Lieferengpässe: Kassen beklagen Apothekenrabatte Patrick Hollstein, 01.03.2023 11:58 Uhr
Die Kassen sehen die geplanten Maßnahmen gegen Lieferengpässe kritisch, auch die Engpass-Prämie von 50 Cent wird abgelehnt. Stattdessen fordern GKV-Spitzenverband, AOK Bundesverband und der Ersatzkassenverband vdek in ihren Stellungnahmen zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) ein Ende der Freiheiten für Apotheken.
Laut GKV-Spitzenverband und AOK-Bundesverband ist grundsätzlich anzuzweifeln, dass Lieferengpässe auf einen zu hohen ökonomischen Druck im Markt zurückzuführen sind. Auch mit höheren Preisen hätten sich die jüngsten Engpässe wohl kaum verhindern lassen – denn weder bei Tamoxifen noch bei den Fiebersäften für Kinder sei der angebliche ökonomische Druck aus den für den Markt geltenden Preisen ablesbar gewesen:
- So hätten die Preise für Tamoxifen-Generika bis zum Engpass unterhalb des Festbetrags gelegen, der preisliche Rahmen sei also nicht einmal ausgeschöpft worden.
- Gleiches galt laut GKV-Spitzenverband und AOK-Bundesverband auch für die Fiebersäfte: Da die Präparate nicht der Preisbindung unterlägen, seien die gelisteten Preise „ohne echte praktische Relevanz“. Apotheken könnten mit Herstellern die Preise frei aushandeln. „Insofern überrascht es wenig, dass von Apotheken Fiebersäfte mit zum Teil erheblichen Rabatten von über 40 Prozent auf den (fiktiven) Listenpreis auch noch in 2022 zu Hochzeiten der Engpasssituation angeboten wurden.“
- Vor diesem Hintergrund sei es auch fraglich, ob höhere Preise für Fiebersäfte tatsächlich den Herstellern zugutekämen – oder ob die Apotheken nicht am Ende durch höhere Einkaufsrabatte profitierten. Die AOK meldet auch grundsätzliche Zweifel an, dass Kinderarzneimittel wirklich ökonomisch benachteiligt sind und daher von den Wirtschaftlichkeitsinstrumenten der GKV freigestellt werden sollten. „Denn bereits heute schon wird im Rahmen der Festbetragsgruppenbildung beim Gemeinsamen Bundesausschuss die besondere Situation von altersgerechten Darreichungsformen für Kinder explizit berücksichtigt."
Vielmehr hätten die kritischen Versorgungssituationen mit einer „höheren Transparenz zu Beständen und Abgaben im Markt“ frühzeitig erkannt und durch passende Maßnahmen wirkungsvoll eingedämmt werden können, so das Fazit der AOK.
Kein Engpass-Zuschlag
Auch wenn anzuerkennen sei, dass die jüngsten Lieferengpässe für die Versorgung eine große Herausforderung dargestellt hätten, bedeute eine Sondervergütung für die Apotheken in Höhe von 50 Cent die „Abkehr vom Prinzip der Mischkalkulation“ für die zu Lasten der GKV erbrachten Leistungen in Apotheken. Mehr noch: Es wäre im Grunde ein Eingeständnis, dass mit den geplanten Regelungen „keine relevante Abhilfe geschaffen werden kann“.
„Statt weiterhin von relevanten Missständen auszugehen und deren Management zu vergüten, sollten sich die Anstrengungen dringend auf eine wirksame Vorbeugung von Lieferengpässen konzentrieren“, so die AOK. Bis zur Realisierung eines funktionierenden umfassenden Frühwarnsystems könnten ausgeweitete Bevorratungspflichten bei Herstellern, Großhandel und auch den Apotheken helfen. Daher sei die Engpass-Prämie ersatzlos zu streichen.
Der GKV-Spitzenverband weist darauf hin, dass mit den gelockerten Abgaberegeln der Aufwand in Apotheken je gerade reduziert werden soll. „Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, wieso für die Abgabe vorrätiger Arzneimittel nun eine zusätzliche Vergütung notwendig werden soll.“ Sollte die Regelung doch kommen, sei sie auf die Rezeptzeile zu beschränken.
