Konjukturpaket der Bundesregierung

Lieferengpässe: Eine Milliarde für heimische Herstellung

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Berlin -

Die Bundesregierung will zukünftig Lieferengpässe bei lebenswichtigen Arzneimitteln verhindern und dazu eine Milliarde Euro in den Aufbau einer inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte investieren. Die Koalition strebe an, bei der Herstellung von Wirkstoffen und deren Vorprodukten sowie in der Impfstoffproduktion über größere Kapazitäten und mehr Unabhängigkeit zu verfügen, heißt es im Mittwochabend veröffentlichten 130-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm. Impfstoffentwicklung und Bevorratung von Schutzausrüstung sollen ebenfalls gefördert, die Gesundheitsämter aufgestockt werden und den Kliniken ein „Zukunftsprogramm Krankenhaus“ zugutekommen.

Zwei Tage hat das Kabinett gerungen, am Ende kam ein Paket „mit Wumms“ heraus, wie Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) es formulierte. Neben einer Senkung der Mehrwertsteuer, Hilfen für Kommunen, Zuschüssen für Familien und höheren Kaufprämien für Elektroautos zog die Bundesregierung auch Lehren aus der aktuellen Covid-19-Pandemie. Fast ganz am Ende des 15-seitigen Papiers kündigt sie Investitionen von insgesamt 8,75 Milliarden Euro im Gesundheitswesen an, darunter eine Milliarde für „ein Programm zur Förderung der flexiblen und im Falle einer Epidemie skalierbaren inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte“. Wie genau das Programm aussehen soll, welche Hersteller und vor allem welche Wirkstoffe gemeint sind, dazu lässt sich die Bundesregierung (noch) nicht ein.

Der Industrie gefällt die Idee natürlich, vielmehr ist aber über die Maßnahme auch noch nicht bekannt. „Dass die Große Koalition nun ein Programm zur Förderung der flexiblen und im Falle einer Epidemie skalierbaren inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte auflegen möchte ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH). „Entscheidend ist allerdings, wie das Programm konkret ausgestaltet wird. Darüber hinaus müssen insgesamt die Rahmenbedingungen für den Pharmastandort Deutschland wieder attraktiver werden.“

Schon etwas genauer werden die Ausführungen hingegen, wenn es um Entwicklung und Produktion von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 geht. 750 Millionen Euro will der Bund dafür ausgeben. „Durch die Förderung der Initiative CEPI und der deutschen Impfstoffentwicklungen wollen wir erreichen, dass ein wirksamer und sicherer Impfstoff zeitnah zur Verfügung steht und auch in Deutschland schnell produziert werden kann.“ Zur Förderung der Entwicklung und der Sicherstellung der Produktionskapazitäten sowie einer frühzeitigen Produktionsaufnahme werde der Bund Mittel bereitstellen. Auch strukturell soll sich etwas ändern: Es solle langfristig daran gearbeitet werden, „dass die Impfstoffentwicklung so weiterentwickelt wird, dass bei zukünftig auftretenden neuen Erregern möglichst noch schneller und effizienter eine Impfstoffentwicklung und -produktion erfolgen kann.“ Bestehende Programme zur Impfstoffentwicklung sollen aufgestockt und neue Initiativen und Forschungsnetzwerke gefördert werden, insbesondere zu viralen Erkrankungen mit epidemischem oder pandemischem Potential.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sieht das offenbar nicht so rosig, wie es klingt. „Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung birgt Licht und Schatten“, sagt Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen. Er kritisiert vor allem, dass für die Arznei- und Impfstoffentwicklung nicht genug getan werde. „Enthalten sind einige, aber leider bei weitem nicht alle von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek angekündigten Maßnahmen, die der Wirk- und Impfstoffforschung hätten zugutekommen können“, so der BPI-Hauptgeschäftsführer. Zu begrüßen sei, dass die Bemessungsgrundlage der steuerlichen Förderung für Forschung und Entwicklung rückwirkend zum 1. Januar 2020 und befristet bis Ende 2025 von zwei auf vier Millionen Euro pro Unternehmen erhöht wird. „Es bleibt aber abzuwarten, wie die einzelnen Maßnahmen ausgestaltet werden, um eine endgültige Bewertung der möglichen Effekte auf die F&E-Aktivitäten pharmazeutischer Unternehmen und wissenschaftlicher Einrichtungen abzugeben.“ Viele Maßnahmen seien „sicherlich richtig“, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, so Joachimsen. „Zur nachhaltigen Standortstärkung braucht es aber strukturelle Veränderungen, wie zum Beispiel den Abbau oder Neugestaltung von Regulierungen.“

