Das Bild, auf das alle warten, hat sich Christian Lindner bis zum Schluss aufgehoben. Auf der riesigen Videoleinwand, die hinter seinem Rücken von der Decke der altehrwürdigen Stuttgarter Staatsoper beim traditionellen Dreikönigstreffen hängt, leuchten gelbe, blaue und purpurne Farben auf – mittendrin der Schriftzug „Freie Demokraten“ und das Logo FDP im pinken Magenta-Balken.
Lindner, der früher selbst mal eine Werbeagentur betrieb, hat zuvor über 73 Minuten seinen Vorsatz eingehalten, den neuen Look nicht mit abgedroschenen Sprüchen von Markenprofis anzupreisen. Das übernimmt behutsam die Regie: Während der Rede poppen die neuen Farben und Motive auf dem Bühnenbild auf, etwa Fotos von Garagen aus den USA, in denen einst Weltkonzerne wie Apple, Google, Amazon und HP gegründet wurden. Dazu meint Lindner, dem seine Gegner bis heute sein Scheitern in jungen Jahren mit einer IT-Firma vorwerfen, süffisant: „Ein deutscher Steve Jobs wäre schon an der Baunutzungsverordnung seiner Garage gescheitert.“
Der 35-Jährige gibt dafür auch der in Berlin regierenden großen Koalition eine Mitschuld. Sie blockiere den Gründergeist und gebe bis 2030 rund 230 Milliarden Euro für ihr Rentenpaket aus. Davon könnten alle Schüler Tablet-Computer bekommen. So ließe sich die „Kreidezeit“ in deutschen Klassenzimmern beenden. Neben der Bildung will Lindner aber vor allem in die vermeintliche schwarz-rote Lücke in der Wirtschaftspolitik stoßen. Immer deutlicher bewegt er sich dabei auf den Spuren des früheren Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff.
Sicher nicht zufällig sitzen am Dienstag im mit rund 1400 Gästen überfüllten Saal auch einige prominente Wirtschaftsführer, die Lindner namentlich aufruft. Etwa die baden-württembergische Unternehmerlegende Berthold Leibinger, der den Maschinenbauer Trumpf zu einem „Hidden Champion“ machte. Der 84-Jährige hatte zuvor am Rande der Veranstaltung gesagt: „Wenn die FDP verschwindet, wäre eine ganz wesentliche Kraft in diesem Land nicht mehr vorhanden.“ Lindner müsse nun klare Antworten liefern, wofür die FDP überhaupt stehe.
Lindner versucht es – und über weite Strecken gelingt ihm das auch ziemlich gut. Er geht auf dem schwarzen Bühnenboden wie ein Talkshow-Moderator herum, hinter ihm sitzen in riesigen weißen Kastensesseln die FDP-Spitzenleute aus dem „Ländle“, wo 2016 gewählt wird, sowie die Frontfrauen Katja Suding und Lencke Steiner, die es bei den Wahlen im Frühjahr in Hamburg und Bremen reißen sollen.
Die Message des Vorsitzenden an die Wähler nach mehr als 300 internen Diskussionsrunden mit über 15.000 Mitgliedern lautet: 15 Monate nach dem Rauswurf aus dem Bundestag und bei Umfragen von 2 Prozent macht die FDP nur noch, was ihr wirklich wichtig ist. Auch Steuersenkungen sind mit Lindner wieder zu haben – egal, wie heftig die FDP für die gebrochenen Versprechen von 2009 von den Bürgern abgestraft wurde.
Bei Lindner schwingt der alte Sound von Guido Westerwelle mit, der über viele Jahre Dreikönig seinen Stempel aufdrückte. Wie sein Förderer überzieht Lindner verbal manchmal. Zum Beispiel, wenn er in einem Atemzug davor warnt, dass die Protestbewegung Pegida nicht nur Ausländer, sondern demnächst vielleicht auch Zahnärzte oder Kinderlose attackieren könnte.
Aber das politische Leben im Schatten außerhalb des Bundestages ist eben ein schmaler Grat. Die neue FDP will seriös und sympathisch herüberkommen, braucht aber schrille Töne – Katja Suding wird in der Hansestadt als „Unser Mann für Hamburg“ beworben – und Farben, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden.
Doch die Liberalen müssen aufpassen, dass sie nicht in alte Klamauk-Muster zurückfallen. Westerwelle klebte sich eine 18 unter die Schuhsohle und ging in den Big-Brother-Container. Soweit wird es mit Lindner sicher nicht kommen – doch wenn Hamburg und Bremen verloren gehen sollten, dürfte die gelb-blau-pinke Aufbruchstimmung von Dreikönig schnell verflogen sein.
Eines steht für Lindner aber fest: „Wir wollen gestalten, wir sind deshalb fähig zum Kompromiss. Aber es gibt eine Grenze. Ist sie überschritten, dann darf man nicht einen anderen das Fähnlein der FDP einrollen lassen, sondern dann haben wir mit wehenden Fahnen und Salut von Bord zu gehen! Die Selbstachtung lassen wir uns nie wieder nehmen.“
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