„List of Shame“: Apotheker baut Engpass-Portal APOTHEKE ADHOC, 24.09.2019 09:50 Uhr
Lieferengpässe sind zum frustrierenden Dauerthema geworden. Nicht wenige Apotheker sammeln ihre Defekte auf Listen, um sich und der Kundschaft zu verdeutlichen, wie akut das Problem ist. Doch Listen sind nur Momentaufnahmen. Moritz Leiss ist einen Schritt weiter gegangen: Der Apotheker aus dem bayerischen Olching hat eine Homepage erstellt, die die Lieferengpässe in seiner Region täglich aktuell grafisch aufarbeitet. Wie geht man richtig mit Defekten um? Jetzt mit den Kolleginnen und Kollegen austauschen: Im LABOR von APOTHEKE ADHOC – „powered by“ Pohl-Boskamp.
Manche Dinge muss man mit eigenen Augen sehen, um das Ausmaß zu verstehen: beispielsweise wie lang eine Liste mit 275 Namen ist. Mit so vielen Defekte muss sich Moritz Leiss derzeit herumärgern. Statt seinen Frust für sich zu behalten oder die Liste auszuhängen, macht er sie auf einer Homepage für jedermann öffentlich. Die „List of Shame“, wie seine Seite heißt, umfasst aber nicht nur die reine Aufzählung, sondern verdeutlicht vor allem grafisch, wie sich die Zahl der Defekte seit Ende April entwickelt hat. Das ist schon bedrückend genug, dabei hat Leiss den schlimmsten Anstieg damit sogar noch verpasst.
„Den gigantischen Sprung um die Jahreswende 2018/19 habe ich leider verpasst“, erklärt Leiss. Der Vergleich zum Vorjahreszeitraum lässt erahnen, was er meint: „Vergangenes Jahr um die Zeit hatten wir um die 60 Defekte, im Moment sind es an die 270.“ Und dabei erhebt Leiss für seine Liste keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit. „Die Liste ist sehr praxisnah. Auf ihr stehen nur Sachen, die wir normalerweise auf Lager haben und regelmäßig brauchen, die aber nicht lieferbar sind.“
Wir heißt in dem Falle in der Rosen-Apotheke im bayerischen Olching, die Leiss gemeinsam mit Vater Franz und Schwester Lea betreibt. Der 36-Jährige will mit der Liste vor allem die Defekte in seiner Region abbilden. Die Idee kam ihm am Stammtisch, an dem er regelmäßig mit gut zwei Dutzend anderen Pharmazeuten aus der Gegend sitzt und sich das Leid von der Seele klagt. „Wir haben viel über das Thema Engpässe geredet und viel darüber gehört, aber mir haben die Zahlen dazu gefehlt. Da dachte ich mir, im EDV-Zeitalter sollte es doch kein Problem sein, das aufzuarbeiten.“
Also nahm sich Leiss der Aufgabe an. Die Domain zu registrieren und die Seite zu bauen, war nach eigener Angabe keine große Herausforderung. „Alles, was mit Computern und Informatik zu tun hat, ist mein Hobby“, sagt er. Die Seite ist automatisiert, einmal am Tag wird sie mit der aktuellen Liste an Defekten aktualisiert, die die Rosen-Apotheke ohnehin alle 20 Minuten an ihre drei Großhändler und direkt liefernden Hersteller schickt.
Die sind auch nicht das Zielpublikum. „Ich will etwas anschauliches haben, das man Medien, Politikern und Interessierten zeigen kann. Ich weiß nicht, ob das etwas bringt, aber ich will dass das Thema etwas mehr in die Öffentlichkeit gerät“, sagt Leiss. Deshalb will er der Bundestagsabgeordneten seines Wahlkreises, Katrin Staffler, eine E-Mail schreiben, in der er sie auf das Problem und seine Seite hinweist. Ob die CSU-Frau dabei helfen kann, sei dahingestellt: Die Ursachen seien derart komplex und miteinander verwoben, dass man mit einfachen Maßnahmen nicht viel ausrichten könne. Neben Rabattverträgen, der internationalen Nachfrage und Verunreinigungen sieht Leiss vor allem die Konzentration auf wenige Produktionsstandorte, die aus Kostengründen in Ostasien liegen, als Hauptproblem. „Schauen sie sich doch Isoprolol an: Da gibt es zwanzig, dreißig Anbieter, aber nur zwei, drei Wirkstoffhersteller.“ Grundlegend sei jedoch richtig: Die Gesundheitspolitik ist schuld an der Situation.
Neben der Liste und der grafischen Aufarbeitung enthält die Website deshalb auch eine Seite, auf der Leiss dem interessierten Laien erklärt, warum er derzeit so viele Arzneimittel nicht in der Apotheke bekommt – und wie sehr die sich bemüht, Abhilfe zu schaffen: „Wir versuchen den ganzen Tag über alle 20 Minuten diese Artikel zu bekommen; das heißt diese Artikel sind auch mit größter Mühe nicht zu besorgen!“ Er glaube nicht, dass sich das Problem allzu schnell lösen wird, deshalb werde es auch weiter einen Grund geben, die Seite weiter zu betreiben. „Das Projekt soll so weiterlaufen und wenn neue Ideen kommen, werde ich die auch gern aufnehmen. Vielleicht kriege ich ja noch Input von anderen Apotheken, darüber würde ich mich freuen.“