BMG-Datenaffäre

Leere am Landgericht

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Berlin -

Vom „größten Lobby-Skandal der Berliner Republik“, wie die Süddeutsche Zeitung die angebliche BMG-Datenaffäre einst nannte, ist so gut wie nichts übrig: Von 40 Fällen sollen 38 eingestellt werden – weil niemand mehr Daten kennt, die man im Bundesgesundheitsministerium (BMG) hätte stehlen können, noch irgendwelche Beweise dafür vorliegen, dass tatsächlich Daten das BMG verlassen haben. Stattdessen hat das Gericht die Ermittler vor Hausaufgaben gestellt, die so gut wie unlösbar sind.

Tag 17 im Prozess vor dem Berliner Landgericht. Wieder wurden keine Zeugen vernommen, wieder ging es stattdessen um die Korrespondenz zwischen BMG und Landeskriminalamt (LKA) beziehungsweise Staatsanwaltschaft. Denn zunehmend drängte sich in den vergangenen Verhandlungstagen der Verdacht auf, dass das Ministerium die Untersuchungen politisch gesteuert haben könnte – beispielsweise mit Blick auf die Abda.

Der Chefermittler, der sich vor seiner ersten Vernehmung noch die Vorbemerkung erlaubt hatte, dass er bei Cybercrime in Berlin zu den führenden Köpfen des LKA gehöre, hatte mehrfach E-Mails aus dem Hut gezaubert, die nicht in den Akten zu finden waren. Nachdem er vom Gericht aufgefordert worden war, die gesamte Korrespondenz zu übergeben, hatte er eine Auswahl von Mails zur Verfügung gestellt – nicht ohne vorher andere Schreiben nach Gutdünken zu löschen.

Gestern sorgte er für eine weitere Überraschung, als er eine Aufstellung aller Mails zwischen BMG und LKA nachreichte – in der allerdings aus der heißen Phase der Ermittlungen im Herbst 2012 nur eine einzige enthalten war und gar keine von der CD, die er zuvor übermittelt hatte.

„Hier will man uns für dumm verkaufen“, polterte Verteidiger Professor Dr. Carsten Wegner im Gerichtssaal. Ob denn die Kammer noch immer kein Misstrauen habe und keinen Anlass sehe, sich selbst einen Überblick zu verschaffen? Er beantragte erneut, den kompletten Rechner des Beamten sicherzustellen – eine entsprechende Forderung hatte das Gericht in der vergangenen Woche noch abgelehnt.

Den fünf Richtern ist zunehmend anzusehen, dass sie vom Fortgang des Verfahrens mit seinen immer neuen Wendungen genervt sind, während der Staatsanwalt es bei seinem monoton eingeübten Satz belässt: „Ich gebe keine Stellungnahme ab.“ So antwortet er seit Wochen jedesmal, wenn er vom Vorsitzenden Richter gefragt wird, ob er auch etwas zur Aufklärung beizutragen habe. Dann sackt er – wie auch heute – regelmäßig wieder in sich zusammen.

Dennoch lassen die Richter die Sache vorerst weiter laufen – und nicht im Ansatz durchblicken, in welche Richtung der Prozess gehen könnte. Zwei Verhandlungstage sind noch angesetzt, nur der Chefermittler ist derzeit als Zeuge vorgesehen. Demnächst soll aber erst einmal über eine Aussetzung des Verfahren entschieden werden, das die Verteidigung beantragt hat, um die von ihm überlassenen, bislang nicht zu verwertenden Daten auslesen zu können. Dass der Vorsitzende am Ende der heutigen Sitzung inständig an alle Beteiligten appellierte, die Sache nicht auszusitzen, sondern sich „nach Kräften zu bemühen“, die E-Mails und Anhänge zu studieren, zeigt, wie vertrackt die Lage ist.

