Gleichbehandlung schön und gut. In der Medizin kann das aber Nachteile bringen. Etwa für Männer. Die sind häufig Vorsorgemuffel – und bräuchten Sonderansprache.
Gleichbehandlung ist nicht immer gut: Bei Krankheiten haben Männer, Frauen und nicht-binäre Personen unterschiedliche Bedürfnisse. Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz Manne Lucha befürwortet daher eine auf das Geschlecht angepasste Gesundheitsversorgung. Dabei will sich der Gesundheitsminister aus Baden-Württemberg vor allem für Männer einsetzen. „Es gehört auch zur Geschlechtermedizin dazu, dass wir den Bereich Männergesundheit nochmal deutlicher in den Fokus nehmen“, sagte der Grünen-Politiker.
Lucha will Männer zu mehr Gesundheitsvorsorge animieren. „Männer sind die größeren Vorsorgeschlamper", sagte er. Sie neigten außerdem stärker als Frauen zu risikobehafteten Lebensweisen – etwa durch mehr Alkoholkonsum oder schlechtere Ernährung. Daher müssten sie gezielter über Präventionsangebote informiert werden.
„Männer sind tatsächlich Vorsorgemuffel“, bestätigte Burkhard Sievers. Der Chefarzt in Remscheid (Nordrhein-Westfalen) ist gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin. „Geschlechtersensible Medizin hat nicht nur damit zu tun, dass man über Frauen redet, sondern auch über Männer“, sagte er. Beim Thema Prävention beobachtet der Mediziner nach eigener Aussage, dass Frauen schon früh an Arztbesuche herangeführt werden, etwa zu gynäkologischen Untersuchungen. Deshalb sei bei ihnen eine größere Selbstverständlichkeit dafür vorhanden, Vorsorgetermine wahrzunehmen.
Die geschlechtsspezifische Medizin – auch „Gendermedizin“ genannt – untersucht, wie das Geschlecht die Entstehung, Diagnose sowie Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten beeinflusst. Die klassische Medizinforschung macht keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Das führt laut Sievers beispielsweise dazu, dass bei Frauen Herzerkrankungen seltener erkannt werden, weil sie nicht immer die gleichen Symptome wie Männer zeigen. Andersherum gebe es auch unterdiagnostizierte Krankheiten bei Männern. Zum Beispiel Depressionen: Dem Mediziner zufolge zeigen Männer andere Symptome als Frauen, wie erhöhtes Sucht- und Aggressionsverhalten. „Das wird in den typischen Fragebögen für Depressionen aber gar nicht abgefragt.“
Laut Sievers ist Deutschland beim Thema Gendermedizin „extrem spät dran“. Erst seit etwa zwei Jahren bemerke er eine erhöhte Aufmerksamkeit. In den USA dagegen sei das Thema schon seit den frühen 90er Jahren präsent. An den dortigen Kliniken gebe es geschlechtssensible Behandlungsprogramme und riesige Öffentlichkeitskampagnen.
Auch hierzulande gibt es mittlerweile Öffentlichkeitskampagnen, etwa von der Krankenkasse Barmer. „Dieses Thema kann gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen“, sagte Ursula Marschall, leitende Medizinerin der Barmer. Sie betonte, dass mehr Forschung notwendig sei, um Daten zu generieren. Diese Daten könnten dann in gezielte Versorgungsangebote umgesetzt werden.
Geforscht wird rund um das Thema geschlechtsspezifische Medizin zum Beispiel in Tübingen: Hier gibt es das Forschungsinstitut für Frauengesundheit unter der Leitung von Sara Brucker. Die Medizinerin fordert eine „personalisierte Prävention“, die auch individuelle Lebensumstände wie das soziale Umfeld berücksichtigt. Außerdem solle personalisierte Prävention auch gelehrt werden. „Wir müssen das Ganze in den studentischen Lehrplan einführen“, sagte Brucker.
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Lucha kündigte an, sich bald eingehender mit geschlechtsspezifischer Behandlung in der Medizin zu befassen. Konkrete Maßnahmen stellte er jedoch nicht vor.
Lucha hat in diesem Jahr den Vorsitz bei der Gesundheitsministerkonferenz inne. Dort treffen die jeweiligen Ministerinnen und Minister der Bundesländer in der Regel jährlich zum Austausch zusammen.
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