Im Arzneimittelbereich werden zwar Milliarden durch die verschiedenen Kostendämpfungsmaßnahmen eingespart. Dennoch steigen die Ausgaben der Kassen kontinuierlich. Schuld sind laut aktuellem Arzneiverordnungs-Report (AVR) vor allem innovative Präparate – die oft wenig innovativ seien. Die Industrie weist die Vorwürfe zurück.
Die Herausgeber Professor Dr. Ulrich Schwabe und Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig attestieren, dass durch gesetzliche Maßnahmen 16,8 Milliarden Euro bei den Arzneimittelkosten eingespart werden. Dennoch seien die Ausgaben der Kassen für Medikamente im vergangenen Jahr um 5,4 Prozent auf 43,4 Milliarden Euro gestiegen. Hauptursache seien neue hochpreisige patentgeschützte Arzneimittel.
So sei der Trend am stärksten ausgeprägt bei
Ein Hauptgrund für die Kostenprobleme sei ein sechsfacher Anstieg der durchschnittlichen Jahrestherapiekosten neu eingeführter Patentarzneimittel von 34.253 Euro auf 217.312 Euro in den letzten zehn Jahren.
Dabei stünden die hohen Arzneimittelpreise in keiner erkennbaren Relation zum erzielten therapeutischen Fortschritt. Nach zehn Jahren Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) zeige eine Analyse der frühen Nutzenbewertung, dass nur in 45 Prozent der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ein belegter Zusatznutzen konstatiert wurde. Eine besondere Herausforderung für die Nutzenbewertung seien hochpreisige Arzneimittel für die Gentherapie und andere neuartige Therapien.
Mehrere gesetzliche Regelungen hätten die Kostendynamik nicht abbremsen können, obwohl bei den Arzneimittelausgaben 2019 hohe Einsparungen durch Festbeträge (8,2 Milliarden Euro), Rabattverträge (5,0 Milliarden Euro) und das AMNOG (3,6 Milliarden Euro) erzielt wurden.
Nach den Analysen der AVR-Herausgeber hat der kontinuierliche Ausgabenboom vielfältige Ursachen. Neben der Einführung hochpreisiger Patentarzneimittel hapere es an effektiven Marktregulierungsinstrumenten nach Ablauf des Patentschutzes: Noch immer seien Biosimilars in anderen europäischen Ländern wesentlich billiger als in Deutschland. Markantes Beispiel seien die Jahreskosten des teuersten Wirkstoffs Adalimumab: Auch zwei Jahre nach dem Patentablauf hat das frühere Originalpräparat (Humira) immer noch einen Marktanteil von 70 Prozent. Die Jahreskosten betragen weiterhin eine Milliarden Euro, während mit Biosimilars aus anderen europäischen Ländern 457 Millionen Euro eingespart werden könnten.
Noch grotesker sei die Situation bei patentfreien Nichtbiologika aus der Gruppe der Krebsmedikamente. Bei den Patentabläufen des Jahres 2019 seien Parallelimporte von einigen Originalpräparaten deutlich billiger als die ersten deutschen Generika, während mit Generika aus anderen europäischen Ländern bereits Einsparungen von über 40 Prozent erzielt werden können.
Eine weitere Ursache sei die „schleppende Umsetzung des früher so erfolgreichen deutschen Festbetragssystems“. Bei dem Biologikum Infliximab habe es nach dem Patentablauf etwa drei Jahre gedauert, bis eine Festbetragsgruppe durch den G-BA und den GKV-Spitzenverband etabliert werden konnte. Bei dem Krebsmittel Imatinib gebe es seit 2017 Generika, aber immer noch keinen Festbetrag, obwohl die Generika zu Imatinib nur noch 5 Prozent des Originalpräparats kosteten.
Eine Forderung der Herausgeber ist daher, bei Biosimilars die Vereinbarung von Erstattungsbeträgen durch den GKV-Spitzenverband wie bei patentgeschützten Arzneimitteln mit Angaben zur Höhe des tatsächlichen Preises in anderen europäischen Ländern. Auch bei der Berechnung von Festbeträgen sollten die Packungspreise in anderen europäischen Ländern berücksichtigt werden.
Die Reaktion der Industrie ließ nicht lange auf sich warten. Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), wies darauf hin, dass der Anteil der Arzneimittel an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung seit 2010 von 17,1 auf 16,3 Prozent gesunken sei. Einen „kontinuierlichen Ausgabenboom“ könne man daher nicht erkennen.
Was die Zahlen allerdings aus seiner Sicht hergeben, ist ein Anstieg bei den Belastungen der Hersteller. So seien die Rabattzahlungen seitens der Hersteller von anfänglich jährlich 310 Millionen Euro (2008) auf mittlerweile 4,9 Milliarden Euro (2019) angestiegen. „Insgesamt summieren sich die Rabattzahlungen der Hersteller auf nun fast 34 Milliarden Euro.“ Angestiegen seien zudem die gesetzlichen Abschläge und Einsparungen aus dem AMNOG-Verfahren, von 2,448 Milliarden (Jahr 2015) auf 4,855 Milliarden Euro (2019). „Einen Boom sehen wir daher vielmehr bei den Belastungen der Hersteller“, so Cranz.
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