Kritik an Krankschreibung per WhatsApp Carolin Ciulli, 25.02.2019 14:33 Uhr
Das Internetportal Au-Schein.de sorgt seit seinem Start vor zwei Monaten für Wirbel. Erkältete Arbeitnehmer können dort per WhatsApp eine Krankschreibung anfordern – für 9 Euro. Der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) hat das Unternehmen wegen vermeintlicher Werbung und der Beratung, bei der der Arzt den Patienten weder sieht noch mit ihm spricht, abgemahnt. Mitgründer Dr. Can Ansay weist die Vorwürfe zurück.
Das Konzept von Au-Schein.de ist denkbar einfach: Erkältete Patienten melden sich dort, schildern im Chat die Symptome, dann werden per Liste Risiken ausgeschlossen. Im Anschluss gibt der Patient seine Kontaktdaten wie Handynummer an, regelt die Bezahlung und erhält die Krankschreibung zunächst digital. Die AU-Bescheinigung kommt laut Firmenangaben am nächsten Tag per Post. Gespräche mit dem Arzt, etwa um weitere aufwändige Fragen zu klären, sind nicht vorgesehen.
Der VSW kritisiert die telemedizinische Beratung per Chat: Die Ausstellung der Bescheinigung erfolge dort ausschließlich aufgrund von Angaben, die über einen Fragebogen gemacht werden können. Weder sähen die das Attest ausstellenden Ärzte den Patienten, noch sei ein telefonischer Kontakt zu dem Patienten erforderlich, um die Angaben zu verifizieren, sagt Geschäftsführer Ferdinand Selonke.
Diese Form der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über WhatsApp verstößt dem Verband zufolge gegen die Bestimmungen der entsprechenden Berufsordnung sowie gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Demnach ist Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten verboten, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht.
Der Verband beruft sich zudem auf die Hamburger Berufsordnung (HmbBO), da das Unternehmen seinen Sitz in der Hansestadt angibt: Demnach dürfe ein Arzt eine individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Zudem habe der Mediziner bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen.
Eine Arbeitsunfähigkeit stelle außerdem ein ärztliches Zeugnis dar. Dem AU-Schein komme im Rechtsverkehr eine erhebliche Bedeutung zu, weil er finanzielle Ansprüche des Patienten gegenüber dem Arbeitgeber oder der Krankenkasse begründen könne. „Die Ausstellung einer Bescheinigung, die ausschließlich auf nicht zuverlässig verifizierbaren Patientenangaben beruht, erfüllt nach Ansicht des Verbandes die Anforderungen, die an eine sorgfältige Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses zu stellen sind, nicht.“
Ansay widersprach der Abmahnung. Für das telemedizinische Angebot sei nie geworben, sondern nur in der Presse berichtet worden. „Auch ein Praxisarzt kann belogen werden bezüglich unüberprüfbarer Symptome wie zum Beispiel Kopfweh, Schwindel, Übelkeit.“ Zudem könne ein erkälteter Patient seine Symptome selbst gut einschätzen, so dass 90 Prozent der Erkältungen in Deutschland bereits ohne Arzt diagnostiziert und behandelt würden, ohne dass dadurch die Mortalitätsrate gestiegen wäre, so Ansay. „Die Erkältung ist für die Ferndiagnose am besten geeignet.“
Die Kritik des Verbands sei „weltfremd“ und „reaktionär“. Das Unternehmen verfügt über fünf Mitarbeiter. Die Chatanfragen werden von einem Angestellten an die Mediziner weitergeleitet. „Keiner unserer Ärzte übt die Arztdienstleistungen von Hamburg aus aus, sondern zum Beispiel aus Schleswig-Holstein mit entsprechender Kammermitgliedschaft.“ Die Firma wirbt auf ihrer Internetseite damit, sicher und rechtmäßig zu sein sowie DSGVO-konform zu handeln.
Skepsis gegenüber den Bescheinigungen ist man offenbar gewohnt: „Ihr Arbeitgeber und Krankenkasse können grundlos misstrauisch werden und sogar abwegige Rechtsansichten vertreten zu Ihrem Nachteil, nur weil der Arzt an einem anderen Ort sitzt und die Wahrscheinlichkeit von Blaumachen bei Telemedizin höher eingeschätzt wird“, wird ein Nachteil des Projekts genannt.
Tatsächlich hatte der Deutsche Ärztetag im vergangenen Jahr nach kontroverser Debatte in Erfurt einer Änderung der Musterberufsordnung zugestimmt. Ärzte können demnach Patienten unter bestimmten Voraussetzungen ohne vorherigen persönlichen Kontakt in der Praxis ausschließlich per Telefon, SMS, E-Mail oder Online-Chat behandeln. Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) soll Apotheken erlaubt werden, Fernrezepte einzulösen.
Hier will Au-Schein24.de ebenfalls mitspielen: Ansay will große Versandapotheken ansprechen und für eine Kooperation gewinnen. Gründer des Portals sind neben Ansay der Physiker Dr. Falko Brinkmann, der sich laut eigenen Angaben auf medizinische Diagnostik spezialisiert hat, und Andre Lohmann, der für die technische Leitung zuständig ist. Als ärztliche Beraterin wird Dr. Eva-Maria Ansay angegeben. Bundesweit wurden bisher rund 2500 Scheine ausgestellt.