Lauterbach enttarnt: Der lange Arm von Ulla Schmidt Patrick Hollstein, 21.10.2023 07:58 Uhr
Karl Lauterbach treibt das Gesundheitswesen in die Staatsmedizin. Nach zwei Jahren im Amt haben Ärzte, Zahnärzte und Apotheker den Gesundheitsminister durchschaut. In einer Akte, die am Montag an Kanzler Olaf Scholz geschickt werden soll, haben sie akribisch zusammengetragen, was Lauterbach plant – und wer wirklich hinter der Maske steckt.
Als Ulla Schmidt im Oktober 2009 das Bundesgesundheitsministerium (BMG) an FDP-Mann Philipp Rösler übergab, kämpfte sie mit den Tränen. Damals ging man davon aus, dass es so etwas wie Rührung gewesen sein könnte, immerhin musste sie nach fast neun Jahren Abschied von vielen lieb gewonnenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nehmen. Doch jetzt steht fest: Es waren Schmerz und Wut. Darüber, die Dinge nicht zu Ende gebracht zu haben. Bei der Verstaatlichung des Gesundheitswesens auf halber Strecke ausgebremst worden zu sein.
Aber Ulla Schmidt konnte warten. Warten und dabei zusehen, wie die Dinge ihren Lauf nahmen. Wie ein Nachfolger nach dem anderen sich um die großen Reformen drückte und irgendwann aus dem Amt gefegt wurde. Wie die Kassen immer knapper wurden, während ihre Reformen allmählich zu wirken begannen und Investoren den Markt infiltrierten, während sich das System in seinem Abwehrkampf gegen jede Veränderung selbst die Luft abschnürte. Am Ende wurden es fast 14 Jahre, bis sich für Ulla Schmidt in Gestalt von Karl Lauterbach eine neue Chance ergab.
Lauterbach enttarnt
In dieser Woche flog der Schwindel auf. Ein Konsortium aus Abda, KBV und KZBV hat sich nach den gesundheitspolitischen Wirrungen und Irrungen der ersten Legislaturhälfte die „Enttarnung von Karl Lauterbach“ auf die Fahne geschrieben. Nach drei Tagen akribischer Nachforschungen und lückenloser Beschattung hat die Allianz der Heilberufe alle Beweise zusammen, die sie braucht: Karl Lauterbach ist nicht nur der geistige Nachfolger von Ulla Schmidt – er IST Ulla Schmidt. Hinter der Pappmaske (erhältlich hier bei Ebay) verbirgt sich Lauterbachs Vor-Vor-Vor-Vor-Vorgängerin, die ihre vor 20 Jahren angestoßenen Reformen jetzt endlich zu Ende bringen will:
- Ulla Schmidt hatte von Polikliniken geträumt und MVZ zugelassen. Karl Lauterbach will mit Gesundheitskiosken und Versorgungszentren noch eins obendrauf setzen.
- Ulla Schmidt hatte das Apothekenhonorar reformiert und das Fixum eingeführt, um Schwerpunktapotheken den Saft abzudrehen. Karl Lauterbach will nun auch noch einen Deckel für Hochpreiser, um mit dem eingesparten Geld ganz kleine Apotheken zu subventionieren.
- Ulla Schmidt hatte den beschränkten Mehrbesitz eingeführt, es war nur eine Frage der Zeit, bis die Grenzen von drei Filialen fallen würde. Ein bis zwei mehr könnten es schon sein, findet Karl Lauterbach.
- Ulla Schmidt hatte den Startschuss für das E-Rezept gegeben. Karl Lauterbach will es nun verpflichtend machen – auch damit der Versandhandel profitieren kann, den – genau! – Ulla Schmidt damals eingeführt hatte.
Ein bisschen nachbessern lassen sich ihre Gesetze bei der Gelegenheit auch noch:
- Ulla Schmidt hatte die Rabattverträge installiert. Karl Lauterbach muss sich für die Lieferengpässe etwas einfallen lassen.
- Ulla Schmidt hatte die Fallpauschalen im Klinikbereich eingeführt. Die Fehlanreize muss Karl Lauterbach jetzt beseitigen – und die betreffenden Kliniken gleich mit.
- Den Gesundheitsfonds hatte Ulla Schmidt installiert. Blöd nur, dass die Sache mit den ALG-II-Empfängern nicht zu Ende gedacht war
Staatsmedizin und Großkonzerne
„Die Menschen wollen in den Arm genommen werden“, hatte Ulla Schmidt einmal gesagt. In Abwandlung lautet das Motto von Karl Lauterbach eher: „Die Menschen wollen auf den Arm genommen werden.“ Es ist schon symptomatisch, dass die SPD-Gesundheitspolitik wie schon vor 20 Jahren mehr Staat will – und dabei nur mehr Markt schafft. Ulla Schmidt ging vor Jahren einem Beamten in ihrem Haus auf den Leim, der gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Interessenvertretern den Mehrbesitz ins Spiel brachte. Als Testballon für eine spätere komplette Liberalisierung.
Ärzte, Zahnärzte und Apotheker wollen die Experimente und Spielchen des Minister jedenfalls nicht länger mitspielen und sich auch nicht auseinanderdividieren lassen. Sie werfen Lauterbach vor, das Gesundheitswesen zu zerstören. Daher fordern sie Kanzler Olaf Scholz in einem gemeinsamen Brief auf, dem Spuk seines Parteifreunds sofort ein Ende zu bereiten. Anderenfalls könnte es ungemütlich werden. Schade nur, dass die Medien dem „Notruf“ bislang wenig Beachtung geschenkt haben. Muss wohl doch noch ein gemeinsamer Großstreik her – die Apotheken fangen jedenfalls im November schon einmal an.
Und während sich nun doch noch die ersten Verbände inhaltlich mit den Reformplänen beschäftigen – Mecklenburg-Vorpommern will Prämien für Vor-Ort- und für Landapotheken, der XL-Apotheken-Verband VIA lehnt jede Umverteilung ab – kann man an einem anderen Beispiel sehen, welche Folgen die von Lauterbach geplanten Strukturen haben können: Die Ärztegenossenschaften Medicus sind insolvent, die Patientinnen und Patienten kommen nicht einmal an ihre Akten ran.
Und wie man es von früher kennt, melden sich in dieser gesundheitspolitisch volatilen Gemengelage wieder allerhand selbst ernannte Experten zu Wort. In der FAZ (wo sonst?) durften Barmer-Chef Christoph Straub und der Ökonom Professor Dr. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut (RWI) in dieser Woche frei vom Leder ziehen. Ihre Botschaft: Die Einzelpraxis ist tot, es lebe das MVZ, es lebe die Light-Apotheke.
Totengräber des Systems
Ist Lauterbach also der Totengräber des Gesundheitswesens? Verbirgt sich hinter „Apotheke light“ nicht eigentlich „Apotheke zero“? Thesen, Fragen, Antworten – in Folge 94 von NUR MAL SO ZUM WISSEN. Unbedingt noch reinhören! Schönes Wochenende!