Mayer-Schönberger: Apotheker zu Informationsbrokern! APOTHEKE ADHOC, 05.02.2019 08:57 Uhr
Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, ist die gängige Weisheit. Falsch, sagt Professor Dr. Viktor Mayer-Schönberger, Daten sind das Geld des 21. Jahrhunderts. Sie übernehmen die informationelle Funktion, die heute der Mammon innehat. Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation in Oxford und Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung, ist einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet des datengetriebenen Kapitalismus und seiner Regulierung. Bei der Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC, erklärt er, wie die Apotheken ihre Datenmacht nutzen können, um sich den weiter wachsenden Digitalriesen entgegenzustellen.
Viktor Mayer-Schönberger war schon Digital Native, als es den Begriff noch gar nicht gab. Schon als Abiturient im österreichischen Zell am See, Anfang der Achtziger, begann er in der elterlichen Steuerberatungskanzlei mit Bits und Bytes zu tüfteln, mit 15 Jahren hatte er eine eigene Programmiersprache geschrieben. Mit gerade einmal 20 gründete er die Softwarefirma Ikarus und entwickelte Antiviren-Software – die erfolgreichste des Landes. Doch der ehrgeizige Jungunternehmer beließ es nicht beim Programmieren, sondern studierte Jura. Ende der Neunziger wurde er Professor für Public Policy an der Harvard Kennedy School, seit 2010 hat er seinen Lehrstuhl in Oxford.
Heute ist Mayer-Schönberger weltweit einer der meistgefragten Experten für die großen Themen der Informationsgesellschaft, den Datenkapitalismus und seine Regulierung: Der Begriff des „Rechts auf Vergessenwerden“ geht auf ihn zurück, mit seinem Bestseller „Big Data“ zeigte er Millionen Lesern, wie die technische Revolution in der Datenerhebung und -verarbeitung unsere Weise zu leben, arbeiten und denken verändert, und in seinem neuesten Werk „Das Digital“ legt er nicht weniger als ein Manifest für die digitale Wirtschaft des 21. Jahrhunderts vor. Darin skizziert er Forderungen nach Regeln und Regulation der datengetriebenen Marktwirtschaft.
Die birgt nämlich so einige Gefahren, insbesondere für Kleinbetriebe und Mittelstand. Denn zwar verbessern mit Daten lernende Systeme die Entscheidungsfindung auf datenreichen Märkten, „sie machen diese aber auch anfälliger für Systemversagen und Konzentrationsprozesse“. Jeder, der die Entwicklung des Versandapothekenmarktes in den letzten Jahren verfolgt hat, kann das erkennen. Was also tun in der schönen neuen Zeit, damit Apotheken und andere Kleinbetriebe nicht zu den Verlierern der Digitalisierung werden?
Mayer-Schönberger formuliert hierfür Forderungen, die über Versandverbote und Vergütungsreformen weit hinausgehen: „Der Datenkapitalismus braucht neue Formen der Regulierung, die fairen Wettbewerb bei Daten und Datenanalytik sicherstellen.“ Eine dieser neuen Formen wäre eine „progressive Daten-Sharing-Pflicht“, die auch für kleinere Unternehmen einen „umfangreichen, aber differenzierten Zugang zu Feedbackdaten“ gewährleisten soll. „Sie ist nicht nur die geeignete Kartellrechtsmaßnahme für das Datenzeitalter, sondern auch ein Schutz gegen Entwicklungen, die unsere Gesellschaft als Ganzes bedrohen können“, so Mayer-Schönberger. Weiter gedacht, könne diese „Daten-Sharing-Pflicht“ auch in eine „Datensteuer“ münden, „die von datenreichen Firmen nicht in Geld bezahlt wird, sondern in Daten“.
Wer nun nicht mehr auf die Politik vertrauen mag wird nun fragen: Und was können die Apotheker selbst machen, um sich zu behaupten? Deren Zukunft sieht Mayer-Schönberger ebenfalls im innovativen Umgang mit Daten. Eine „Kombination aus Cutting-Edge-Technology und menschlichem Touch“, darin liege das Rezept. „Die Apotheker stehen jenen ratlos gegenüber, die große Skaleneffekte nutzen können“, sagt Mayer-Schönberger. „Das kann ich gut nachvollziehen.“ Die Chancen lägen jedoch weder in Skaleneffekten noch im Preiskampf, sondern im direkten Informationskanal.
Die Apotheker müssen daher lernen, ihre Daten zu nutzen. „Dabei ist es entscheidend zusammenzuarbeiten, auch wenn das natürlich schwierig ist, weil man ja prinzipiell im Wettbewerb zueinander steht. Die Apotheker müssen aber akzeptieren, dass nicht jeder ein Einzelkämpfer sein kann“, so der 52-Jährige. „Jeder für sich generiert schon eine Menge Daten. Die müsste man poolen, damit alle was von ihnen haben.“ Dazu könne beispielsweise die Standesvertretung eine Zwecksellschaft gründen, in der jede Apotheke Mitgesellschafterin wird, um ihre Daten einstellen zu können. Die Auswertung müsste dann zentral stattfinden, „gern auch mit der entsprechenden Expertise“, sagt er.
Damit würde man nicht nur den Konzentrationstendenzen des Markts entgegenwirken und könnte die Erkenntnisse für Beratung und Betrieb nutzen, sondern könnte vor allem die Verhandlungsmacht der Apotheker gegenüber anderen Akteuren im Gesundheitswesen stärken. „Die Krankenkassen sind Datenkraken, doch wenn die Apotheken ihre Informationen bündeln, können sie ihnen etwas entgegenhalten, nämlich Wissen, das die Kassen nicht haben.“ So seien die Apotheken vor allem im Wissen über OTC und Freiwahl im Vorteil. „Das ist eine Sicht auf Transaktionen und Käufe, die die Kassen nicht haben.“
Die Apotheker sollen also eine Informationsinfrastruktur aufbauen, die nicht nur das DSGVO-gerechte Pooling höchst sensibler Daten, sondern auch deren zentrale Auswertung ermöglicht? Mayer-Schönberger hat nie behauptet, dass das leicht wird. „Um da erfolgreich zu sein, müssen sich die Apotheker ein Stück weit neu erfinden: Als Informationsbroker“, sagt er. „Sie sollten nicht glauben, wenn man lange genug schläft, sei der Albtraum irgendwann vorbei.“
Wer genauer wissen will, wie die Apotheken zu Siegern des digitalen Wandels werden, der muss zur Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC kommen. Rund 30 hochkarätig Top-Speaker werden sich dort am 20. und 21. März in Berlin dem wichtigsten Zukunftsthema der Branche widmen. Neben Viktor Mayer-Schönberger sprechen unter anderem Professor Dr. Jürgen Schmidhuber, einer der Väter der Künstlichen Intelligenz, dessen Algorithmen von Apple über Facebook bis Google Anwendung finden. Dunja Hayali zeigt auf, wie man mit kontroversen Diskursen in sozialen Medien umgeht, während Dr. Tu-Lam Pham zeigt, wie Technologie und soziale Medien Gesundheit und Fitness auf der ganzen Welt verändern. Mit den VISION.A Awards werden auch in diesem Jahr wieder die innovativsten Konzepte und Geschäftsideen ausgezeichnet. Das ganze Line-Up, alle Informationen und Tickets gibt es unter: vision.apotheke-adhoc.de