KV Hessen schreibt an Lauterbach

pDL: Ärzte wollen Apotheker prüfen

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Berlin -

Mit ihrem Boykottaufruf gegen die Apotheken hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen eine Grenze überschritten. Jetzt tritt man die Flucht nach vorne an: In einem offenen Brief hat sich die Spitze an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gewandt. Der „sehr geehrte Herr Kollege“ wird dazu aufgefordert, die pharmazeutischen Dienstleistungen sofort zu stoppen. Alternativ wird ein Katalog an Auflagen vorgesehen, der die Durchführung im Grunde unmöglich macht.

Betroffen reagierten Vorstand und Vertreterversammlung der KV Hessen auf die Tatsache, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) trotz der „absolut substanziellen Kritik“ auch seitens der Bundesärztekammer (BAK) an den „so genannten pharmazeutischen Dienstleistungen“ immer noch nicht aktiv geworden sei. „Leider hat die gesamte Kritik auch bei den Pharmazeuten bisher noch kein Nachdenken bewirkt.“

„Aus diesem Grund möchten wir noch mal unsere tiefe Besorgnis ausdrücken und Sie zu einem schnellstmöglichen Handeln auffordern“, schreiben KV-Chef Frank Dastych und sein Vize Dr. Eckhard Starke. „Faktisch führt man hier ein Zweitmeinungsverfahren ein, für das jegliche Evidenz fehlt.“ Wahrscheinlich gebe es keinen verordnenden niedergelassenen Arzt, der nicht schon erlebt habe, dass Patientinnen und Patienten wichtige, zum Teil lebenswichtige Medikamente in ihrer Dosis verändert oder ganz abgesetzt hätten, nach dem sie „eine solche, sogenannte ‚Beratung‘ in einer Apotheke erfahren haben“.

Die pharmazeutischen Dienstleistungen gingen weit über das hinaus und bergen laut den beiden KV-Vertretern noch größere Gefahren. „Getreu dem Motto: ‚Schuster bleib bei deinen Leisten‘ und ‚Viele Köche verderben den Brei‘.“ Wieder appellieren die beiden Funktionäre an Lauterbach als Berufskollegen: „Sie selber wissen doch als Arzt nur zu gut, dass Arzneimittel nur das Werkzeug des Mediziner sind, dass zielgerichtet auf der Basis eines fundierten klinischen, ärztlichen Wissens, einer qualifizierten Diagnostik und unter Abwägung aller therapeutischen Optionen zur Anwendung kommt.“

Rudimentäre Krankheitslehre

Gerade im Zusammenhang mit der Polymedikation, zu der man in den Praxen bereits ausführlich berate, gebe es oft auch viele Dinge, die man „leider nicht allen unseren Patienten wirklich vollständig erklären“ könne. „Dinge, von denen gerade die Pharmazeuten in der Regel kaum oder keine Kenntnis haben.“ Das qualifizierte Verordnen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln setze ein sechsjähriges Studium der Medizin, eine Facharztausbildung und eine Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit voraus. „Und eben nicht rudimentäre, im Studium vermittelte Krankheitslehre, gepaart mit einer Online-Fortbildung.“

Die beiden KV-Chefs verweisen spitzfindig auf den Unterschied zwischen apotheken- und verschreibungspflichtigen Medikamenten: „Pharmazeuten dürfen von sich aus ja gar keine verschreibungspflichtigen Medikamente ausgeben, weil ihnen vernünftigerweise dafür jede Qualifikation fehlt. So hat doch der Gesetzgeber den Apothekern schon jetzt einen ganz klar begrenzten und umrissenen Bereich der Zuständigkeit und damit der Heilkunde zugewiesen. Jetzt sollen sie aber komplexe Beratungen zu hoch komplexen medizinischen Bereichen anbieten dürfen, für den sie nicht einmal im Ansatz ausreichend qualifiziert sind?“

Patientenschutz vor Profitinteressen

„Wir möchten Sie daher dringend auffordern, diese pharmazeutischen Dienstleistungen zu stoppen. Patientenschutz muss hier vor Profitinteressen der Pharmazeuten gehen.“ Denn das neue Angebot ist laut Dastych und Starke „geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten massiv zu beschädigen und die Compliance, die Therapietreue bei der Einnahme von Arzneimitteln, zu gefährden“.

Und weiter heißt es: „Vielleicht nicht so gerne, aber trotzdem respektvoll hören wir aber auch gerne von Ihnen, dass Apotheke für diese Leistungen doch vollkommen qualifiziert sind.“ Gleich im nächsten Satz wird aber schon eingeschränkt, dass gerade Patient:innen nach Organtransplantation oder mit einer Antitumortherapie in der Regel in hoch qualifizierten Ambulanzen oder in der ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung versorgt werden. „Warum wohl? Da mag der eine war der andere medizinisch qualifizierte Mensch doch einen gewissen Widerspruch erkennen.“

Ärzte sollen Apotheker prüfen

„Wenn es denn aber so sein soll, dass Sie die Apotheker für qualifiziert halten, wenn man dies tatsächlich will, dann sollte man ein hier bewährtes Instrument aus der Versorgung gesetzlich Krankenversicherter konsequent zur Anwendung bringen. Wir sprechen hier über die Qualitätssicherung.“ Nötig sei eine „echte und nachgewiesene Qualifikation des Pharmazeuten“ im Sinne einer Qualitätssicherungsrichtlinie zwischen den beteiligten Apothekerverbänden, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband.

