Minister verspricht goldenes Zeitalter

Lauterbach: Wenig Interesse an Overwiening

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Berlin -

Dass das Verhältnis von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening angespannt ist, konnte man gestern bei einer Veranstaltung des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) offen sehen: Ein Händeschütteln konnte er sich zwar abringen, mehr als ein Vorbeirauschen war es aber nicht. Auf dem Nebenplatz kehrte er ihr dann auch noch den Rücken zu, zum Abschied gab es immerhin noch einen Daumen hoch. Deutlich besser lief es mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der sich vor seiner Rede in guter Stimmung mit Overwiening austauschte.

Lauterbach lobte die Frauenquote im Gesundheitwesen.Foto: Christian Kruppa

Eigentlich hatten Lauterbach und Habeck gemeinsam vor den Vertreterinnen und Vertretern der Industrie sprechen sollen. Aber Lauterbach kam viel zu spät. In seiner Rede lobte er die Gesundheitsbranche, sprach von einem goldenen Zeitalter, das mit der personalisierten Medizin heran breche, und davon, dass all das kein Zufall sei.

Das Gesundheitssystem sei nicht nur Kostenfaktor, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsbereich und Arbeitsplatz für rund acht Millionen Beschäftigte. „Arbeitsplätze, die von Frauen ausgezeichnet ausgeführt werden“, sagte Lauterbach und fügte hinzu: „Fürsorgearbeitsplätze“. Nicht nur in der Medizin gebe es immer mehr Frauen, sondern auch in der Forschung: Es sei ein „Zuwachs ausgezeichneter weiblicher Wissenschaftler“ zu verzeichnen.

Einen Personalmangel sah der Minister diesmal nicht: „Wir haben sehr viele Fachkräfte“, so Lauterbach. Ein Widerspruch nicht nur zu Habecks Aussagen, die Lauterbach wegen seiner Verspätung verpasste, sondern auch zu seinen eigenen Botschaften zum Mangel im Bereich der Pflege, in der Ärzteschaft und in den Apotheken.

Verkrustete Strukturen

Für Lauterbach sind es unter anderem die gute Vernetzung, die lange Tradition, die hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards, die das deutsche Gesundheitswesen ausmachen. Aber es gebe auch sehr verkrustete Strukturen, viel Misstrauen im System und eine Kontrolle der Kontrolle. Zudem seien die Investitionen, die in den letzten Jahren getätigt wurden, „enttäuschend“ – sowohl in Produktion als auch in Studien. Für den nach eigenen Aussagen süchtigen Studienleser ein besonderer Schmerz.

Man müsse jetzt den Aufbruch wagen und dabei sei die Pharmastrategie ein wichtiger Baustein. Er arbeite Hand in Hand mit Habeck an der Weiterentwicklung des Systems, versicherte er und verwies auf angekündigte Investitionen etwa von Lilly, Novo Nordisk und Roche. „Das ist kein Zufall.“

„Wir brauchen Sie!“

Deutlich sortierter hatte Habeck zuvor klargemacht, was er von der Pharmaindustrie halte: „Wir brauchen Sie!“ Denn ohne die Erfolge der Gesundheitswirtschaft verliere man nicht nur Wohlstand, sondern falle zurück in einen überwundenen geglaubten Zustand, in dem Gesundheit und Schmerzfreiheit keine Selbstverständlichkeit seien.

Deswegen habe man die politische Verpflichtung, im permanenten Arbeits- und Diskussionsprozess zu bleiben. Einfacher werde dies durch den Umstand, dass die industrielle Gesundheitswirtschaft kein Sektor sei, der Subventionen wolle, sondern für bessere Rahmenbedingungen kämpfe.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sammelte mit seinen Aussagen viel Zustimmung ein.Foto: Christian Kruppa

Während seiner zweitägigen Pharmareise habe er einen „super Einblick in die Differenziertheit der Probleme“ erhalten. Eine Sache hat den Minister besonders überzeugt: „Es gibt einen Willen zum Aufbruch, den Drang nach vorne zu gehen. Der positive Geist hat die zwei Tage ausgemacht.“

Die Branche leide unter denselben strukturellen Problemen wie andere Branchen auch, räumte Habeck. Beispiele sind Fachkräftemangel, eine brüchige Infrastruktur, Digitalisierung und Bürokratie. „Ja, wir haben uns einen Luxus erlaubt, der sich jetzt rächt: den Luxus des erhöhten Sicherheitsbedürfnisses. Aus Angst vor Fehlentscheidungen habe man die Dinge eng gehalten. „Freiheit für Innovation und Forschung wurden dadurch eingeschränkt.“ Um dies zu überwinden, brauche es mehr Bereitschaft für Eigenverantwortung und Mut: „Die Klage über Bürokratie läuft ins Leere, wenn wir weiter 110 Prozent Sicherheitsbedenken haben und kein Risiko eingehen.“

Dynamisierung ist wichtig

Und dann gab er noch einen Gedanken zu Protokoll, der auch bei Apothekerinnen und Apothekern auf offene Ohren stoßen dürfte. Es ging um Honorar und Sparinstrumente, die man auf keinen Fall festschreiben dürfe: „Wenn es einen Deckel gibt, dann muss er atmen. Denn bei steigenden Kosten wird es sonst immer schlimmer. Wenn man über Jahre hinweg gar nichts tut, ist das nicht im Sinne des Erfinders.“ Schon denklogisch müsse man jeden Vergütungsbaustein so gestalten, dass er Investition nicht einschnüre oder unmöglich mache.

Habeck sprach sich für eine Sicherung bestimmter Arzneimittel in Europa aus, denn das Prinzip von Angebot und Nachfrage funktioniere nicht mehr in einem Weltmarkt, in dem die Lieferketten aufgrund unkalkulierbarer politischer Interessen gestört werden könnten.

Dass Deutschland ein teurer Standort sei, werde sich nicht ändern. So günstig wie ostasiatische Länder könne man nicht sein „und so geringe Löhne werden wir hier auf absehbare Zeit nicht zahlen.“

Also komme es auf Innovationen an, und dafür müsse man die Rahmenbedingungen schaffen. Das Wichtigste für den Standort seien daher die bestehenden Netzwerke, die sich gegenseitig stützten. „Wir haben starke Cluster, die wir nicht kaputtgehen lassen dürfen. Sie wurden über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte aufgebaut. Wenn das kaputtgeht, wird das nicht so schnell wieder aufzuholen sein.“

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