Stau bei Reformprojekten

Lauterbach: Die Zeit läuft ab

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Berlin -

In den vergangenen Monaten hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Akkord neue Reformprojekte angestoßen. Doch bei wichtigen Vorhaben stockt es jetzt, bei anderen muss er nach Protesten in den Diskurs mit den Betroffenen gehen. Weil im kommenden Jahr schon wieder Bundestagswahl ist, könnte die Zeit allmählich knapp werden. Schon jetzt werden Warnungen laut, dass er am Ende mit leeren Händen dastehen könnte. Was bedeutet das für seine Apothekenreform?

Auf Ankündigung folgen Eckpunkte, dann detaillierte Eckpunkte und schließlich ein Referentenentwurf: Bei Lauterbachs Reformvorhaben läuft die Bekanntgabe seit Monaten nach demselben Muster ab. Auf diese Weise ist es dem Minister gelungen, fast wöchentlich mit einer Neuigkeit vor die Presse zu treten und sich als Reformator zu inszenieren. Und mitunter scharte er gleich noch ihm genehme Protagonisten um sich, die der Bedeutung des jeweiligen Projekts besonderen Nachdruck verliehen.

Gab es schon bei seinem Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU) einige Beschwerden über die hohe Schlagzahl, scheint Lauterbach in Sachen Quantität noch eins draufsetzen zu wollen. Und weil er sich nicht mit Corona-Problemen herumschlagen muss, geht er die ganz großen Themen an: Finanzreform, Strukturreform, Versorgungsreform. Nicht weniger als 15 Gesetze stehen laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf der Projektliste – nur für das erste Halbjahr.

Reformprojekte ausgebremst

Aber ausgerechnet bei seinen wichtigsten Reformprojekten wird Lauterbach derzeit ausgebremst. Beim Cannabisgesetz (CanG) mauert seine eigene Fraktion; eigentlich hatte die Legalisierung, deren Eckpunkte er gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bereits im vergangenen März vorgestellt hatte, zum Jahreswechsel in Kraft treten sollen. Noch hofft Lauterbach, dass es im Februar mit der 2./3. Lesung im Bundestag klappt und das Gesetz zum 1. April in Kraft treten kann.

Auch die beiden Digitalgesetze haben schon Verspätung – nachdem es der Bundestag gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten geschafft hatte, soll am Freitag der Bundesrat endlich auch noch zustimmen. Allerdings werden aus den Ländern schon Stimmen laut, dass wegen der Probleme beim E-Rezept nachgebessert werden muss. Von Lauterbach hat es dazu noch keine Einschätzung gegeben.

Auch bei der Krankenhausreform ist Lauterbach seit Monaten keinen Schritt weitergekommen. Ursprünglich hatte das Vorhaben schon bis Sommer Gestalt annehmen sollen, wiederholt hatte Lauterbach eine Einigung mit den Ländern in Aussicht gestellt, obwohl er in Wirklichkeit nie einen Kompromiss vorweisen konnte. Im November ließ der Bundesrat ihn mit seinem Transparenzregister abblitzen, jetzt feiert Lauterbach schon die Tatsache, dass demnächst im Vermittlungsausschuss darüber geredet. Vorab versuchte er mit einem Presseauftritt den öffentlichen Druck zu erhöhen, parallel führte er Gespräche mit einzelnen Ländern – nachdem er noch kurz zuvor mit einem Alleingang gedroht hatte.

Zweiter Anlauf

Eine ähnliche Hängepartie hat das Versorgungsstrukturgesetz I hinter sich. Nachdem bereits im Juni ein erster Referentenentwurf vorgelegt wurde, passierte dann monatelang gar nichts. Jetzt gibt es eine zweite Version, und ausgerechnet in dieses vorbelastete Projekt sollen nun zusätzlich auch noch die Regelungen für die Haus- und vielleicht sogar für die Fachärzte gepackt werden. Bislang hatte Lauterbach sich geweigert, die Forderungen der Ärzteschaft überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, mittlerweile hat er nach den Protesten der Praxen offenbar eingesehen, dass er sich Ärger an dieser Front nicht auch noch leisten kann.

Und so scheint man nun im BMG auf die Taktik umzuschwenken, dieses Vorhaben, zu dem auch Kioske, Regionen und Polikliniken gehören, im Schnelldurchlauf durchzupeitschen. Obwohl viele Fragen ungeklärt sind, gab Michael Weller, Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung, kürzlich zu Protokoll, dass das Gesetz bis Ende April durchs Kabinett müsse, um noch rechtzeitig im Januar 2025 in Kraft treten zu können.