„Wir empfehlen dringend, dass die Qualifikation für diese Beratungen nur nach einem Curriculum und einer Prüfung vor einer entsprechenden Kommission einer Landesärztekammer zu erlangen ist. Natürlich vor der Landesärztekammer und dort vor Medizinern mit klinischer und pharmakotherapeutischer Kompetenz für die erwähnte Versorgung.“

Kein Abverkauf nach Beratung

Es folgt ein langer Katalog an Auflagen, die für die Apotheken verpflichtend sein sollen:

  • Sämtliche pharmazeutischen Beratungsleistungen seien „standardisiert und qualitätsgesichert“ zu dokumentieren: „Es darf nicht hinter dem Rücken der behandelnden Ärzte beraten werden.
  • Die Beratungsinitiative dürfe nur vom Patienten ausgehen.
  • Die Information der verordneten Ärzte müsse sichergestellt sein. „Eine Einwilligung in eine Information der verordnenden Ärzte muss Voraussetzung für jede pharmazeutische Dienstleistung sein.“
  • Die Information über die Beratungen habe „unverzüglich, standardisiert und unterbrechungsgesichert, das heißt auf direktem Weg durch den Pharmazeuten zu erfolgen“.
  • Die Dokumentation habe zusätzlich in der ePA zu erfolgen.
  • Auch Datum, Dauer und der Ort der Beratung und die Medikamente, zu denen beraten wurde, seien zu dokumentieren.
  • Vorgefundene Befunde seien „zu dokumentieren und zu würdigen“.
  • Selbstverständlich müsse ddieiese Beratung in einer geschützten Atmosphäre, „getrennt vom Verkaufstresen in der Apotheke“, erfolgen. Dies sei zu dokumentieren und zu prüfen.
  • Das Risiko der Beratung müsse zudem auf allen rechtlichen Ebenen, wenn durch eine Falschberatung Gesundheitsschäden entstehen oder Zusatzaufwendungen in der ärztlichen Versorgung entstehen, beim Pharmazeuten liegen und sei zu versichern.
  • Die Qualität sei laufend durch eine gemeinsame Kommission aus Landesärztekammer, KV und Apothekerverbänden zu prüfen. „Diese Kommission garantiert auch sonst die Umsetzung der QS-Richtlinie.“
  • Abrechnungsgenehmigungen müssten widerrufbar sein.
  • Durch eine verpflichtende Online-Dokumentation sei eine Doppelabrechnung auszuschließen.
  • Die pharmazeutischen Dienstleistungen dürften nicht für zusätzliche Geschäfte „instrumentalisiert“ werden. „Im Zusammenhang mit diesen Beratungsleistungen sollte der Verkauf weitere Produkte über den Apothekertresen untersagt werden.“
  • Für alle Dienstleistung gelte eine persönliche Leistungserbringung. „Und sie dürfen nur durch den für diese Dienstleistung persönlich qualifizierten Pharmazeuten erbracht werden.“
  • Qualifikation und Abrechnungsgenehmigung seien personenbezogen in der Apotheke kenntlich zu machen.
  • Die Beratung habe komplett unabhängig von der Pharmaindustrie zu erfolgen, deswegen dürften nur Wirkstoffe Gegenstand der Beratung sein.

„Erst wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, darf jemand eine Abrechnungsgenehmigung für solche Leistungen erhalten und darf eine Vergütung erfolgen.“ Solche Anforderungen an eine Qualitätssicherung seien übrigens Gang und Gäbe bei qualitätsgesicherten Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung.

Evidente Patientengefährdung

„Sehr geehrter Herr Bundesminister, sehr geehrter Professor Lauterbach, verehrter Herr Kollege, in Anbetracht der Brisanz dieser Vorgänge und der aus unserer Sicht evidenten Patientengefährdung, die von diesen Leistungen ausgeht, würden wir uns zum einen über eine sehr zeitnahe Antwort freuen, insbesondere auch für unsere Mitglieder, die wie gesagt, zum Beispiel im Moment gar nicht mitbekommen, dass hier irgendjemand im Hintergrund mit ihren Patienten deren Medikationen diskutiert, ohne die medizinischen Hintergründe zu kennen, ohne wirklich die Diagnosen zu kennen, weil man die Klinik nicht kennt.“

„Noch mehr würden wir uns aber freuen und würden wir es begrüßen, wenn sie unverzüglich mit einer gesetzgeberischen Maßnahme das alles beenden.“

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