Die Bundesländer streiten mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über die Einführung der Impflicht gegen Masern. Die Länder halten nicht nur die Impflicht mit Dreifach-Impfstoffen für verfassungsproblematisch. Sie halten das Gesetz auch – anders als Spahn – für zustimmungspflichtig: „Der vorgelegte Gesetzentwurf greift an verschiedenen Stellen in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder ein und ist daher zustimmungsbedürftig“, heißt es in der Beschlussempfehlung. Außerdem kritisieren die Länder den hohen Arbeitsaufwand.
Das Gesetz schreibe künftig regelmäßig die Prüfung der Impfnachweise aller „Neuzugänge“ vor. Gleiches gelte hinsichtlich der Nachweisführung der bereits in den Einrichtungen Tätigen beziehungsweise Betreuten. Allein im rheinland-pfälzischen Schulbereich seien daher bis Juli 2021 rund 450.000 Impfnachweise zu prüfen. „Unterstellt, die Schulleitung benötigt für sämtliche Arbeiten im Zusammenhang mit der Kontrolle des Impfnachweises durchschnittlich 15 Minuten, so ergibt sich bis Juli 2021 eine zusätzliche Arbeitsbelastung der rheinland-pfälzischen Schulleitungen von 112.500 Arbeitsstunden“, heißt es. Dies entspreche rund 61 Vollzeitstellen. Zu bedenken sei außerdem, dass die meisten pädagogischen Fachkräfte sowie Lehrer nicht in der Lage seien, die Einträge im Impfausweis als Nachweis des bestehenden Impfschutzes zu bewerten.
Es ist daher anzunehmen, dass regemäßig ein ärztliches Zeugnis verlangt werden müsse. Der Leistungsumfang der GKV umfasst derartige ärztliche Bescheinigungen nicht. Auch könne die Kontrolle des Masernimpfschutzes an die Gesundheitsämter delegiert werden. Es sei davon auszugehen, dass zum Zweck einer vollumfassenden und medizinisch korrekten Prüfung des Masernimpfschutzes, die oberste Gesundheitsbehörde letztlich gezwungen sein würden, den Gesundheitsämtern der Kommunen diese Aufgabe zu übertragen.
Des Weiteren ist zu beachten, dass der Masernschutz für Personen in Einrichtungen zur Unterbringung von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern gefordert werde. Die Kosten wären danach von den Ländern zu tragen, obwohl es sich hier nicht um den persönlichen Impfschutz des Einzelnen, sondern um den Gesundheitsschutz der allgemeinen Bevölkerung handelt. „Auch hier kommen auf die Länder noch nicht näher quantifizierbare Kosten zu“, begründen die Länder ihre Betroffenheit durch den Gesetzentwurf, der die Zustimmungspflicht erfordere.
Probleme sehen die Länder auch in der Regelung, dass die Pflicht, einen Impfnachweis vorzulegen, auch dann besteht, wenn zur Erlangung von Impfschutz gegen Masern ausschließlich Kombiimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffe gegen andere Krankheiten enthalten. „Anders als zum Beispiel in der Schweiz, wo auch ein Einfachimpfstoff verfügbar ist, stehen in der Bundesrepublik derzeit nur dreifach (Mumps – Masern – Röteln) oder vierfach (MMR + Windpocken) Impfstoffe zur Verfügung“, so die Beschlussempfehlung. Die „grundrechtsbeschränkende Wirkung des Gesetzentwurfes“ werde damit zumindest auf die Impfung gegen Mumps und Röteln ausgeweitet, „ohne dass insoweit die Grundrechtsbeschränkung ausdrücklich geregelt wird“.
Zugleich eröffne dies die Möglichkeit, eine faktische Impfpflicht künftig für andere Erkrankungen herbeizuführen. Je nach Produktionsverhalten der Pharmaindustrie oder Medikamentenzulassung durch die zuständigen Behörden, könnten künftig ausschließlich Impfstoffe zur Verfügung stehen, die neben dem Masernimpfstoff andere Impfstoffe beinhalteten als die aktuell vertriebenen MMR-Impfstoffe. „Es erscheint fraglich, ob dies mit dem Erfordernis einer Gesetzesgrundlage für Grundrechtsbeschränkungen in Einklang zu bringen ist“, heißt es in der Beschlussvorlage. Gleiches gelte für den Umstand, dass die Definition, für welche Erwachsenen die Impfpflicht gelte, der Ständigen Impfkommission (STIKO) überlassen werde. „Die aktuellen Empfehlungen der STIKO zur Masernimpfung von Erwachsenen erlangen damit unmittelbar grundrechtseinschränkende Gesetzeskraft, ebenso allerdings auch etwaige künftige Änderungen der Empfehlungen“, so die Länder.
Ob das Gesetz zur Masernimpfpflicht tatsächlich zustimmungspflichtig ist, bleibt abzuwarten. Zunächst muss der Bundesrat die Beschlussempfehlung übernehmen. Dann könnte der Bundestag das Gesetz trotzdem als nicht zustimmungspflichtiges Einspruchsgesetz beschließen und dem Bundesrat für die Schlussabstimmung erneut vorlegen. Bleiben die Länder bei ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung, prüft der Bundespräsident die formalen Voraussetzungen für seine Unterschrift. Der Bundespräsident könnte die Frage der Zustimmungspflicht dann dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.
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