Etwas positiver ist die Einschätzung bei Pro Generika. „Die Bundesregierung hat ganz offenbar erkannt, wie entscheidend eine robust aufgestellte Arzneimittelproduktion hierzulande ist“, so Geschäftsführer Bork Bretthauer. „Das begrüßen wir sehr und stehen bereit, an der konkreten Umsetzung der Maßnahmen mitzuarbeiten. Die Aufgabe ist nicht trivial: Es muss gut abgewogen und entschieden werden, für welche Arzneimittel das Programm gelten soll und wie eine in einer Epidemie ‚flexible skalierbare Produktion‘ erreicht werden kann.“

Eine weitere Lehre aus der Pandemie: Die vor allem zu Beginn eklatanten Engpässe bei persönlicher Schutzausrüstung wie Atemmasken oder Schutzhandschuhen sollen sich nicht wiederholen. Auch hier will die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen. „Neben der zusätzlichen Produktion kommt der vorausschauenden Bevorratungeine wichtige Rolle zu“, heißt es da. Deshalb werde der Bund „eine nationale Reserve an persönlicher Schutzausrüstung“ aufbauen und gesetzlich verankern, dass das auch dezentral in den medizinischen Einrichtungen und beim Katastrophenschutz der Länder erfolgen soll. Die entsprechende Erstausstattung werde der Bund finanziell unterstützen und sich das eine Milliarde Euro kosten lassen.

Mehr als für Arzneimittel, Impfstoffe und Schutzausrüstung zusammen will der Bund für die Aufstockung der Gesundheitsämter zahlen: Vier Milliarden Euro sollen dafür ausgegeben werden. Die aktuelle Pandemie zeige die besondere Bedeutung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) „auf einem seiner klassischen Arbeitsfelder, dem Infektionsschutz“, so das Papier. „Zugleich macht das laufende Ausbruchsgeschehen deutlich, dass eine Verstärkung dieser unverzichtbaren Säule des Gesundheitswesens dringend notwendig ist.“ Der Bund strebe deshalb mit den Ländern und Kommunen einen „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ an.

Unter anderem soll das ÖGD-Personal zukünftig in der Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes erfasst und unter definierten Kriterien eine Personalmindestausstattung für ein Mustergesundheitsamt definiert werden. Um die zusätzlichen Stellen bezahlen zu können, werde der Bund den Ländern in Form von Umsatzsteuerfestbeträgen die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellen.

Doch die neuen Mitarbeiter müssen erst einmal gefunden und gebunden werden. Vor allem für akademisches Fachpersonal ist die Besoldungslage im öffentlichen Dienst oft weniger attraktiv als die Gehaltsversprechen der freien Wirtschaft. „Zur leichteren Personalgewinnung muss die Bezahlung mit dem ärztlichen Gehalt in anderen Bereichen des Gesundheitswesens mithalten können“, fordert die Bundesregierung deshalb. „In den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ist dies sicherzustellen, gegebenenfalls durch die Zahlung von Funktionszulagen.“

Aber auch über die medizinische Ausbildung sollen mehr angehende Ärzte in die Gesundheitsämter gelockt werden. Es solle durch eine Änderung in der Approbationsordnung klargestellt werden, dass Famulaturen und Praktisches Jahr als praktische Teile im Gesundheitsamt abgeleistet werden können und Themen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes stärker in den Ausbildungszielen und -inhalten verankert werden.

Nicht nur Menschen, sondern auch Material soll zusätzlich beschafft werden. Mit einem Förderprogramm will der Bund die Gesundheitsämter bei der technischen und digitalen Auf- und Ausrüstung unterstützen. Die Gelder können demnach für die Hard- und Software-Ausstattung zur Verbesserung des Meldewesens und der Krisenreaktion, in Informations- und Kommunikationstechnologie sowie in die dafür notwendigen Schulungen der Mitarbeiter investiert werden. Um gemeinsame Standards für Kommunikation und Interoperabilität sicherzustellen, solle eine „Muster-Ausstattung für Digitales“ festgelegt werden.

Ähnlich sieht es bei den Kliniken aus. Es sei „absolut notwendig“, denen eine „modernere und bessere investive Ausstattung“ zukommen zu lassen, weswegen der Bund noch einmal drei Milliarden Euro in ein „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ stecken will. Notwendige Investitionen sollen sowohl in moderne Notfallkapazitäten als auch in eine bessere digitale Infrastruktur zu einer besseren internen und sektorenübergreifenden Versorgung, Ablauforganisation, Kommunikation, Telemedizin, Robotik, Hightech-Medizin und Dokumentation fließen. Dazu soll der bereits existierende Strukturfonds zur Investitionsförderung zur Verbesserung regionaler stationärer Versorgungsstrukturen gesetzlich erweitert werden. „Die Zusätzlichkeit und die Verteilung der Mittel erfolgen analog zu den geltenden Regelungen des bestehenden Strukturfonds“, so das Papier.

 

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