Der Widerstand gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagene EU-weite Vereinheitlichung der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel und Medizinprodukte wächst: Jetzt warnt auch der CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß davor, die vergleichende Nutzenbewertung auf die europäische Ebene zu verlagern: „Health Technology Assessment (HTA) muss in der Hand der EU-Mitgliedsländer bleiben", forderte der Bundestagsabgeordnete.
Die hohen deutschen Qualitätsanforderungen an die HTA-Verfahren würden in nationaler Verantwortung am besten gewahrt. Statt die HTA-Verfahren auf europäischer Ebene zu zentralisieren, sollten die nationalen HTA-Institutionen auf freiwilliger Basis enger zusammenarbeiten, schlägt der CDU-Politiker vor.
Wie berichtet plant die EU-Kommission, das HTA-Verfahren von zentral zugelassenen Arzneimitteln sowie von Medizinprodukten hoher Risikoklassen (IIb und III) und in-vitro-Diagnostika auf europäische Ebene zu verlagern. Hierzu soll die EU-Richtlinie 2011/24/EU geändert werden. Die Ergebnisse des HTA-Verfahrens wären für Entscheidungen in den EU-Mitgliedsländern über die Preisbildung und Erstattung verbindlich. Läge eine europäische HTA-Bewertung vor, könnte Deutschland keine eigene in Auftrag geben.
Zusammen mit Ländern wie Frankreich und Spanien – die ebenfalls die Verlagerung auf EU-Ebene kritisch sehen – sollte die Bundesregierung der EU-Kommission ein Strich durch die Rechnung machen, fordert Krauß. In Deutschland ist eine systematische Nutzenbewertung mit Konsequenzen für die gesetzliche Krankenversicherung institutionell beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) verankert.
Kürzlich hatte bereits Apothekerin Sylvia Gabelmann, Gesundheitsexpertin der Fraktion Die Linke, die gesundheitspolitischen Sprecher alle Fraktion außer der AfD eingeladen, einen parteiübergreifenden Pakt gegen die EU-Initiative zu schmieden. In einem offen Brief kritisiert Gabelmann, dass der EU-Plan tief in die nationalen Regelungen in Deutschland eingreife. Selbstverständlich bestünden keine Bedenken gegen Bemühungen der EU-Kommission, die Situation in denjenigen Ländern zu verbessern, in denen derzeit Defizite bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten vorlägen, wenn sich diese an den besten und bewährtesten Standards ausrichten würden. „Es besteht bei dem Vorhaben der EU-Kommission jedoch die Gefahr, dass durch die geplante Vereinheitlichung den unterschiedlichen Ausformungen bei den sozialen Sicherungssystemen der einzelnen Mitgliedstaaten künftig nicht mehr ausreichend Rechnung getragen und das Niveau zum Teil abgesenkt wird“, so Gabelmann.
Sowohl Krankenkassen als auch der G-BA hätten bereits ihre Bedenken in diese Richtung deutlich gemacht. Die hohe wissenschaftliche Qualität des IQWiG „wird nach meiner Wahrnehmung lagerübergreifend sehr geschätzt und ist eine Grundlage für gute Versorgungsqualität“. In dem Entwurf der Kommission fehlten elementare Festlegungen, die mit der von der Regierung aus Union und FDP eingeführten Nutzenbewertung in Deutschland selbstverständlich geworden seien.
Zudem greife der neue Richtlinienentwurf tief in Regelungen ein, die bislang aus guten Gründen den einzelnen Mitgliedsstaaten vorbehalten seien. Die Entscheidung darüber, unter welchen Bedingungen ein Arzneimittel in die Versorgung gelangt, sei nach dem Verständnis der Fraktion Die Linke gesundheitspolitisch und nicht primär wirtschaftspolitisch zu fällen. Zudem unterscheide sich die versorgungsbezogene Bewertung des IQWiG grundlegend etwa von der ökonomisch fokussierten Bewertung in Großbritannien.
Auch den Herstellerverbänden stieß der der EU-Kommission auf Kritik. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) begrüßte grundsätzlich die Absicht, ein einheitliches europäisches Vorgehen für die klinische Bewertung von Arzneimitteln zu etablieren. Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser will die nationale Hoheit aber nicht preisgeben: „Wichtig ist, dass Erstattung und Preisgestaltung von Arzneimitteln weiterhin in nationaler Kompetenz bleiben. Um lokale Versorgungsrealitäten zu berücksichtigen, muss nationalen Entscheidungskompetenzen genügend Spielraum gelassen werden.“
Positiver bewertete der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) den Plan: Von der jetzt beginnenden Debatte über europäische Standards in der Nutzenbewertung könne Deutschland profitieren. „Vor allem die engere Verzahnung von Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen im Arzneimittelsektor wäre ein echter Schritt nach vorne. Ein Konsens, wie Arzneimittelstudien gestaltet sein sollten, würde allen Beteiligten bei der Umsetzung helfen“, so Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer.
Nein sagt dazu hingegen der GKV-Spitzenverband: „Diesen Schritt können wir nicht gut heißen, denn wir befürchten die Absenkung der hohen Standards, die wir in Deutschland für die Bewertung von neuen Medikamenten haben. Zusammenarbeit der EU-Mitglieder bei der wissenschaftlichen Bewertung von neuen Arzneimitteln ja, aber eine Absenkung des Niveaus durch Vereinheitlichung auf einem niedrigeren Standard nein“, so Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg. Auf heftige Kritik stieß der Vorstoß auch bei der AOK: Deutschland sei das Land in Europa, in dem Patienten unmittelbar Zugang zu allen neuen zugelassenen Arzneimitteln hätten. „Die Nutzenbewertung ist daher unsere einzige Möglichkeit, wirklich innovative und gute Arzneimittel von Nachahmerprodukten zu trennen und die Preise zu verhandeln“, so Verbandschef Martin Litsch.
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