Offener Brief an Karl Lauterbach

„Lieber Karl – wir sind toll und Du bist ne Null!“

, Uhr
Berlin -

Tanja Sinzig-Huskamp ist keine Kämpferin, die in der ersten Reihe steht. Aber sie ist unfassbar wütend und müde – schon zum Jubiläum ihrer Schlangen-Apotheke im hessischen Rheumaheilbad Schlangenbad hatte sie im Februar einen Einleger in ihre Kundenzeitschriften gelegt. Jetzt hat sie einen offenen Brief an Karl Lauterbach geschrieben.

Tja – unsere Tage sind gezählt, lieber Karl, denn Du vollendest gerade wirkungs- und effektvoll, was Deine Parteikollegin Ulla Schmidt vor vielen Jahren begonnen hat: Du schaufelst unser Grab!

Nur bist Du dabei rigoroser, perfider und gründlicher als Ulla, denn Du willst es jetzt wirklich wissen, und verfolgst dabei einzig und allein ein Ziel: TOD DEN APOTHEKEN!

„NEIN“ – rufst Du jetzt empört, so wie Du es nach außen in den Medien immer tust, wenn es um uns geht: „NEIN – ich helfe Euch doch, will nur das Beste für Euch!“… Ach ja?

Dein „offizielles Ziel“ ist es, die Welt von Deinen guten, emphatischen, durchdachten und umsichtigen Ideen zu überzeugen: „Natürlich brauchen wir die Apotheken, gerade die kleinen auf dem Lande – ja, unbedingt sogar.“ Deshalb willst Du uns helfen: Filialapotheken auf dem Lande, ohne die Notwendigkeit von Apotheker:innen Präsenz, ohne Pflicht zur Rezeptur, ohne Vollsortiment, ohne Notdienstpflicht. Wow, denkt Lieschen Müller nun, das ist doch toll, da müssen sich die Apothekers doch freuen, wird doch alles leicht und locker… Falsch gedacht, das alles wollen wir nämlich gar nicht und die Landbevölkerung in „strukturschwachen Gebieten“ , die besonders von Deiner Idee profitieren sollen, will das – wenn sie objektiv darüber informiert würde, was sich dahinter verbirgt – auch nicht! Ganz zu schweigen von der Tatsache dass über 90 Prozent der Apothekeninhaber und -inhaberinnen, die kleine Einzelapotheken führen, niemals eine Filialapotheke eröffnen könnten, weil sie sich ohnehin schon finanziell und zeitlich aufreiben!

Was wir also wollen sind andere Dinge: Weniger Bürokratie, mehr Pragmatismus, keine Prä- und RePräqualifizierung für standardisierte Arbeitsvorgänge, die wir und unser hochqualifiziertes Fachpersonal ohnehin schon qua Ausbildung beherrschen und jahrzehntelang praktiziert haben, ohne einen gesonderten Nachweis dafür erbringen zu müssen. Keine Hashcodes für Rezepturen, oder Plausibilitätsprüfungen, um aufzudecken, was der Arzt vielleicht falsch verordnet hat.

Was wir auch wollen, sind transparentere Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Herstellern und bessere Verträge insgesamt, um Liefer- und Produktionsengpässe zu reduzieren. Stell Du Dich, lieber Karl, doch gerne mal an meine Stelle und verkünde die frohe Botschaft: „Oh Sorry. Nicht lieferbar.“

Was wir auch wollen ist : RESPEKT – für das was wir tun, für das was wir sind, für das was wir können. Punkt!

Und ja, wir wollen auch mehr Geld! Endlich! Du nennst es höheres Honorar und befeuerst damit die Shit-Storms gegen uns auf Krankenkassen- und Ärzteseite: „Die Honorare sind ausreichend“ rufen die uns dann entgegen: Ausreichend wofür? Zum Sterben zuviel, zum Leben zuwenig?

Wir wollen von unserem Honorar nicht Porsche fahren, Golf spielen und dreimal pro Jahr auf die Malediven reisen – weit gefehlt!

Was wir fordern ist der längst ÜBERFÄLLIGE, im Übrigen gesetzlich festgeschriebene Ausgleich für steigende Betriebskosten, der uns seit Jahren verwehrt wird. Und diesen Ausgleich fordern wir nicht zu unserem Luxus, sondern damit wir selbst mal wieder ruhig schlafen und unsere Mitarbeiter gerecht entlohnen können – so einfach ist das. Übrigens verdient jede Pflegekraft inzwischen mehr als unsere hochqualifizierten PTA, und dass der Berufsstand der PTA toll ist, weißt Du ja selbst, denn sonst würdest Du kaum vorschlagen, von ihnen Filialapotheken leiten zu lassen.

