Damit die Menschen in Europa zuverlässig mit teils lebenswichtigen Medikamenten versorgt werden können, sollen in der EU mehr Arzneimittel hergestellt werden. Die Produktion soll künftig von schnelleren Genehmigungsverfahren profitieren und einfacher mit öffentlichen Geldern unterstützt werden können, wie die EU-Kommission mitteilte. Bevor die Regeln in Kraft treten können, müssen das Europaparlament und die EU-Staaten dem Vorschlag der Kommission zustimmen.
Der zuständige EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi hat heute den Critical Medicines Act (CMA) zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der EU vorgelegt. Lieferengpässe gehören zu den wichtigen Themen in Brüssel und seien Chefsache, wie auch der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU) betonte.
„In den vergangenen Jahren waren die Mitgliedstaaten mit einem ernsten Mangel an Medikamenten konfrontiert“, so die EU-Kommission. Betroffen waren etwa Schmerzmittel, Antibiotika oder Fiebersäfte für Kinder. Nach Kommissionsangaben gibt es viele Gründe, warum es in der EU in den vergangenen Jahren Versorgungsprobleme gab. Darunter seien etwa Engpässe bei Wirkstoffen. Aber auch, dass sich die Produktion in einigen wenigen Ländern konzentriere, trage zu den Problemen bei.
Derzeit stammen nach Angaben von EU-Gesundheitsministern 80 bis 90 Prozent der Medikamente in Europa aus Asien, vor allem aus China. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und zehn seiner Kollegen aus anderen EU-Staaten hatten jüngst vor gefährlichen Auswirkungen auf Routineeingriffe und eigentlich leicht behandelbare Infektionen gewarnt, sollten im Konfliktfall Lieferketten unterbrochen werden. Sie fordern, Teile der milliardenschweren Aufrüstungspläne für Medikamentensicherheit auszugeben.
Auch medizinisches Personal soll durch das Gesetz entlastet werden können. „Da gibt es Leute, die haben fünfzig Prozent ihrer Arbeitszeit nur noch damit zu tun, zu gucken: Wo kriege ich irgendwas her, wo kriege ich ein Medikament, das vielleicht einsetzbar ist als Alternative?“, sagte Liese. Wenn man die komplette Produktion eines Medikaments nach Europa verlagerte, würde das zwar Geld kosten, so der EU-Politiker, „aber ich bin überzeugt, dass das Gesundheitssystem unterm Strich Kosten einsparen wird.“
Die frühere Abda-Präsidentin und Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL), Gabriele Regina Overwiening, sprach sich dafür aus, dass Apotheker künftig selbst Alternativen für vergriffene Arzneimittel vorschlagen dürfen.
Aus Sicht von Pharma Deutschland brauche die europäische Gesundheitsversorgung aber nicht nur einen Notfallplan, sondern auch eine nachhaltige und langfristige Stärkung des EU-Pharmamarktes: „Natürlich ist es ein wichtiger Schritt, dass mit dem Critical Medicines Act Maßnahmen gegen Lieferengpässe ergriffen werden“, so Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann. Die EU müsse zudem aufhören, die Gesundheitsversorgung selbst in krisenhafte Situationen zu manövrieren und spielt dabei auf die Kommunale Abwasserrichtlinie (KARL) an, die die Arzneimittelversorgung wiederum gefährden würde.
Man begrüße den geplanten CMA und bewertet es positiv, dass es bei Vergabeverfahren für kritische Arzneimittel nicht mehr ausschließlich um den Preis gehen soll. „Langfristig werden diese Maßnahmen nur dann Wirkung zeigen, wenn Arzneimittel zu einem angemessenen und wirtschaftlich tragfähigen Preisniveau angeboten werden können. Ohne eine nachhaltige Preisgestaltung bleiben alle Bemühungen für eine stabilere Arzneimittelversorgung in Europa – gerade in der Basisversorgung – wirkungslos, denn sie sind von den Herstellern schlichtweg nicht finanzierbar“, so Pharma Deutschland weiter.
Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) begrüßt die Initiative, die robuste und diversifizierte Lieferketten für die Arzneimittelversorgung sicherstellen soll. „Die Europäische Kommission hat erkannt, dass dringend etwas getan werden muss. Sie hat – insbesondere mit einer neuen Dimension, die auch die allgemeine Sicherheitslage einbezieht – erkannt, wie hoch die gesamtgesellschaftliche Relevanz von Arzneimitteln ist,“ betont BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen.