Zwei kleine Fehler auf Rezepten haben einen Apotheker aus Nordrhein-Westfalen mehr als 5000 Euro gekostet. Einmal fehlte ein A, einmal hatte sich der Arzt bei der Dauermedikation in der Dosierung vertan. Nach dem Sozialgericht Köln (SG) gab auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) der Kasse recht, die den Pharmazeuten auf Null retaxiert und keine Heilung akzeptiert hatte. Der Fall zeigt, dass Apotheken nach wie vor wegen Formfehlern belangt werden. Insbesondere bei den BtM-Höchstmengen sind sie nach dem Urteil der Willkür der Kassen ausgeliefert, wenn sie nicht höchste Sorgfalt walten lassen.
Der Apotheker hatte gleich doppelt Pech: Ende Januar 2015 wurde in seiner Apotheke ein BtM-Rezept eingelöst, verordnet waren 0,5 g Dronabinol als Rezeptur für ein Kind. Das Problem: Schon kurz nach dem Jahreswechsel hatten die Eltern ein identisches Rezept eingelöst, der Höchstmenge gemäß Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) war damit überschritten – aber das „A“ auf dem Rezept als Ausdruck des ärztlichen Willens fehlte und war auch nicht in der Apotheke nachgetragen worden.
Wenige Wochen später kam es in seiner zweiten Apotheke zu einem weiteren folgenschweren Fehler: Diesmal wurde Stelara 90 mg abgegeben. Die Stammkundin, die das Rezept einreichte, erhielt die Fertigspritzen seit längerem. Auf dem Rezept war aber Stelara 45 mg verschrieben – den Fehler zu korrigieren beziehungsweise einen entsprechenden Hinweis aufzutragen, wurde in der Apotheke vergessen.
Die Kasse kürzte beide Rezepte auf Null – einmal 411 Euro, einmal 4700 Euro. Der Widerspruch des Apothekers wurde abgebügelt, nachträgliche Bestätigungen der beiden Ärzte, dass alles seine Richtigkeit hatte, wurden nicht anerkannt. Dem Apotheker blieb nichts anderes als der Weg zum Gericht.
Doch in zweiter Instanz bestätigte das LSG zuletzt das Vorgehen der Kasse. Ein Zahlungsanspruch bestehe nicht, auch wenn es sich laut Gericht um ordnungsgemäß ausgestellte Verordnungen im Sinne des Liefervertrags gehandelt haben dürfte. Apotheker müssten aber auch die allgemein geltenden Vorschriften wie Apotheken- und Arzneimittelgesetz und die auf deren Grundlage erlassenen Verordnungen einhalten, was hier nicht der Fall gewesen sei.
Auch der zwischenzeitlich geregelte Ausschluss von Retaxationen bei Formfehlern diene nicht dazu, „Apotheker nicht von ihren spezifischen beruflichen Pflichten zu dispensieren“, so das LSG. „Ausdrücklich sollte es nach der Gesetzesbegründung dabei bleiben, dass Anforderungen an die ärztliche Verordnung, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit zum Beispiel in der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) genannt sind, im Sinne der sicheren Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln uneingeschränkt gelten.“
Im vorliegenden Fall handele es nicht um bloße Formfehler – wie etwa die Verwendung einer Abkürzung auf der Verordnung, so das LSG. Zum einen fielen die streitigen Null-Retaxierungen in einen Zeitraum vor Inkrafttreten der mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz beschlossenen Regelungen und entsprechender Anpassung des Rahmenvertrags. „Abgesehen davon liegt aber auch keiner der dort genannten Ausnahmefälle hier vor. [...] In beiden Fällen bestand - was aus Gründen der Arzneimittelsicherheit auch nachvollziehbar ist – ein Abgabeverbot, das der Kläger missachtet hat.“
Im Fall des BtM-Rezepts spielt es laut Gericht keine Rolle, ob in der Apotheke die vorherige Verordnung bekannt war. „Zum einen folgt das Abgabeverbot aus § 12 Abs. 1 Nr. 1b) BtMVV, ohne dass diese Regelung danach differenziert, ob für den Abgebenden die unzureichende Verordnung erkennbar ist oder nicht. Wäre dies von Bedeutung, wäre auch die differenzierte Regelung in § 12 Abs. 2 BtMVV für die dort geregelten, hier nicht gegebenen Ausnahmefälle unverständlich.“
Zum anderen war es laut LSG für den Apotheker beziehungsweise seine Mitarbeiter „ohne besondere Schwierigkeiten“ möglich zu erkennen, dass bereits zuvor Dronabinol abgegeben worden war. „Allein der Umstand, dass die Versicherte nicht über eine Kundenkarte verfügte und dem Medikament keine eindeutige Nummernkennzeichnung zugeordnet war, wie der Kläger behauptet, ändert nichts daran, dass im Fall wiederholter Abgabe von Dronabinol eine erhöhte Sorgfaltspflicht bestand.“ Andernfalls liefe das Abgabeverbot ins Leere, „weil sich der abgebende Apotheker immer auf seine Unkenntnis berufen könnte“.