Der Aufwand dürfte für die Kammer umso ärgerlicher sein, als im gesamten Verfahren bislang kaum neue Anhaltspunkte oder gar Beweise für einen angeblichen Datendiebstahl aufgetaucht sind und eine Verurteilung mittlerweile vielmehr mehr als fragwürdig erscheint. Nur zwei Fälle aus der Anklage werden überhaupt noch verfolgt – und auch das nur, weil hier ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Abhebungen und Einzahlungen von Bargeld existiert, wie Verteidiger Nikolai Venn erklärte.

Die anderen Fälle würde das Gericht gerne nach §154 Strafprozessordnung (StPO) einstellen, und auch die Staatsanwaltschaft wäre dabei. Die Verteidiger lehnen das aber ab, wie sie heute zu Protokoll gaben. Denn das Gericht hatte in Aussicht gestellt, diese Fälle bei einer eventuellen Verurteilung in den verbliebenen beiden Fällen straferschwerend anzurechnen. Dies setze aber einen hinreichenden Tatverdacht voraus, und dieser sei im Laufe des Verfahrens ausgeräumt worden, argumentierte Venn. Mittlerweile fehle jeglicher Ansatz, um doch noch den Nachweis zu erbringen, wer wann wie und welche Daten gestohlen habe. §154 sei nicht dazu gedacht, einen Freispruch zu vermeiden. „Die einzig zulässige Entscheidung ist der Freispruch“, so Venn.

Ähnlich argumentierte Wegner: Die Richter wüssten doch selbst, dass eine sach- und rechtsfremde Entscheidung nach §154 einer „Verurteilung durch die Hintertür“ gleichkomme: „Sich hinter §154 zu verstecken, wäre eine gerichtliche Trickserei!“ Wegner beantragte die Vernehmung der leitenden Beamten von Staatsanwaltschaft und LKA, die nur bestätigen könnten, dass jegliche Feststellungen zur Sache fehlten. Schon der Chefermittler des LKA habe ausgesagt, dass man nichts gefunden habe und er auch nicht sagen könne, was angeblich übergeben worden sei. Das Verfahren sei entscheidungsreif, einzig möglich sei ein Freispruch.

Dem ehemaligen Systemadministrator Christoph H. wird vorgeworfen, zwischen 2009 bis 2012 Postfächer mit E-Mails im BMG ausgespäht und die Daten an Thomas Bellartz, damaliger Abda-Sprecher und heutiger Herausgeber von APOTHEKE ADHOC, verkauft haben. Die Staatsanwaltschaft ging zunächst von 40 Fällen aus, H. soll insgesamt 26.550 Euro erhalten haben. In der vergangenen Woche hatten die Richter vorgerechnet, dass es bei den zwei verbliebenen Taten noch um 1100 Euro geht, die Bellartz angeblich gezahlt haben soll. Laut Wegner wurden überhaupt keine relevanten Daten bei seinem Mandanten gefunden.

Im Prozess hatte die Ex-Frau von H. belastend ausgesagt, allerdings gilt die Zeugin als unglaubwürdig, weil sie seinerzeit in einen Unterhaltsstreit verwickelt war, sich in zahlreiche Widersprüche verwickelte und außerdem offenbar vom BMG bezahlt wurde. Außerdem hatte sie bei einer gerichtlichen Vernehmung im Jahr 2012 falsch ausgesagt, was nur deswegen aufgeflogen war, weil Wegner bei einer zweiten Befragung dabei war. Zuvor hatten Staatsanwaltschaft und Gericht versucht, den Anwalt von der Vernehmung fernzuhalten und so das Verfahren im Geheimen zu führen. Von der Verurteilung der Hauptbelastungszeugin wurden sie im Verfahren überrascht.

Die befragten BMG-Beamten konnten im Prozess nichts Substanzielles beitragen, genauso wenig wie Phagro-Geschäftsführerin Bernadette Sickendiek, die sich bei ihrer Vernehmung um Kopf und Kragen redete und damit provozierte, dass das Gericht einen Aktenordner in der Geschäftsstelle abholen ließ. Der ehemalige Abda-Präsident Heinz-Günter Wolf und Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz hatten die Anschuldigungen entkräftet.

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