluss einmal damit gedroht, ihnen höchstpersönlich die Scheiben einzuschlagen, sollten sie den Ärzten mit medizinischen Dienstleistungsangeboten dazwischenfunken.

Jetzt zeigte sich, dass die Apotheker auf das falsche Pferd gesetzt hatten: Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, hatte die Pharmazeuten auf kleinem Dienstweg schon frühzeitig in Kenntnis gesetzt, dass er alles unternehmen würde, um das Konzept zum Scheitern zu bringen. Für den ehemaligen KBV-Chef, dem die Vertreterversammlung 2007 das Vertrauen entzogen hatte, war der freche Vorstoß aus der Jägerstraße eine gute Gelegenheit, seine Kollegen hinter sich und seinem Verband zu versammeln.

Weigeldt wusste, welchen Reflex er auslösen musste. So wie die Politik sich die Apotheker seit 2009 mit Verweis auf das Fremdbesitzverbot vom Leib hält, holen die Ärzte jedes Mal das Dispensierrecht aus dem Giftschrank, wenn ihnen die Pharmazeuten allzu sehr auf die Pelle rücken. Wer Menschen im Notdienst oder Palliativpatienten helfen will, hat die breite Öffentlichkeit auf seiner Seite – ein Risiko gibt es also nicht.

So sinnvoll das Medikationsmanagement für die Patienten und so notwendig es für die Apotheker ist: Bei der ABDA hätte man wissen müssen, wie groß die Risiken von Anfang an waren – und wie gering die Erfolgsaussichten ohne Zugeständnisse an die Verbündeten. Was aber hätten die Apotheker den übermächtigen Ärzten anbieten können? Entlastung vielleicht, am besten Unterstützung.

Doch statt Überzeugungsarbeit an der Ärztebasis zu leisten, verstiegen sich ABDA-Präsident Friedemann Schmidt, einer der geistigen Väter des ABDA/KBV-Modells, und andere Apothekerfunktionäre in Kampfparolen: Von apothekerlichen Folgerezepten war die Rede und von klinischen Studien, die man den Ärzten erklären wolle. Notfalls werde man sich auch ohne die Ärzte in dem Bereich engagieren, ergänzte BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer – und ließ mittels 23-seitigem Grundsatzpapier definieren, dass Medikationsmanagement per se interdisziplinär ist.

Aus den eigenen Reihen gab es Applaus. Von den Ärzten aber hörte man nichts mehr und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vergaß die ehrgeizigen Apotheker, wo er nur konnte: Beim Präventionsgesetz, beim E-Health-Gesetz und sogar beim Versorgungsstärkungsgesetz. Die Politik lässt sich von den Pharmazeuten nicht mehr zu Hilfe bitten: Der Gesetzgeber habe seine Aufgabe erledigt, jetzt seien Ärzte und Apotheker endlich am Zug, forderte Jens Spahn (CDU) schon mehrfach öffentlich – wohlwissend, dass die Pharmazeuten längst schachmatt waren.

So haben sich die Apotheker mit einem gut gemeinten und wichtigen Anliegen, aber ohne berufspolitisches Geschick ins Abseits manövriert. Wer nicht einmal Medikationspläne erstellen darf, der wird auch keine Medikationsanalysen fahren oder Impfungen austeilen. Dass die Politik nach der Honorarumstellung im Jahr 2004 lieber den Ärzten eine neue Abrechnungsziffer spendieren würde als den Apothekern eine weitere Beratungspauschale, war nahe liegend. So gesehen haben die Pharmazeuten ihren Trumpf verspielt: Wer für mehr Kompetenz unbedingt mehr Geld will, bekommt im Zweifelsfall keins von beidem.

Der ABDA-Präsident geht Nachfragen zum Erfolg seiner Arbeit mittlerweile aus dem Weg. Nicht einmal in seinem eigenen Sprengel ist es Schmidt gelungen, die Mediziner von einem Minimum an Miteinander zu überzeugen: Dreieinhalb Jahre nach dem grünen Licht aus Berlin lässt das Medikationsmanagement als Stufe III von ARMIN nach wie vor auf sich warten – Ausgang ungewiss, denn die Ärzte haben längst, was sie wollten. „Die Zeit der Modellprojekte muss irgendwann zu Ende sein“, fordert unlängst Bayerns Verbandschef Dr. Hans-Peter Hubmann, ohne dass ein einziges Modellprojekt zum Medikationsmanagement überhaupt begonnen hätte. Mehr Verzweiflung geht nicht.

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