Welche besonderen Maßnahmen der Apotheker hätte treffen müssen und ob er auch hätte haften müssen, wenn das erste Rezept in einer anderen Apotheke eingelöst worden wäre, lässt das LSG offen. „Jedenfalls unter diesen Umständen kann sich der Apotheker nicht darauf berufen, er habe unwissentlich die unzulässige Versorgung mit der Folge der Vergütungspflicht durch die Krankenkassen vorgenommen.“ Das SG hatte zuvor argumentiert, dass sowohl § 17 Abs. 5 Satz 2 ApBetrO als auch § 12 BtMVV einen „subjektiven Maßstab“ anlegten, indem auf einen „für den Abgebenden erkennbaren Irrtum“ abgestellt werde. Damit sei unerheblich, dass die Überschreitung der Höchstmenge nicht für jeden Apotheker erkennbar gewesen sei. Im vergangenen Jahr hatte das SG Nordhausen in einem ähnlichen Verfahren entschieden, dass jede Apotheke – zumindest auf entsprechenden Antrag – einen vertraglichen Anspruch auf eine „ermessensfehlerfreie Einzelfallentscheidung der Krankenkassen über eine möglicherweise ganz oder teilweise Vergütung trotz eines derartigen Verstoßes hat“.
Was Stelara angibt, liegt laut Gericht ein Verstoß gegen § 17 Abs. 5 Satz 2, 3 a.F. ApBetrO vor. „Danach darf das Arzneimittel vor der Beseitigung der Unklarheit nicht abgegeben werden, wenn eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum enthält, sie nicht lesbar ist oder sich sonstige Bedenken ergeben. Der Apotheker hat jede Änderung auf der Verschreibung zu vermerken und zu unterschreiben [...].“
So habe der Inhaber selbst eingeräumt, von einem Irrtum beziehungsweise Schreibfehler des Arztes ausgegangen zu sein. Deswegen hätte er vor der Abgabe Rücksprache halten und die Änderung auf der Verschreibung vermerken und mit Unterschrift versehen müssen. Dort sei aber lediglich der Vermerk „Importe nicht lieferbar“ zu finden. Das Argument des „pharmazeutischen Versorgungsauftrages“ und den Verweises auf die Dauer- und Fortsetzungstherapie ließen die Richter genauso wenig gelten wie die nachträglich eingeholte Bestätigung des Arztes.
Bei Zweifeln hinsichtlich der Richtigkeit der Wirkstärke hätten etwaige Unklarheiten beseitigt werden müssen, bevor das Arzneimittel ohne vorherige Rücksprache mit dem Arzt in der höheren Wirkstärke hätte abgegeben werden dürfen, hatte schon das SG argumentiert. Die in beiden Fällen nachträglich erstellte Bestätigung der behandelnden Ärzte ändere hieran nichts, da es für die Beurteilung von krankenversicherungsrechtlichen Leistungspflichten und Leistungsansprüchen allein auf die „tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Versorgung“ ankomme.
In einem letzten verzweifelten Versuch hatten die Anwälte des Apothekers in der Berufung noch argumentiert, dass die Stelara-Retaxation an die falsche Filiale ausgestellt worden war. Doch laut LSG hatte der Apotheker dies zuvor nie beanstandet – was ohnehin nichts zur Sache getan hätte: Filialapotheken gelten laut Gericht als „Unternehmensteil einer Apotheke, so dass es, wie von der Kasse vertreten, maßgeblich auf den hinter der Hauptapotheke und der Zweigniederlassung stehenden Einzelkaufmann ankomme. „Der Fall liegt damit gerade anders als in dem vom Kläger bemühten Vergleich zu (mehreren) Gesellschaften mit beschränkter Haftung, denn bei diesen handelt es sich – anders als vorliegend – um (jeweils eigenständige) juristische Personen.“
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