Krankenkassen müssen die vollen Kosten der Behandlung mit Lucentis (Ranibizumab) übernehmen. Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in zwei Fällen. Demnach können Patienten auf die Behandlung mit dem Originalpräparat bestehen und müssen sich nicht darauf einlassen, die Einmalspritze auf mehrere Spritzen aufzuteilen.
Im August 2007 hatte die Knappschaft-Bahn-See genau das von einem Patienten verlangt: Wegen einer altersbedingten Makuladegeneration beantragte sein Augenarzt die Kostenübernahme für drei intravitreale Injektionen mit Lucentis. Novartis vertrieb das Präparat damals in Durchstechflaschen mit 0,3 Millilitern zum Apothekenverkaufspreis von rund 1500 Euro für eine Einmalspritze. Pro Anwendung ist eine Dosierung von 0,05 Millilitern empfohlen.
Für die Applikation stellte der Arzt jeweils 400 Euro in Rechnung, basierend auf der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) für Leistungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Insgesamt kostete die Behandlung rund 5800 Euro.
Die Kasse bewilligte aber nur Medikamentenkosten bis zur Höhe von 2400 Euro und Behandlugskosten von knapp 1000 Euro. Es sei möglich, die vertriebene Einmalspritze auf zwei oder drei patientengerechte Darreichungsformen aufzuteilen, wie es das Städtische Krankenhaus anbiete, argumentierte die Kasse.
Der Patient bestand aber darauf, Lucentis zulassungskonform zu erhalten – also nicht ausgeeinzelt. Das Sozialgericht Köln hatte die Kasse zur vollen Erstattung der Kosten verurteilt, das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat die Entscheidung im Frühjahr 2013 bestätigt. Die Kasse legte daraufhin Revision ein und scheiterte damit nun vor dem BSG.
Die Richter entschieden, dass die Kasse den Versicherten nicht auf Leistungen mittels Auseinzelung des Mittels verweisen könne. „Der zulassungsentsprechende Gebrauch von Lucentis soll Risiken wie zum Beispiel Verunreinigungen durch Mehrfachentnahmen verhindern“, so das Gericht.
Auch die Kosten für die Anwendung muss die Kasse demnach übernehmen: Dass der Arzt nicht über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abrechnen konnte, liegt dem Gericht zufolge an einem Systemversagen. Die Abrechnungspositionen für diese „Kernleistung der gesetzlichen Krankenversicherung“ fehlten im EBM. Die Abrechnung über die GOÄ sei formell korrekt erfolgt.
In einem zweiten Fall, in dem ein Patient gegen die IKK Südwest klagte, entschieden die Richter ebenso. Die Kasse muss auch in diesem Fall die vollen Kosten für die selbstbeschafften intravitrealen Injektionen mit Lucentis in Höhe von rund 5100 Euro aufkommen.
Das Urteil dürfte auch die Debatte um die Auseinzelung von Lucentis beeinflussen. Derzeit streiten der Lucentis-Hersteller Novartis und die Aposan-Tochter Apozyt in Hamburg darüber, ob Apotheken aus den Einmalspritzen mehrere Spritzen herstellen dürfen. Dabei geht es um die Frage, ob durch das Umfüllen neue Arzneimittel entstehen, für die Apozyt eine eigene Zulassung bräuchte.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im April 2013 klargestellt, dass eine Zulassung nicht erforderlich ist, wenn die Umfüllung nicht zu einer Veränderung des Arzneimittels führt und nur auf der Grundlage individueller Verordnungen vorgenommen wird. Das Landgericht Hamburg entschied daraufhin im März, dass Lucentis durch das Umfüllen verändert wird. Weil der Originalhersteller für einen solchen Schritt eine neue Zulassung bräuchte, müssten auch Apotheken und Herstellbetriebe in die Pflicht genommen werden. Apozyt hat bereits Berufung eingelegt.
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