Gesundheitsökonom Professor Dr. Uwe May geht davon aus, dass das Impfrecht für Apotheken die Zahl der gegen Grippe geimpften in Deutschland um zehn Millionen erhöhen würde. Das würde May zufolge nicht nur 41 Todesfälle im Jahr verhindern, sondern auch drei Millionen Ausfalltage wegen Arbeitsunfähigkeit. Die Bedenken gegen das Impfrecht hält er für nicht gerechtfertigt. Impfung in der Apotheke: Wie steht ihr dazu? Jetzt im LABOR austauschen!
„Grippe ist keine Privatsache, sondern kann eine ganze Volkswirtschaft verlangsamen und die Kapazitäten des Gesundheitssystems an ihre Grenzen bringen“, mahnt May in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung. Dennoch gibt es hierzulande heftige Widerstände gegen das Impfen in der Offizin: Die Apothekerschaft ziert sich aus Sorge, dass die Ärzteschaft im Gegenzug das Dispensierrecht fordert, die Ärzte wiederum argumentieren mit der Gefahr von Komplikationen. Die könne nur ein ausgebildeter Mediziner beherrschen. „Aus der Praxis wissen wir, dass die Bedenken nicht gerechtfertigt sind“, wendet May ein. „Dass jemand aufgrund einer allergischen Reaktion sofort umfällt und ärztliche Behandlung braucht, ist ein Fall, der praktisch nie vorkommt.“
Geschult werden müsste das impfende Apothekenpersonal natürlich dennoch. Die Apotheker müssten wissen, wer für eine Impfung geeignet ist. Es bei der jetzigen Situation zu belassen, sei aber weitaus riskanter. Wichtigstes Argument ist dabei laut May die Niedrigschwelligkeit des Zugangs: Das Impfrecht für Apotheken würde nämlich nicht denjenigen helfen, die ohnehin regelmäßigen Arztkontakt haben. „Aber es gibt viele Menschen, die stark in ihre Arbeitsprozesse eingebunden sind“, so May. „Viele von denen würden sich impfen lassen, finden aber nicht die Zeit, werden selten darauf angesprochen, weil sie weniger bei Ärzten sind und haben vielleicht auch keine Lust, sich um einen Arzttermin zu bemühen.“
Einfach ausgedrückt: Vor allem jüngere Menschen, die mitten im Leben stehen, sind von der jetzigen Situation betroffen. „Die muss man erreichen, das ist wichtig“, so May. Stattdessen konzentriere sich die deutsche Debatte aber zu sehr auf die Risikogruppen, für die eine Grippe persönlich eine große Gefahr darstellt. „Aber das ist eine viel zu beschränkte Sicht.“ Denn auch die zahlenmäßig viel größere Zahl der Menschen, die keiner Risikogruppe angehören, können Menschen anstecken. Deshalb müssten gerade zum Schutz der Risikogruppen andere Menschen geimpft werden.
Und da sieht May riesiges Potential, sollten Apotheken Grippeimpfungen anbieten dürfen. Rund 20 Millionen Menschen in Deutschland sind bereits gegen Grippe geimpft, rund 25 Prozent der Bevölkerung. „Wir halten eine Steigerung der Impfrate um zwölf Prozentpunkte für realistisch, was zehn Millionen geimpfte Menschen mehr bedeuten würde“, sagte er der Zeitung. Die Beispiele anderer Länder, in denen Apotheken das Impfrecht erhalten haben, würden diese Annahme stützen.
Mays Berechnungen zufolge würde eine solche Steigerung jährlich zur Vermeidung von 900.000 Krankheitsfällen, 5000 Einweisungen in Krankenhäuser und 41 Todesfällen führen und die Zahl der krankheitsbedingte Ausfalltage um drei Millionen reduzieren. „Das alles ist konservativ gerechnet“, so May. Der Volkswirt und Gesundheitsökonom ist Professor an der Hochschule Fresenius und langjähriger Lehrbeauftragter an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Von 1995 bis 2011 war er als Abteilungsleiter beim BAH für die Bereiche Gesundheitsökonomie sowie Selbstmedikation verantwortlich.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) steht dem Thema offen gegenüber, erst vor zwei Wochen hatte er es auf dem Westfälisch-lippischen Apothekertag erneut ins Gespräch gebracht. Er schaue sich derzeit genau an, „was Frankreich macht“. Wenn Ärzte über zu volle Wartezimmer klagten, sei es sinnvoll, die Kompetenz der Apotheker intensiver als bisher zu nutzen. Im vergangenen Herbst hatte Spahn sich erstmals positiv zum Impfrecht für Apotheken geäußert und die Debatte damit entfacht.
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