„Lauterbach inszeniert Impfstoffmangel“ Patrick Hollstein, 15.12.2021 13:12 Uhr
Jens Spahn (CDU) hat nach der Übergabe des Bundesgesundeitsministeriums (BMG) der Gesundheitspolitik den Rücken gekehrt und ist als Fraktionsvize für Wirtschaft, Klima, Energie, Mittelstand und Tourismus zuständig. Daher ergreift der gesundheitspolitische Sprecher Tino Sorge in der Debatte über den massiven Impfstoffmangel das Wort: „Mit seiner ‚Inventur‘ inszeniert der neue Bundesgesundheitsminister nun einen dramatischen Mangel, um sich in einigen Wochen als Retter in der Not zu feiern.“
„Jetzt einen plötzlichen Mangel an Impfstoff zu melden, ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten: Olaf Scholz selbst und die SPD sitzen seit Februar in der ‚Taskforce Impfstoffproduktion‘ mit am Tisch. Impfstoffbeauftragter der Bundesregierung ist seit neun Monaten sogar Scholz‘ enger Vertrauter Christoph Krupp“, so Sorge.
Er wirft dem Neuen im BMG ein politisches Manöver vor: „Karl Lauterbach ruft Feuer, um dann Feuerwehr zu spielen – obwohl er weiß, dass es gar nicht brennt. Er verunsichert die Bürgerinnen und Bürger in einer ohnehin schon angespannten Lage. Das ist schlechter Stil. Und es ignoriert die Millionenerfolge der letzten Wochen.“
Bund und Länder hätten Mitte November in einer Ministerpräsident:innenkonferenz (MPK) vereinbart, die Booster-Kampagne
zu beschleunigen. Spahn habe dazu eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, so Sorge in einem Brief an die Abgeordneten. Unter anderem habe er per Verordnung die Vergütung für die impfenden Ärztinnen und Ärzte von 20 auf 28 Euro; seitdem würden in Deutschland so viele Menschen geimpft wie seit Beginn der Impfkampagne vor einem Jahr nicht. „Kein anderes Land der Welt impft aktuell mehr Menschen als Deutschland. Das allerdings ist kein Verdienst von Karl Lauterbach, die Grundlage dafür wurde vorher gelegt“, so Sorge.
Der CDU-Politiker räumt indirekt ein, dass der Impfstoff knapp zu werden drohte: Spahn habe in Verhandlungen zusätzliche Lieferungen noch im Dezember gesichert: 8 Millionen Dosen Moderna, entsprechend 16 Millionen Booster-Dosen, sowie 3 Millionen Dosen Biontech durch Ankauf von Polen. „Verhandlungen über das Vorziehen weiterer Biontech-Lieferungen in den Dezember wurden bei der EU angestoßen, ebenso weitere bilaterale Verhandlungen mit anderen EU-Staaten, die aktuell ihren Impfstoff nicht benötigen. Im Ergebnis wurde so dafür gesorgt, dass ausreichend Impfstoff für die Booster-Kampagne zur Verfügung steht.“
Sorge rechnet vor, dass 39 Prozent der bislang 55,8 Millionen geimpften Erwachsene die empfohlene Booster-Impfung bereits erhalten hätten. „Wird unterstellt, dass jede/r geimpfte Erwachsene die empfohlene Booster-Impfung wahrnimmt, sind somit in den nächsten vier bis sechs Wochen noch gut 34 Millionen Booster-Impfungen zu leisten.“ Zur Verfügung stünden dafür:
- bereits ausgeliefert: 8,5 Millionen Dosen Biontech und mehr als 20 Millionen Booster-Dosen Moderna
- bis Jahresende in der Auslieferung: 2 Millionen Dosen Biontech und rund 20 Millionen Booster-Dosen Moderna
Damit stünden also mehr als 10 Millionen Dosen Biontech und 40 Millionen Booster-Dosen Moderna bis zum Jahresende zur Verfügung. „Mithin also genug Impfstoff, um den 34 Millionen geimpften Erwachsenen, für die eine Booster-Impfung noch aussteht, kurzfristig ein entsprechendes Angebot machen zu können – völlig unabhängig davon, wann die Zweitimpfung verabreicht wurde. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie viel Impfstoff im ersten Quartal 2022 geliefert wird.“
16 Millionen Dosen pro Monat
Nach aktuellem Stand sind laut Sorge pro Monat mehr als 16 Millionen Dosen an mRNA-Impfstoff geplant. „Mithin auch hier genug, um bei gut 12 Millionen umgeimpften Erwachsenen in Deutschland notwendige Erst- und Zweitimpfungen durchführen zu können.“
Zudem sähen die bereits geschlossenen Verträge auf EU-Ebene vor, dass die festgelegte Liefermenge von rund 80 Millionen Dosen Biontech durch das Ziehen einer vertraglich vereinbarten Option verdoppelt werden können. Demnach stünden auf Basis der bereits bestehenden Verträge rund 160 Dosen Biontech im kommenden Jahr zur Verfügung. Das beinhalte auch an Varianten angepasste Impfstoffe. „Diese Optionen wurden genau für die Fälle in die Verträge aufgenommen, in denen sich die Situation, etwa durch eine Variante, drastisch verändert“, so Sorge.
Was wird mit den Spenden?
Nicht näher geht Sorge auf die zugesagten Spenden an Covax ein. Laut BMG-Übersicht vom 24. November sind in diesem Jahr 103 Millionen Dosen beschlossen, aber erst 20 Millionen Dosen geliefert. Spahn hatte bei seinem letzten Auftritt in der Bundespressekonferenz noch erklärt, dass nicht das BMG alleine über die Spenden an andere Länder entscheide, sondern gemeinsam mit Auswärtigem Amt, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Finanzministerium und Kanzleramt. Zuvor war plötzliche eine Spende von 32 Millionen Dosen Moderna in der Übersicht des BMG neu aufgetaucht.
Lauterbach hatte am Dienstag mitgeteilt, dass eine Inventur einen Mangel an Corona-Impfstoff für das erste Quartal des nächsten Jahres ergeben habe. Er arbeitet nach eigenen Worten aber bereits daran, mehr Impfstoff zu organisieren. „Ich hoffe, dass ich da in den nächsten Tagen eine positive Botschaft übermitteln kann“, sagte er am Abend in der ARD. Bemühungen liefen über alle Kanäle, auch direkt zu Unternehmen. „Wir müssen hier Geschwindigkeit gewinnen.“
Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, sprach von einer „Enttäuschung auf ganzer Linie“. „Jens Spahn hat immer wieder betont, dass genügend Impfstoff vorhanden sei. Statt verantwortungsvoll vorzusorgen, hinterlässt die Vorgängerregierung leere Vorratslager.“