Was Du uns jetzt bietest, ist die größte Mogelpackung, die unser Berufsstand je zu verkraften hatte:

Eine marginale Anhebung der Packungspauschale auf der einen Seite und eine stufenweise, degressive Ausgestaltung des Prozentaufschlags für RX auf der anderen Seite... Deine Message nach außen, genauso verlogen wie das Ganze an sich: Den „großen“ Apotheken etwas wegnehmen und die Kleinen stärken – dass ich nicht lache!

Meine Apotheke ist eine kleine Landapotheke, aber weil ich eben einen zwar kleinen aber vollständigen Bevölkerungsquerschnitt beliefere, habe ich was? Genau, richtig Karl, ich beliefere viele Hochpreiser, die mich jetzt schon schlaflos machen: Hohe Einkaufspreise die vorfinanziert werden müssen, bei (jetzt schon!) minimaler Spanne und weit verzögerten Erstattungen durchs Rechenzentrum – ein Albtraum. Was bleibt mir nun als kleiner Apotheke auf dem Lande: Weiter beliefern, Liquidität einbüßen und pleite gehen oder meinen Kunden sagen: „Sorry, aber Hochpreiser beliefere ich nicht mehr...“? Was sagst Du denn dazu?

Was wird denn wohl das Ende vom Lied sein? Genau Karl, Du weißt es längst: Es wird nicht mehrApotheken geben als jetzt, sondern? Genau viel weniger, und weniger, und weniger... Ein Schelm, der Böses dabei denkt...

Ich weiß, es gibt einige Leute, die das – genau wie Du – ganz nüchtern sehen: Wer braucht heute schon noch die antiquierte Apotheke (was wir überhaupt nicht sind!), das Modell ist überholt und – kann weg! Wer übrigens denkt so? Wieder richtig: kerngesunde, kinderlose Mitt-Zwanziger bis Dreißiger. Denn spätestens mit Kindern oder im Alter braucht uns plötzlich jeder und ist dankbar, wenn er nicht nur sein Medikament sondern auch noch tipp-topp-Beratung gratis dazu bekommt... aber zurück zum Thema.

Karl, da Du es ja offenbar nicht weißt (und die Abda, unsere Standesvertretung – die Dir übrigens in der Ziffernvergabe in nicht Vielem nachsteht... – ganz offensichtlich wohl auch nicht), sag’ ich’s jetzt einfach mal: Wir sind toll! Toll, weil wir erste Anlaufstelle für kleine Wehwehchen sind, die sonst auch noch bei den ohnehin völlig überlaufenen Hausarztpraxen (gleich das nächste Thema) landen würden. Toll, weil wir in pandemischen Zeiten stoisch, gelassen und zuverlässig Maßnahmen umsetzten, die donnerstags beschlossen und am folgenden Dienstag eingefordert wurden. Toll, weil wir Patienten versorgen, auch nachts, auch an Weihnachten und Ostern! Toll, weil wir Herausforderungen, egal welcher Art, mit Bravour (!) meistern.

Auch toll, weil viele von uns schon seit über zwei Jahren E-Rezept-ready sind. Toll, weil wir geduldig und ausdauernd das erklären und auch ertragen, was Ihr Politiker da in Berlin verbockt. Wir leisten erste, und zweite und dritte Hilfe für jeden, jederzeit! Wir sortieren und lenken Patientenströme ( „Das müssen Sie unbedingt vom Arzt begutachten lassen“, „Sie brauchen eine gute Physiotherapie“, „ Das ist ein Fall für Ihren Zahnarzt, Optiker, Akustiker etc. etc..) Warum tun wir das? Weil wir's können, Karl, weil wir’s richtig gut können und – bisher – auch wollten.

Jetzt wollen aber immer mehr von uns nicht mehr..., schließen ihre Apotheke und nicht zwar längst nicht nur aus Altersgründen. Nachwuchs? Bei den Bedingungen: Fehlanzeige!

Und, weißt Du Karl, was wir denken: Das ist genau das, was Du willst: Keine Apotheken mehr in Deutschland! Apotheke – das war einmal! Es lebe die unqualifizierte, unverbindliche unempathische, unflexible und unpersönliche Arzeimittelabgabestelle!
Naja – das ist eine Sichtweise, die kann man haben, alles legitim – aber Karl, dann sprich es aus und eiere nicht herum, denn das ist ne echte Nullnummer! Sprich es aus und stell Dich dem was Dich, die Bürger, das ganze Land dann erwartet. Keine Apotheke und wahrscheinlich irgendwann auch keine Hausärzte mehr, statt dessen nur noch MVZ oder Polikliniken und Arzneimittelabgabestellen... Wo hat man das schon mal gehört? Ach ja...!

Deutschland wird sich warm anziehen müssen, nicht nur im Winter!

Frohes neues Jahr!

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