Bellartz: „Die Angreifer bestimmen die Waffen“ APOTHEKE ADHOC, 30.09.2013 11:28 Uhr
Mit seinem Buch „Das Schleppnetz – Angriff auf den deutschen
Apothekenmarkt“ hat der Journalist und frühere ABDA-Sprecher Thomas
Bellartz die Branche überrascht – und wohl auch so manchen Politiker.
Auf mehr als 300 Seiten erzählt der 44-jährige Publizist über das
politische Netzwerk des Pharmahändlers Celesio und den Versuch, die
vielfach noch heute in Amt und Würden stehenden Entscheider in Berlin
und Brüssel für den Angriff auf den Apothekenmarkt zu gewinnen. Auf
Einladung der Steuerberatungskanzlei Hönig & Partner stellt Bellartz
sein Buch derzeit in verschiedenen Städten vor; die Premiere fand in
der vergangenen Woche in Leipzig statt.
Seit Ende der 1990er Jahre hatte Bellartz für die Pharmazeutische Zeitung gearbeitet und sich in dieser Zeit fortwährend mit DocMorris und dem Aufkommen des Versandhandels beschäftigt. „Als die Liberalisierungsdebatte intensiv geführt wurde, war erkennbar, dass es nicht nur eine offen wahrnehmbare Kampagne pro Apothekenketten gab, sondern dass bis dahin gut versteckte Strukturen wirkten“, so Bellartz. „Diese wollte ich beschreiben.“
In seinem Buch fasst er nicht nur das Vorgehen der CDU-geführten Landesregierung im Saarland um Ministerpräsident Peter Müller sowie Gesundheits- und Justizminister Josef Hecken zusammen. Unter dem Titel „Die Daimler-Connection“ beschreibt Bellartz außerdem das Netzwerk von Celesio-Cheflobbyist Matthias Kleinert, das bis in die höchsten Regierungskreise reichte.
Die Rolle des CDU-Wirtschaftsrats wird genauso beleuchtet wie die der prominenten Gesundheitsökonomen und Regierungsberater. Schließlich geht Bellartz auf die Kartellverfahren ein, die gegen verschiedene Apothekerverbände geführt wurden und von denen er auch persönlich betroffen war.
Laut Bellartz wurde nichts dem Zufall überlassen: „Da wurde nicht nur eine Angel in die See gehalten und gewartet, bis irgendwas anbeißt. Hier ging es um eine andere Dimension, eher darum, die See leer zu fischen. Beifang jenseits des bürgerlichen Lagers war sozusagen durchaus gewollt. Diese Strategie über Jahre durchzuhalten, muss man sich zutrauen und auch leisten können, politisch wie ökonomisch.“
Drei Jahre lang hat Bellartz an seinem Buch gearbeitet; dass die Veröffentlichung mitten in den Wahlkampf fiel, findet er gut: Denn auch wenn Celesio mit dem Abgang von Konzernchef Dr. Fritz Oesterle vorerst nicht mehr treibende Kraft ist: Die von ihm geschilderten Mechanismen und Strukturen seien nach wie vor intakt, so Bellartz: „Wenn man das Wahlprogramm der Union liest und dann der Apothekenbus von DocMorris ins Spiel kommt, weiß man, wie die Dinge laufen. Hinter einer bürgerlichen Maske ziehen kapitalstarke Liberalisierer und Konzerne die Strippen, gestern wie heute.“
Dass die Zusammenhänge frustrierend wirken können, weiß Bellartz, zumal er sich keine Illusionen macht, mehr als die Spitze des Eisbergs beschreiben zu können: „Ich bin überzeugt, dass die Liberalisierungsdebatte weiter gehen wird – man tut daher gut daran, sich zu informieren.“
Seiner Meinung nach ist derzeit allenfalls der „Pausenknopf“ gedrückt: „Das Ausbluten des Apothekenmarktes ist in vollem Gange, das AMNOG war ein Mosaikstein. Das ist der Plan B: Den Markt weichklopfen, damit dann andere Anbieter als Heilsbringer auftauchen können.“
Für die Apotheker wird es seiner Meinung nach schwer, eines Tages entstehende neue politische Strömungen aufzuhalten: „Im Grundsatz sind Apotheker diesbezüglich in der ewigen Verteidigungshaltung, da fällt die Vorwärtsbewegung schwer.“
An eine mächtige Apothekerlobby glaubt er in diesem Zusammenhang nicht: „Diese angebliche Lobbymacht ist eine Inszenierung der Angreifer: Hier geht es darum, den Apotheker in die Rolle des Goliath zu drängen.“ Seiner Meinung nach haben die Apothekerorganisationen viele Aufgaben – alleine schon die zunehmende Vielfalt der Branche mache eine Interessenvertretung schwieriger. „Das zeigt, mit welcher Macht die andere Seite agieren kann. Die Angreifer haben nur ein Ziel: den Markteintritt. Sie bestimmen Zeitpunkt und Waffen.“