Neun Jahre nach Einführung des Brustkrebs-Screenings in Deutschland fordern Experten und Politiker eine Neubewertung der Vorsorgeuntersuchung. Im Magazin „Der Spiegel“ sprach sich auch SPD-Gesundheitsexperte Professor Dr. Karl Lauterbach gegen die Mammografie aus. Lauterbach hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass das Screening in Deutschland eingeführt wurde.
2002 beschloss der Bundestag das flächendeckende Screening. Seit 2005 haben Frauen zwischen 50 und 69 Jahren einen Anspruch auf eine Röntgenuntersuchung der Brust alle zwei Jahre – auch durch das Engagement von Lauterbach als Berater der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD).
Inzwischen räumte dieser dem „Spiegel“ zufolge ein: „Es ist an der Zeit, das Screening neu zu bewerten“. Alle neuen Erkenntnisse sprächen in der Tendenz eher dagegen, mit einer Prüfung dürfe man nicht länger warten: „Die Überprüfung des Programms wird entweder eine der ersten Aufgaben des neuen Qualitätsinstituts sein, oder wir werden das IQWiG damit beauftragen“, so Lauterbach.
Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), und der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, schließen sich der Kritik an.
Laut Spiegel geht der dänische Medizinforscher der Cochrane Collaboration, Professor Dr. Peter Götzsche, davon aus, dass eine von 200 Frauen, die über zehn Jahre hinweg regelmäßig zur Mammografie gehen, unnötigerweise die Diagnose Brustkrebs erhält, anschließend operiert und oft strahlenbehandelt wird. Götzsche kritisiert das Screening schon seit vielen Jahren.
Die überdiagnostizierten Frauen müssten nicht nur mit einem belastenden Befund leben. Die Strahlenbehandlung erhöhe das Herzinfarkt- und Lungenkrebsrisiko. Mammografierten Patientinnen würden zudem deutlich häufiger eine Brust amputiert als nicht gescreenten Frauen.
In Deutschland erhalten dem Bericht zufolge Frauen der betreffenden Altersgruppe bisher ein Merkblatt der „Kooperationsgemeinschaft Mammographie“ und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), das für die Teilnahme am Screening wirbt. Dieses Merkblatt stößt auf Kritik, weil es den Nutzen der Mammografie stark übertreibe.
Professor Dr. Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, sagt über das Merkblatt: „Es schweigt sich darüber aus, dass die Gesamtsterblichkeit in der Screening-Gruppe gleich hoch ist wie in der Nicht-Screening-Gruppe. Durch Mammografie wird überhaupt kein Leben gerettet.“
Das Merkblatt werde „derzeit überarbeitet“, zitiert das Nachrichtenmagazin den G-BA. Bisher nehmen dem Bericht zufolge rund 54 Prozent aller eingeladenen Frauen am Screening teil, das sind 2,7 Millionen. Die Krankenkassen geben demnach für die umstrittenen Untersuchungen 220 Millionen Euro im Jahr aus.
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