Der vdek will die 50 Cent dahingehend einschränken, dass es um den Austausch nicht des verordneten, sondern des abzugebenden Arzneimittels geht. Nur wenn also etwa das Rabattarzneimittel fehlt, kommt demnach die Prämie in Betracht – nicht aber bei einem Defekt des möglicherweise für die Abgabe nicht in Frage kommenden Medikaments auf dem Rezept.
Preisanker und Retax
Die vorgesehene Verstetigung von Sonderabgaberegeln der Sars-CoV2-Arzneimittelabgabeverordnung zumindest bei anerkannten Lieferengpässen ist laut AOK „nicht sachgerecht und in der vorliegenden Form dringend abzulehnen“. Anders als zur Zeit der Corona-Pandemie bestehe keine Notwendigkeit zur Kontaktreduktion mehr, daher ist es auch Sicht sowohl von AOK als auch GKV-Spitzenverband durchaus zumutbar, dass zunächst versucht wird, das in der Apotheke nicht vorrätige, aber unter Umständen beschaffbare Arzneimittel zunächst zu besorgen. „Selbst wenn das BfArM einen Lieferengpass für ein Arzneimittel gelistet hat, ist dies nicht zwingend gleichzusetzen damit, dass dieses nirgendwo mehr vorhanden beziehungsweise zu erhalten ist. Auch bedeutet der Lieferengpass des einen Arzneimittels nicht, dass nicht andere – wirtschaftlichere – Arzneimittel als das aktuell in der Apotheke vorrätige in einer angemessenen Zeit beschafft werden können.“
Im Rahmenvertrag sei die Abgaberangfolge umfassend geregelt, auch die Fälle bei Nichtverfügbarkeit eines Arzneimittels in einem dringenden Fall. „Das verordnete Arzneimittel legt dabei ausgehend von seinen Merkmalen (Wirkstoff, Wirkstärke, Packungsgröße, Darreichungsform) lediglich das Auswahlfenster fest, in dem anschließend entsprechend den Regelungen des Rahmenvertrags die wirtschaftliche Rangfolge für das abzugebende Arzneimittel unter den am Markt befindlichen bestimmt wird. Auch insofern ist die vorgesehene Regelung nicht passend.“
Dass dann auch noch Retaxationen ausgeschlossen sind, stehe im Widerspruch zu anderen Regelungen wie etwa der Arzneimittelverschreibungsverordnung und gefährde am Ende die Wirtschaftlichkeit der Versorgung, so die AOK. „Das Aussetzen der Retaxation ist weder erforderlich noch sachgerecht.“ Zahlreiche Ausnahmetatbestände zur abweichenden Abgabe und deren Dokumentation seien bereits im Rahmenvertrag geregelt. „Die ergänzten Regelungen zur vereinfachten Austauschbarkeit bilden die Grundlage der Rezept- und Abrechnungsprüfung. Darüber hinaus sind allgemeine Prüfpflichten hinsichtlich des Anspruchs, der korrekten Preisbildung und ordnungsgemäßen Verordnung unabdingbar.“
Sollte aber doch an den Lockerungen festgehalten werden, seien diese auf Fälle zu beschränken, in denen das Bundesgesundheitsministerium (BMG) einen Versorgungsmangel festgestellt habe und der Beirat dies empfehle, so AOK und GKV-Spitzenverband unisono.
Der GKV-Spitzenverband findet zwar die Intention, den Arbeitsaufwand in Apotheken, der durch Lieferengpässe entsteht, zu minimieren, „in jedem Fall sinnvoll“. Man gebe jedoch zu bedenken, dass der gewählte Ansatz nicht zielführend sei. „Der Aufwand ließe sich insbesondere dadurch verhindern, dass ein umfassendes Monitoring-System etabliert wird, welches dann in einem zweiten Schritt auch genutzt wird, sämtliche an der Arzneimittelversorgung beteiligte Gruppen über die Nicht-Verfügbarkeit bestimmter Arzneimittel zu informieren. So könnten dann Ärztinnen und Ärzte bereits vor der Verordnung in ihrer Praxisverwaltungssoftware einen entsprechenden Hinweis erhalten. Somit kämen Apotheken gar nicht in die Situation, in der ein Mehraufwand entsteht.“
Gänzlich abgelehnt wird vom vdek der vorgesehene Ausschluss von Beanstandungen und Retaxationen, „weil damit die Überprüfbarkeit aller vertraglichen Regelungen entfällt“.
