Lauterbach: Knappe Entscheidung über Widerspruchslösung Lothar Klein, 13.01.2020 16:22 Uhr
Mit einer knappen Entscheidung über die gesetzliche Neuregelung der Organspende rechnet SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellt Lauterbach am Donnerstag im Bundestag den Antrag für eine Widerspruchslösung zur Abstimmung. Insgesamt wird über drei Vorschläge abgestimmt. Erreicht kein Antrag die erforderliche Stimmenmehrheit, bleibt es bei der aktuellen Regelung. Organe dürfen heute von Hirntoten nur entnommen werden, wenn der Verstorbene einen Spenderausweis hat.
Die Mehrheitsverhältnisse bei der Abstimmung sind unklar. Für den Antrag für eine Widerspruchslösung haben sich laut Lauterbach 222 Abgeordnete in eine Liste eingetragen. Für eine alternative Lösung um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Linke-Vorsitzende Katja Kipping zählt die Liste 191 Abgeordnete. Auch die AfD stellt einen Antrag zur Abstimmung. Dieser kann auf 90 Stimmen zählen. Laut Lauterbach haben sich aber 28 Prozent der Abgeordneten noch nicht entschieden.
Eine Rolle spielen könnte auch das Abstimmungsprozedere. Abgestimmt wird über alle drei Anträge, zuerst über die Widerspruchslösung, dann über den Antrag Baerbock/Kipping und zuletzt über den AfD-Vorschlag. Als angenommen gilt jeder Antrag, der mehr Ja- als Nein-Stimmen erhält. Erhalten mehr als ein Antrag mehr Ja- als Nein-Stimmen, bleibt es ebenso bei der derzeitigen Regelung wie auch im Fall, dass kein Antrag eine Mehrheit findet.
Spahn und Lauterbach machen sich für eine „doppelte Widerspruchslösung“ stark. Sie würde das bestehende Prinzip umkehren, dass Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja zulässig sind. Stattdessen soll jeder automatisch Spender sein – man soll dem aber jederzeit widersprechen können und müsste das in einem neuen Register speichern. Vor einer Transplantation müsste ein Arzt dort abfragen, ob es eine Erklärung gibt. Falls nicht und es auch sonst kein schriftliches Nein gibt, ist der nächste Angehörige zu fragen – aber nicht nach einer eigenen Entscheidung, sondern ob er ein Nein oder einen anderen Willen des Verstorbenen kennt.
Geplant ist eine große Informationskampagne für eine neue Regelung, außerdem soll jeder ab 16 Jahren dreimal direkt mit Informationen angeschrieben werden. Kommen Minderjährige als Spender infrage, wäre eine Organentnahme nur zulässig, wenn ein Angehöriger zugestimmt hat – das sind wohl meist die Eltern. Bei Menschen, die die Tragweite einer solchen Entscheidung nicht erkennen können – etwa wegen einer geistigen Behinderung – sollen Organspenden grundsätzlich tabu sein.
Eine andere Gruppe um Grünen-Chefin Baerbock und die Linke-Vorsitzende Kipping lehnt einen derart tiefen Eingriff in die Selbstbestimmung ab. Sie schlägt stattdessen vor, die Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt anzusprechen. Wer ab 16 einen Personalausweis beantragt, ihn verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Amt Informationsmaterial bekommen. Beim Abholen kann man sich dann auch schon direkt vor Ort in ein neues Online-Register eintragen – mit Ja oder Nein. Auch in Ausländerbehörden soll es so etwas geben. Selbst beraten sollen Ämter ausdrücklich nicht. Für Kinder sollen die Neuregelungen nicht gelten.
Für eine regelmäßige Aufklärung spielen in diesem Konzept auch Hausärzte eine größere Rolle. Sie können Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zum Eintragen ins Register ermuntern – aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis, dass es weiter keine Pflicht zu einer solchen Erklärung gibt. Grundwissen über Organspenden soll auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor einer Führerscheinprüfung werden. Im Online-Register sollen Entscheidungen jederzeit zu ändern sein.
Die AfD hat einen Antrag eingebracht, der die Widerspruchslösung ablehnt und die Organentnahme an die Zustimmung des Spenders knüpft. Allerdings will die AfD die Spendebereitschaft durch vertrauensbildende Maßnahmen in die Abläufe der Organspende erhöhen.
Nach Angaben von Lauterbach stehen 85 Prozent der Bürger einer Organspende positiv gegenüber, aber nur 35 Prozent besitzen einen Spenderausweis. 10.000 Empfänger stehen aktuell auf einer Warteliste. Jährlich werden in Deutschland aber nur 3000 Transplantationen durchgeführt. 2000 Wartende sterben jedes Jahr vor der notwendigen Transplantation. Die durchschnittliche Wartezeit auf ein Spenderorgan beträgt sechs Jahre. In Deutschland werden über Eurotransplant mehr Organe ausländischer Spender transplantiert als ins Ausland abgegeben. Lauterbach setzt darauf, mit der Widerspruchslösung die Zahl der Organspender zu verdoppeln.