Dringlichkeitsliste

Lauterbach entmachtet eigenen Beirat

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Berlin -

Mit seiner Dringlichkeitsliste hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in dieser Woche alle überrascht. Selbst der Beirat für Lieferengpässe wurde nicht eingebunden, entsprechend sauer reagiert man auf den chaotischen Alleingang.

Sein Engpassgesetz ALBVVG ist gerade einmal einen Monat alt, da schlägt Lauterbach plötzlich Alarm: Nach derzeitiger Einschätzung drohe für Herbst/Winter bei bestimmten essentiellen Antibiotika und weiteren relevanten Arzneimitteln für Kinder eine angespannte Versorgungssituation zu entstehen, so Lauterbach in einem Schreiben an den Großhandelsverband Phagro. Die Unternehmen mögen sich bitte bevorraten, Mehrkosten würden erstattet, so die Botschaft.

Wieso dieser Schnellschuss? Wissen Lauterbach oder sein Ministerium etwas zu sich abzeichnenden dramatischen Engpässen, das öffentlich noch nicht bekannt ist? Droht gar ein Versorgungskollaps? Kann die Industrie nicht liefern?

Bei den großen Herstellern weiß man davon nichts: Es habe keinen Kontakt oder Austausch dazu mit Lauterbach oder dem BMG gegeben, heißt es unisono. In den Herbst- und Wintermonaten des vergangenen Jahres hätten vor allem die Nachholeffekte eines verstärkten Infektionsgeschehens zu verstärkten Nachfragen und Lieferengpässen bei Kinderarzneimitteln geführt. Über die Versorgungslage in der kommenden Saison könne man daher noch gar nicht spekulieren.

„Regulatorische Flickschusterei“

Und überhaupt: Bedarfsplanung gehöre zum Geschäft – wenn Lauterbach dazu etwas beizutragen habe, dann müsse er mit den Beteiligten sprechen. „Und nicht nur bei Markus Lanz sitzen“, wie Dr. Hans-Georg Feldmeier, CEO von Dermapharm und Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), offen kritisiert. Lauterbachs Vorstoß lasse zwar Problembewusstsein erkennen, sei jedoch völlig wirkungslos, da nicht vorhandene Arzneimittel nicht bevorratet werden könnten und bisher auch keine ausreichenden Anreize gegeben wurden, um diese Arzneimittel wieder nachhaltig produzieren zu können. „Vor dem Hintergrund der letzten Jahre, insbesondere aufgrund der Erkenntnisse der letzten zwölf Monate, ist nicht verständlich, warum seitens des Ministers wieder regulatorische Flickschusterei betrieben wird, anstatt unsere Versorgung auf eine sichere Basis zu stellen“, so Feldmeier.

Beirat nicht eingebunden

Doch es kommt noch schlimmer: Denn selbst der Beirat war nach Informationen von APOTHEKE ADHOC vorab nur informiert, nicht aber befasst worden. So wurde dem Gremien durch das BfArM mitgeteilt, dass es in Abstimmung mit dem BMG eine Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel erstellt habe, „welche essentiellen Arzneimittel für die Pädiatrie enthalte, die in der kommenden Infektionssaison möglicherweise einer angespannten Versorgungssituation unterliegen“. Weiter hieß es: Um dieser Situation proaktiv und frühestmöglich zu begegnen, habe man Abmilderungsmaßnahmen initiiert.

Dabei wurde das Expertengremien zur „Überwachung und Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln“ vor drei Jahren sogar per Gesetz installiert und ausgerechnet mit dem ALBVVG gerade erst in seinen Kompetenzen gestärkt. So soll eben nicht das BfArM oder das BMG, sondern der Beirat eine „aktuelle Liste von Arzneimitteln, die auf Grund der zugelassenen Darreichungsformen und Wirkstärken zur Behandlung von Kindern notwendig sind“, erstellen.

Darüber hatte man im Beirat zuletzt auch debattiert, nicht aber über einen drohenden Versorgungsnotstand im Herbst/Winter oder über die neu geplanten Maßnahmen. Doch genau dieser Liste setzt Lauterbach nun eine eigene Aufstellung entgegen – die er vorsorglich einem Versorgungsmangel unterstellen und für den Massenimport freigeben will.

Nur Großhandel adressiert

Und dann wundern sich die Verbände noch, warum ausgerechnet der Phagro angeschrieben wurde. Weder Ärzte- noch Apothekerschaft haben solche Schreiben erhalten, selbst die Pharmaverbände wurden nicht kontaktiert. Der Großhandel hat aber in der Regel gar keine Lieferantenbeziehungen im Ausland, Importe wurden bislang eher von den Herstellern umgeleitet und meistens auch direkt an die Apotheken verteilt. „Man hat uns diese Probleme jetzt vor die Tür gestellt, ohne Antworten auf Detailfragen zu haben“, kritisiert ein Großhandelsvertreter.

Dass es auch im BMG drunter und drüber zu gehen scheint, zeigt noch eine andere Tatsache. Statt die Angelegenheit zur Chefsache zu machen oder wenigstens auf Staatssekretärsebene anzusiedeln, wird als Ansprechpartner der zuständige Unterabteilungsleiter genannt. „So führt man doch kein Ministerium“, so die Kommentierung eines Lobbyisten.

Mit Äußerungen gegenüber der Mediengruppe Bayern hatte Lauterbach versucht, eine positive Wahrnehmung für seinen Vorstoß zu gewinnen: „Wir haben die Rahmenbedingungen für den Arzneimittelmarkt bereits verändern. Das Gesetz braucht aber Zeit, um zu wirken. Um kurzfristig Arzneimittelengpässen vorzubeugen, soll der Großhandel deshalb wichtige Medikamente für Kinder bereits jetzt bevorraten. Noch gibt es keine Engpässe. Aber dazu darf es auch nicht wieder kommen. In dieser Erkältungs- und Grippesaison sollen besorgte Eltern nicht erneut vor leeren Apothekenregalen stehen.“

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