Einschränkung beim Stückeln
Dass bei Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln die Abgabe mehrere Einzelpackungen oder als Teilmenge erlaubt sein soll, finden GKV-Spitzenverband und AOK im Grundsatz nachvollziehbar. Auch eine Abrechnung der kleinsten Packung bei Abgabe von Teilmengen aus einer Packung könne im besonderen Fall notwendig werden und sei dann sachgerecht.
Aber dann sollte die Zuzahlung sich an der Packung orientieren, die der abgegebenen Menge am nächsten kommt. Die Reduktion in der vorgesehenen Form sei zu kompliziert – sowohl für die Umsetzung in der Apotheke als auch für die „anschließenden Prüfroutinen der Krankenkassen“. „Wir regen an, die Zuzahlung auch bei der Abgabe von Teilmengen an denen der bestehenden Packungsgrößen zu bemessen, wobei die Mindestgrenze von 5 Euro dabei nicht unterschritten werden sollte. Falls auch die Entnahme einer Teilmenge aus einer größeren Packung als der verschriebenen gemeint sein sollte, besteht die Möglichkeit, dass die Zuzahlung geringer ausfällt als wenn der Versicherte die verschriebene Packung erhalten hätte. Dies wäre nicht sachgerecht.“
Dasselbe gelte für das Apothekenhonorar: Die Vergütung sei „mit Ausnahme des Festzuschlags von 3 Prozent nur einmalig auf der Grundlage der Packungsgröße zu leisten, die mit der abgegebenen Menge vergleichbar ist“. Laut GKV-Spitzenverband führt die Abgabe mehrerer Einzelpackungen nicht zu einem erhöhten Beratungsbedarf für die Apotheke. „Die Finanzierung des Nacht- und Notdienstfonds sowie der pharmazeutischen Dienstleistungen sollte dann auch nur so erfolgen wie es bei regulärer Abgabe erfolgt wäre.“
„Vorrat“ lädt zu Missbrauch ein
Außerdem wird moniert, dass die Vorgabe „nicht vorrätig“ sich lediglich auf die „aktuelle physische Abwesenheit eines Arzneimittels“ bezieht, das durchaus beschaffbar sein könnte. Aber selbst die fehlende Beschaffungsmöglichkeit eines Arzneimittels führe nicht zwingend zu Versorgungsengpässen, da wiederum vergleichbare Arzneimittel anderer Hersteller beschaffbar sein könnten. „Damit könnte trotz fehlender Beschaffungsmöglichkeit eines einzelnen, auf der Liste des BfArM mit einem Lieferengpass gemeldeten Arzneimittels eine wirtschaftliche Versorgung des Versicherten mit den Alternativpräparaten realisiert werden.“
Insofern wären die Formulierungen entsprechend anzupassen und auf Fälle zu beschränken, in denen wegen bestehender Lieferengpässe und der Nichtverfügbarkeit eines nach dem Rahmenvertrag abzugebenden Arzneimittels nur eine Versorgung mit mehreren Einzelpackungen oder Teilmengen einer Packung eines Arzneimittels infrage komme.
Auch aus Sicht des vdek ist es nicht nachvollziehbar, das als Kriterium „das Vorrätigsein” in der Apotheke ausschlaggebend sein soll. „Für ein solches Kriterium fehlt jegliche Überprüfbarkeit und es setzt Fehlanreize für die Apotheke, ein möglichst kleines Warenlager zu haben, um davon zu profitieren. Langfristig wirkt sich diese Regelung negativ auf Rabattverträge aus, weil durch die eingeschränkte Substitutionsverpflichtung der Apotheke der Anreiz für pharmazeutische Unternehmen sinkt, Rabattverträge zu schließen.“ Der vdek schlägt vor, als Kriterium eine bestehende Lieferunfähigkeit beim Großhandel zu verwenden, wie es bereits heute im Rahmenvertrag für die Abweichung von der Abgaberangfolge verankert ist.