Während man beim Virchowbund darin schon den Auftakt zum Schlussspurt der Legislaturperiode sieht, weil spätestens nach der Sommerpause in den Wahlkampfmodus gewechselt wird, wundern sich andere Verbändevertreter über den Druck, den ausgerechnet das BMG schon jetzt, zu Beginn der zweiten Legislaturhälfte, sich selbst oder vielmehr den Beteiligten macht. Vermutlich geht es eher darum, die Sache rechtzeitig und ohne allzu viele Diskussionen einzutüten als noch eine offene Dauerbaustelle zu schaffen.

(Zu) viele Bälle in der Luft

Denn Lauterbach hat nicht nur schon jetzt viele Bälle in der Luft, es sollen auch noch weitere hinzukommen. Darunter sind einige vergleichsweise überschaubare Projekte wie die Notfallreform, die Umwandlung der Gematik oder das Pflegekompetenz- und das Präventionsgesetz. Aber es gibt auch große „Brocken“, mit denen er sich noch in die Geschichte eintragen will: Dazu gehören Entbürokratisierung und Patientenrechte, das Verbot von Investoren-MVZ und die Novellierung des Medizinstudiums – vor allem aber die Themen Organspende und GKV-Finanzen.

Bislang hat er insbesondere zur Finanzreform nichts vorgelegt; sein Empfehlungspapier, das wegen einer entsprechenden Frist auf den 31. Mai zurückdatiert war, war eine Ansammlung von Belanglosigkeit ohne jeglichen Neuigkeitenwert. Stattdessen hat er mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) jetzt ein Pharmapaket vorgelegt, mit dem die Preise bei neuen Medikamenten verschleiert und ein gigantisches Kick-back-System implementiert werden soll, um den Export ins Ausland zu verhindern. Die ersten Kassen haben ihrem Ärger schon Luft gemacht, auch hier wird Lauterbach noch reichlich Gegenwind spüren.

Und so zeichnete die Süddeutsche Zeitung (SZ) unlängst das Bild eines Ministers am Scheideweg: Bring er alle Reformvorhaben ins Ziel, hätte ermehr geschafft als die meisten seiner Amtsvorgänger. „Scheitert er, wird seine Bilanz verheerend ausfallen.“ Bei der Debatte zum Haushalt wird Lauterbach am heutigen Abend im Bundestag womöglich einen Ausblick auf die verbleibende Amtszeit geben.

Apothekenreform: Jetzt erst recht?

Für die Apotheken stellt sich die Frage, wie es in dieser Gemengelage um die für ihren Bereich vorgesehene Zwangsreform bestellt ist. Besteht die Chance, dass das Vorhaben anderen, wichtigeren Projekten zum Opfer fällt oder vergessen wird? Oder wird es am Ende zu denjenigen Reformen gehören, die – wegen vergleichsweise geringer Widerstände – im Sinne der Bilanz erst recht durchgezogen wird?

Für Letzteres spricht, dass Lauterbach im Fall der Fälle wenigstens sein Image als Lobbyschreck retten wird. „Charme bringt keine Reformen“, diktierte er der SZ in den Block, die treffend analysierte: „Vielleicht ist es diese Haltung, die am Ende über Wohl und Wehe von Lauterbachs Amtszeit entscheidet: Die Fähigkeit, Menschen ungerührt vor den Kopf zu stoßen, macht ihn zum Albtraum aller Lobbyisten – aber es erschwert ihm auch, Verbündete zu finden, selbst in den eigenen Reihen.“

Unter den Gesundheitsexpertinnen und -experten der Ampel ist niemand, der das Format oder den Willen hätte, sich für die Apotheken mit Lauterbach anzulegen. Entscheidend könnte daher werden, ob die Reform durch den Bundesrat muss. Beim Deutschen Apothekertag (DAT) in Düsseldorf hatte Abda-Chefjurist Lutz Tisch diesbezüglich Zweifel angemeldet – und eine Antwort darauf gibt es immer noch nicht: „Da uns nach wie vor kein Entwurf für die geplante Reform vorliegt, können wir weder zur Beteiligung des Bundesrats noch zum Zeitplan etwas sagen“, so ein Sprecher auf Nachfrage.

Aus dem BMG heißt dazu ebenfalls nur kurz und knapp: „Der Referentenentwurf zu den von Herrn Bundesminister Professor Dr. Karl Lauterbach vorgelegten Eckpunkten zu Reformen im Apothekenwesen wird derzeit im BMG erarbeitet. Ein Zeitplan befindet sich aktuell in Abstimmung.“ Für eine Vorhersage ist es also noch zu früh: Im Fall von Lauterbach heißt es nicht „alles oder nichts“. Sondern „alles nichts oder“.

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